Verkehrsausschuss:Deutliche Kritik an Nahverkehrspolitik

Experten fordern von der Staatsregierung einfachere Tarifsysteme, Ausbau von Bahn- und Busnetzen sowie den Zusammenschluss zu Verbünden

Von Wolfgang Wittl

Eigentlich sollte der Koalitionsvertrag keine Fragen offen lassen. Unter Punkt IV ("Modernes Bayern"), Unterpunkt 5 ("Für nachhaltige Mobilität"), auf den Seiten 48 fortfolgende haben CSU und Freie Wähler formuliert, wie sie sich den öffentlichen Nahverkehr vorstellen: "Wir wollen starke und leistungsfähige Systeme überall in Bayern - in den Städten wie im ländlichen Raum", heißt es da. Und: "Wir werden den öffentlichen Personennahverkehr deutlich stärken und Zugangshemmnisse zum öffentlichen Verkehr abbauen." Doch weil der Weg von der politischen Willensbekundung zur Umsetzung oft weiter ist als gedacht, diskutieren die Mitglieder des Verkehrsausschusses im Landtag am Dienstag mit zehn Fachleuten, woran es hakt und wie alles besser werden kann.

Die Expertenanhörung geht auf eine Initiative der SPD zurück, die von der Staatsregierung mehr Einsatz für eine Mobilitätswende fordert. Sie wünscht sich mehr Geld für Schienen und Fahrzeuge, einen Ausbau der Verkehrsverbünde, mehr Förderung für alternative Antriebe. Ohne massiven Ausbau des ÖPNV sei an gleichwertige Lebensverhältnisse nicht zu denken, sagt Inge Aures (SPD). Besonders am Land mangele es an Alternativen zum Auto. Man kann nicht behaupten, dass die zehn Experten eine dezidiert andere Auffassung vertreten.

Die Fachleute loben zwar die Staatsregierung, dass sie mehr Geld in den Nahverkehr investieren will. Die ÖPNV-Zuweisungen steigen um 20 Millionen auf jährlich 94,3 Millionen Euro. Wer aber weiß, wie viel Geld insgesamt umgesetzt wird, vermag die Summe einzuordnen. Allein in den Verkehrsverbünden München, Nürnberg und Augsburg würde ein Gratis-ÖPNV jährlich 1,4 Milliarden Euro ausmachen. Zum Vergleich: Nach Berechnungen des Obersten Rechnungshofs stehen für eine spezifische Förderung des ÖPNV im Freistaat lediglich 145 Millionen Euro zur Verfügung - ohne genau zu wissen, ob sie überhaupt richtig eingesetzt werden. "Die Ressorts haben kaum Erkenntnisse, inwieweit der staatliche Mitteleinsatz zur als dringlich angesehenen Verbesserung des ÖPNV und damit der Verkehrsverhältnisse beiträgt", kritisieren die Rechnungsprüfer.

Wofür das Geld eingesetzt werden soll? Alle Fachleute fordern einen Ausbau der Infrastruktur, egal ob in den Städten oder am Land. Denn erst wenn ein Angebot vorhanden sei, könne es genutzt werden. "Wer glaubt, es geht in nächsten zehn Jahren so weiter wie in den letzten zehn Jahren, ist auf dem Holzweg", sagt Andreas Mäder (Nürnberger Verkehrsverbund). Entscheidend sei allein das Kundeninteresse, findet Bernd Rosenbusch vom Münchner Verkehrsverbund. Das Auto werde genutzt, da es verfügbar und bequem sei. Wer es kopieren wolle, müsse entsprechende Angebote aufrufen, etwa durch einen Ausbau der Eisenbahnstrukturen und Busspuren. Fakt sei doch: "Hinter Holzkirchen beginnt in Bayern die ÖPNV-Diaspora. Da ist nichts mehr", klagt Rosenbusch. Mehr Geld und mehr Tempo beim Ausbau - nur so gewinne der Nahverkehr an Attraktivität.

Eine weitere Herausforderung ist die Digitalisierung. Ingo Wortmann, Geschäftsführer der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG, fordert "einfachere Tarifsysteme" - am besten sei eine landesweite Lösung. Gregor Beiner, Vorstand im Münchner Taxiverband, schließt seine Branche mit ein. "Der Kunde möchte am Anfang der Fahrt wissen, was er am Ende zu bezahlen hat." Das Konkurrenzdenken zwischen Bahn-, Bus- und Taxi-Betreibern müsse aufhören, vielmehr sollten sich die Angebote ergänzen. Falls ein Bus ineffizient sei, könnten Sammeltaxis eingesetzt werden. "Wir müssen mehr miteinander denken", fordert Beiner. Zu oft fehle es an Abstimmung zwischen Bus und Bahn. "Nach 18 Uhr fährt oft gar nichts mehr", sagt Florian Liese (Bayerische Eisenbahngesellschaft).

Am radikalsten argumentiert Stephan Kroll von der Nahverkehrsberatung Südwest, der einzige Nichtbayer in der Runde. Sein Befund: "Der ÖPNV im ländlichen Raum in Bayern bietet keine Mobilitätsalternative, das Angebot ist deutlich schlechter als in anderen Bundesländern." Kroll stellt die Systemfrage. Bayern leiste sich in weiten Teilen einen freien Schülertransport. Warum nicht da sparen und ein integriertes System mit dem ÖPNV entwickeln? Die 1000 mittelständischen Busunternehmen im Freistaat würden profitieren, glaubt Kroll. Auch ein Ausbau der Verkehrsverbünde würde den ÖPNV stärken.

Wenig bis nichts halten die Experten vom 365-Euro-Jahresticket, das die Staatsregierung langfristig einführen will. "Wer so ein Projekt plant, will dem Berliner Flughafen Konkurrenz machen", hatte Sebastian Körber (FDP), Vorsitzender im Verkehrsausschuss, vor der Sitzung gelästert. So ein Ticket sei nicht geeignet, die Verkehrswende einzuleiten, warnt Robert Frank vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen. Es entziehe dem System nur Geld. Der Ausbau der Infrastruktur sei wichtiger als die Subventionierung von Tarifen, sagt Stefan Kühn (Regionalverkehr Oberbayern). Allein im Verkehrsverbund Nürnberg werde das 365-Euro-Ticket jährlich 80 bis 90 Millionen Euro kosten, schätzt Geschäftsführer Mäder. Es sei "unbestritten wichtig, junge Menschen frühzeitig an den ÖPNV heranzuführen", kontert Verkehrsminister Hans Reichhart (CSU). Man müsse auch tarifliche Anreize setzen. Das sei ein wichtiger Beitrag, um Ballungsräume zu entlasten.

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