Weniger Emissionen:Wie kann man vernünftig fliegen?

Silent Air Taxi

Neue Flügel- und Antriebskonzepte: Das Silent Air Taxi nutzt einen zehn Meter breiten Boxwing-Flügel, um auf kurzen Pisten zu starten.

(Foto: E. Sat)

Flugzeuge sind klimaschädlich. Trotzdem wird die Zahl der Flüge weiter zunehmen. Alternative Antriebe könnten die Umweltbelastung deutlich senken.

Von Joachim Becker

Am Himmel ist die Hölle los. Und es soll noch schlimmer kommen. In den vergangenen 50 Jahren haben sich die Passagierzahlen im Flugverkehr verzehnfacht. Entsprechend sind Flugzeuge für knapp fünf Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes verantwortlich. Trotzdem will die EU das Fliegen weiter demokratisieren. Ziel ist europaweites Reisen von Tür zu Tür in nur vier Stunden. Die Metallvögel haben also weiter Aufwind, in den kommenden Jahren soll der weltweite Luftverkehr pro Jahr um durchschnittlich fünf Prozent zunehmen. Noch ist unklar, wie die EU den CO₂-Ausstoß der Flieger bis 2050 um 75 Prozent senken will. Je nach Einsatzgebiet und Flugzeuggröße wäre eine ganze Palette alternativer Antriebe nötig: Von der Elektro-Passagierdrohne über den Wasserstoffjet bis zum Langstreckenflieger, der seine Turbinen mit nachhaltig erzeugtem Kerosin befeuert.

Die Zukunft des Fliegens? Zu Anfang des 20. Jahrhunderts träumten Futuristen vom Ballonverkehr in luftigen Höhen, heute werben Start-ups mit Luftbahnhöfen voller Passagier-Drohnen. Hoch über den Dächern der Metropole sollen Taxis warten, die nie im Stau stehen. Doch der Technik-Taubenschlag muss von den City-Bewohnern erst einmal akzeptiert werden. Wie ihre großen Vorbilder machen Kleinflugzeuge viel Wind, wenn sie (senkrecht) starten und landen. Unter Volllast klingen sie wie ein zorniger Drohnenschwarm. Das fällt in den lärmenden Megacities Asiens oder Amerikas weniger auf. Wenn die EU den Fluglärm in Europa bis 2050 wirklich um 65 Prozent senken will, ist die Zukunft von solchen City-Hoppern eher fraglich. Das Aachener Start-up E.Sat schlägt stattdessen vor, die bestehende Infrastruktur zu nutzen: Allein in Deutschland dämmern 350 Regionalflugplätze im Dornröschenschlaf vor sich hin. Dabei erfüllen sie bereits die Auflagen der europäischen Flugsicherung. 80 Prozent der Bevölkerung lebt weniger als 25 Kilometer vom nächsten Flugplatz entfernt. Das könnte die Reisezeiten von Tür zu Tür deutlich verkürzen: Von ihrem Heimatort wollen die Aachener Entwickler beispielsweise in weniger als drei Stunden nach Magdeburg fliegen. Über die Regionalflughäfen sei die Reise zwei Stunden schneller möglich als per Bahn oder Linienflug.

Mit ihrem Silent Air Taxi will das E.Sat-Team von 2024 an mehr als 95 Prozent aller deutschen Flughäfen und Flugplätze ansteuern. Dank des innovativen, zehn Meter breiten Boxwing-Flügels und eines leistungsstarken Hybrid-Antriebsstrangs soll eine Startbahn mit maximal 400 Meter Länge ausreichen. Der Buschflieger kann also auf jeder besseren Wiese abheben. Dabei soll er leiser und effizienter sein als Propellermaschinen: "Durch den besonders leisen Fan, gepaart mit umfangreicher Schalldämmung sowie aeroakustisch optimierter Gestaltung des Gesamtflugzeugs, ist ein Überflug nicht von Alltagsgeräuschen unterscheidbar", versprechen die Flugpioniere aus Aachen.

Vor 50 Jahren hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass Fliegen zum Massenphänomen wird. Heute wirkt die Idee genauso verrückt, dass sich der Billigtrend noch beschleunigt: Kleiner, leichter, günstiger, lautet die Devise von etwa 100 Firmen weltweit, die an neuartigen Kleinflugzeugen arbeiten. Diese haben in etwa die Nutzfläche eines Pkw, zudem übernehmen sie deren Techniklösungen und Produktionsmethoden. Ein Kostentreiber bei Donnervögeln sind beispielsweise die Sensoren, die mehrere zehn- bis hunderttausend Euro kosten. Abhilfe schafft ein kleines Universalsteuergerät, das der Zulieferer Bosch mit halbleiterbasierten Sensoren aus der Autoindustrie bestückt.

