Literatur:Ohnmächtig die Hände ringen

Literatur: Ein Mann betrachtet die Überschwemmung in South Carolina nach Hurricane "Florence".

Ein Mann betrachtet die Überschwemmung in South Carolina nach Hurricane "Florence".

(Foto: Jason Lee/AP)

Nathaniel Richs "Losing Earth" ist eine Reportage über den Klimawandel und verpasste Gelegenheiten. Für Komplexität ist allerdings nicht viel Platz.

Von Burkhard Müller

Man muss noch nicht einmal bis zum Klappentext warten. Gleich auf dem Titel des Buchs springt dem Leser die wesentliche Information entgegen: "Die Klimakatastrophe, die wir jetzt erleben, hätte verhindert werden können. Vor dreißig Jahren gab es die Chance, den Planeten zu retten - doch sie wurde verspielt. Eine dramatische Reportage über ein Menschheitsversagen."

Ob es gut gehen kann mit diesem Genre der dramatischen Reportage? Denn das Bezeichnende der gegenwärtigen Lage, so ernst und ungeheuer sie sich darbietet, besteht ja gerade darin, dass sie nicht dramatisch verläuft, sondern schleichend - anders als zum Beispiel in den Achtzigerjahren beim Ozonloch, wo allein schon das Wort "Loch" ausreichte, um eine allgemeine Panik und letztlich die Lösung des Problems herbeizuführen. Und ist die Reportage, die immer nur so weit gucken kann wie das Objektiv des Reporters, die angemessene Darstellungsform für ein Thema von derartiger globaler Komplexität?

Der Journalist Nathaniel Rich, Jahrgang 1980, glaubt fest daran, dass es trotzdem geht. Für ihn präsentiert sich der Weg in den Klimawandel als eine Serie von Begegnungen, Zuspitzungen und verpassten Gelegenheiten. In dieser Sichtweise hängt natürlich alles vom Personal ab. Rich ist überzeugt, es komme darauf an, die drei Rollentypen Held, Schurke und Opfer zu besetzen. Nur dann könne aus einem Problemkomplex ein Narrativ entspringen, eine Story, bei der das Publikum mitgeht. Aber das funktioniert nicht. Zwar gibt es den selbstlosen Wissenschaftler Rafe Pomerance, der alles schon beizeiten, das heißt in den Siebzigerjahren, kommen sah, und James Hansen, ein selbstloser Wissenschaftler auch er, der über seinem glühenden Einsatz immer wieder vergisst, die Zimmerdecke im Wohnzimmer zu reparieren, obwohl seine Frau ihn doch schon so oft ... Diese Versuche zur Figurengestaltung kommen alle nicht weit, sie werden vom gigantischen Thema verschluckt wie von einem Schwarzen Loch.

Noch weniger wollen dem Verfasser die Schurken gelingen. Als deren obersten versucht er John Sununu aufzubauen, Stabschef von Präsident George Bush senior, der bei der Klimakonferenz in Noordwijk 1989 als vorgeblich im Alleingang agierender Diabolos verhindert, dass feste und bindende Klimaziele verabschiedet werden.

Das Buch kommt nicht los von seinen letztlich theologischen Deutungsmustern

Sununu soll als der Lügengeist schlechthin erscheinen. Doch als Rich ihn viele Jahre später interviewt, meint Sununu, als Einzelner wäre er da nie durchgedrungen; vielmehr habe er die klammheimliche Unterstützung der Vertreter so ziemlich aller anderen Staaten gehabt, die es bloß nicht so laut sagen wollten, dass ihnen die vorgeschlagenen Einschnitte schmerzlich gegen den Strich gingen. "Das war damals das schmutzige kleine Geheimnis." Und man spürt, dass Sununu die Wahrheit sagt.

Noordwijk ist in diesem Buch die große, verpasste Chance, welche die Menschheit gehabt hätte, gerade noch rechtzeitig die Katastrophe abzuwenden, die seither eingetreten ist. Rich selbst muss freilich in seiner Erzählung, die im Wesentlichen von den späten Siebzigern bis zu den frühen Neunzigern reicht, einräumen, dass es so wie in Noordwijk eigentlich immer zuging, wenn über die Erderwärmung debattiert wurde. Immer erkennen alle die Gefahr, nicken, meinen, hier müsse jetzt dringend was geschehen - aber sobald die praktischen Konsequenzen zur Sprache kommen, bringt die Öl-, Kohle- und Autoindustrie ihre Lobbyisten in Stellung. Man mag es kaum glauben, doch selbst Reagan und Bush senior hatten den Kampf gegen den Klimawandel in ihr Wahlkampfprogramm aufgenommen. Er wolle den Treibhaus- durch den Weißes-Haus-Effekt ersetzen (im Original wohl ein Wortspiel von Greenhouse und White House), tönte Bush - solang, bis er gewählt war und plötzlich andere Dinge wichtig wurden.

Als Motto zitiert das Buch in einem Gedicht die antike Seherin Kassandra - Kassandra, die verflucht war, erstens nur Unglück zu prophezeien und zweitens damit keinen Glauben zu finden. Kann man es ungeschickter anstellen? Es heißt, vorab alles verloren zu geben. Der Autor tut so, als wären damals, vor dreißig Jahren, ein für alle Mal die Weichen gestellt worden und als würde der Zug seither, trotz Rio, Tokio usw., einfach stracks mit Höchstgeschwindigkeit in den Abgrund brausen.

Auch im Epilog reicht es nur für ein schwächliches Moralisieren

Das ist nicht nur unangemessen fatalistisch, sondern in seiner Simplifizierung, die vor allem auf Wirkung zielt, falsch, nahezu "Fake News". Schon dass bei den Anschlusskonferenzen nicht nur die Fachminister, sondern die Staatschefs persönlich zugegen waren und dass die Leugner immer fanatischere Töne anschlagen, zeigt, welches Gewicht dem Gegenstand seither zugewachsen ist. Doch das Buch kommt nicht los von seinen letztlich theologischen Deutungsmustern, von Sündenfall und Apokalypse, den hocherregten aber gedanklich bequemen Modellen, die als punktuelle Katastrophe ausgeben, was in Wahrheit prozessualen Charakter trägt.

Auch im Epilog, der die letzten dreißig Jahre zu überbrücken versucht, reicht es nur für ein schwächliches Moralisieren, ein ohnmächtiges Händeringen darüber, was "wir" da angestellt haben, und für die Forderung, "dass wir als Menschheit umdenken müssen". Die Menschheit hat als solche noch niemals gedacht, geschweige denn umgedacht. Dieses nebulöse "wir" hebelt, ohne dass dies ausführlicher thematisiert würde, die vorangegangene Dreiteilung von Helden, Schurken und Opfern aus. Helden sind "wir" zwar bestimmt nicht - aber dass die Schurken, die es tun, zugleich auch die Opfer sein könnten, die es ausbaden müssen, diese Einsicht immerhin dämmert dem Autor.

Rich merkt an, dass Republikaner aus Florida, das sich nur wenige Meter über den Meeresspiegel erhebt, genauer zuhören, wenn vom Klimawandel und dem Anstieg der Ozeane die Rede ist, als ihre Parteifreunde aus den Rocky Mountains. Hier liegt die Chance.

Nathaniel Rich: Losing Earth. Aus dem Englischen von Willi Winkler. Rowohlt Berlin Verlag, Hamburg 2019. 237 Seiten, 22 Euro.

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