25 Millionen

Die Zahl der innereuropäischen Flüge ist in den vergangenen Jahrzehnten ständig gewachsen. Bis 2015 lag sie unter zehn Millionen pro Jahr. Bis 2050 soll sie sich auf 25 Millionen mehr als verdoppeln. Die großen Hersteller von Passagierflugzeugen erwarten in den nächsten 20 Jahren ebenfalls eine Verdoppelung der weltweiten Flotte. Besonders in Asien wird das Fliegen immer beliebter.

Herkömmliche Linienflieger kosten ein paar Millionen Euro, weil sie hauptsächlich in Handarbeit entstehen. Flugtaxis sollen von den Kostenvorteilen der Großserie profitieren und um die 500 000 Euro kosten. E.Sat verspricht niedrige Anschaffungs- und Betriebskosten durch Großserien-Motoren und Aluminiumleichtbau wie in der Pkw-Fertigung. Nicht zufällig hat Finanzvorstand Günther Schuh seit 2002 den Lehrstuhl für Produktionssystematik an der RWTH Aachen inne. Ihren entscheidenden Durchbruch werden die Wolkenhüpfer aber mit dem autonomen Fliegen erleben. Wie Gondeln sollen sie ohne Seil und Piloten durch die Luft schweben, was die Reisekosten auf das Niveau eines Limousinen-Service senken dürfte. Vor diesem Hintergrund scheint die geplante Verdoppelung der innereuropäischen Flüge auf 25 Millionen pro Jahr nicht unrealistisch. Rückenwind bekommt das Projekt durch ein modernisiertes Luftverkehrsmanagementsystem, dass die EU vorbereitet. Aber wie können die Emissionen sinken, wenn der Himmel voller Flieger steckt?

Welcher alternative Antrieb?

Die Unternehmensberater von Roland Berger erwarten, dass 2030 bereits 10 000 Lufttaxis mit vier bis sechs Passagieren selbststeuernd umherfliegen. Nächstes Jahr beginnt der Probebetrieb in Städten wie Dubai, Los Angeles, Dallas und Singapur. Mittelfristig rechnet die Boston Consulting Group sogar mit 200 000 solcher Flugzeug-Mücken. Nicht ohne Grund ist das hochfrequente Sirren aus über einem Dutzend Rotoren aber noch kaum zu hören: Die Batterien sind zu schwer und ihre Leistungsabgabe hängt stark von der Außentemperatur ab. Womöglich ist Wasserstoff die bessere Alternative: Der internationale Turbinenhersteller MTU Aero Engines findet das E.Sat-Konzept auch deshalb interessant, weil Varianten mit Brennstoffzellen angedacht sind. "Wir sehen in dem Silent Air Taxi ein mutiges und überzeugendes Zukunftskonzept, das sehr hohe Realisierungschancen hat", bestätigt MTU-Technik-Vorstand Lars Wagner: "Es passt ideal in unsere Technologie-Initiative zu alternativen Antrieben, deshalb beteiligen wir uns nicht nur mit unserer Expertise, sondern mit zehn Millionen Euro auch finanziell an der Gesellschaft."

Lob kommt auch vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR): "Das Aachener Konzept ist vielversprechend, da es innovativ und realistisch ist. Auch lässt es sich im Laufe der Zeit in jede Richtung weiter entwickeln", sagt Professor Rolf Henke, DLR-Vorstand für Luftfahrtforschung. Entscheidend für die Zulassung eines Wasserstoff-Fliegers sind serienreife und gründlich erprobte Bauteile. Die DLR arbeitet schon seit einigen Jahren am Brennstoffzellenflugzeug HY4. "Unser Ziel ist es, den Brennstoffzellen-Antriebsstrang langfristig auch in Regionalflugzeugen mit bis zu 19 Passagieren zum Einsatz zu bringen", erklärt André Thess, Leiter des DLR-Instituts für Technische Thermodynamik. Dass jetzt auch eine Zulieferer-Größe wie Bosch in die Serienentwicklung und Fertigung von Brennstoffzellen einsteigt, ist der richtige Impuls zum richtigen Zeitpunkt. Denn bei Flugtaxis sind die relativ hochpreisigen Energiewandler derzeit eher zu realisieren als in Pkw.

Das US-Start-up Alaka'i Technologies hat vor wenigen Wochen bereits die erste Passagierdrohne mit einem Brennstoffzellenantrieb vorgestellt. Ein Pfund komprimierter Wasserstoff enthalte 200 Mal mehr Energie als eine gleich schwere Batterie, begründet Firmengründer Brian Morrison die Wahl des alternativen Antriebs. Drei Brennstoffzellen könnten mit 400 Liter Wasserstoff und dem Luftsauerstoff genug Energie erzeugen, um fünf Passagiere von Hamburg nach München zu bringen. BMW war an diesem Projekt zumindest bei der Formgebung beteiligt: Der kalifornische Ableger Design Works hat den schicken Business-Flieger gestaltet. Genau wie Audi und Mercedes arbeiten auch die Münchner weiterhin an Brennstoffzellen im Auto, wobei sie besonders das Tanksystem für Wasserstoff im Auge haben. Eine Testflotte von hundert Autos soll die Fortschritte nächstes Jahr demonstrieren.

Besser als Elektroautos?

Noch sind die Klimabilanzen der verschiedenen Antriebsalternativen mit Vorsicht zu genießen. Der Weg von der Energiequelle über den Speicher bis zum (Elektro-)Motor ist ein Hürdenlauf. Weil die Effizienz vieler Wandlungs- und Transportstationen die Ergebnisse beeinflussen, kommt es immer wieder zu hitzigen Debatten zwischen Befürwortern und Kritikern von Elektroantrieben. Der Physikprofessor Christoph Buchal und des Ex-Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn rechneten kürzlich vor, dass E-Autos das Klima mehr belasten als Dieselfahrzeuge. Ihre Studie betrachtet aber nur die Energiebilanz über 150 000 Kilometer und blendet aus, dass Batterien nicht zuletzt in stationären Anwendungen viel länger eingesetzt werden können. Der hohe Energieeinsatz bei der Zellfertigung muss also auf eine mindestens doppelt so lange Nutzungsdauer umgerechnet werden. Das gilt auch für den Einsatz in der Luft.

Wie umweltfreundlich elektrisch betriebene Flugzeuge sind, hat eine Studie der University of Michigan untersucht. Im Vergleich mit Autos können sie auf Strecken von 100 Kilometern nachhaltiger sein als Elektrofahrzeuge - wenn sie voll besetzt sind. Für ihre Studie gingen die Forscher vom US-amerikanischen Strommix aus, der zu gut 60 Prozent auf Kohle und Erdgas basiert und damit dem deutschen Energiemix ähnelt. Entscheidend für alle derartigen Berechnungen sind die jeweilige Strecke und die Zahl der Passagiere. So erzeuge ein Flugtaxi auf Kurzstrecken von fünf Kilometern 0,59 Kilogramm CO₂-Äquivalente pro geflogenem Kilometer, bei 100 Kilometern seien es nur noch 0,15 kg/km. Da beim Start die meiste Energie verbraucht werde, seien extreme Kurzstrecken nicht besonders umweltfreundlich: "Bis zu 35 Kilometern schneiden selbst Autos mit Verbrennungsmotoren besser ab als elektrische Flugtaxis", berichten die Forscher um Akshat Kasliwal.

Synthetische Kraftstoffe

Richtig ist aber auch, dass die gesamte Energiewende ein Speicherproblem hat. Wenn sich Wind- und Sonnenenergie über längere Zeit rar machen, tröpfelt der Strom in Wintermonaten womöglich aus der Steckdose. In Expertenkreisen wird seit Dekaden diskutiert, welche Speicherform zur Pufferung der saisonalen Schwankungen ideal wäre. Als großindustrielle Lösung würde sich zum Beispiel Wasserstoff anbieten. Er kann mit Ökostrom per Elektrolyse aus Wasser gewonnen werden. Doch das Gas ist extrem flüchtig und hochexplosiv, deshalb liegt als zweiter Umwandlungsschritt ein flüssiger Energieträger nahe. Tatsächlich wurde vor wenigen Wochen ein entsprechendes Pilotprojekt auf dem Flughafen Rotterdam Den Haag angeschoben. Der Dresdener Elektrolyse-Spezialist Sunfire will dort mit weiteren Partnern eine Demonstrationsanlage für die Erzeugung von erneuerbarem Kerosin aus CO₂ und Wasser bauen.

Die Vorteile sind klar: Die erneuerbaren Jet-Kraftstoffe sollen klimaneutral sein, da sie Ökostrom plus CO₂ aus der Atmosphäre nutzen. Zudem verbrennen sie sauberer und verursachen dadurch deutlich weniger Feinstaub. Auch wenn die Energiebilanz der synthetischen Kraftstoffe nicht besonders berauschend ist: Das Projekt weist in die richtige Richtung, um das Langstreckenfliegen umweltfreundlicher zu machen. Kleiner Schönheitsfehler: Der Traumstoff für eine schnelle Verkehrswende ist so gut wie nicht vorhanden. Auf dem Gelände des Rotterdamer Flughafens könnten in dem Sunfire-Projekt täglich 1000 Liter erneuerbares Kerosin produziert werden - nicht mehr als ein Tropfen im Tank. Bis genügend großindustrielle Anlagen in Ländern mit niedrigen Stromkosten aus Photovoltaik gebaut werden, dürften noch Jahrzehnte vergehen.

Die Deutsche Energie Agentur (dena) schätzt, dass Strom bis 2050 zum wichtigsten Energieträger im Schienen-, Binnenschiff- und Flugverkehr wird. Dessen Stromnachfrage werde sich gegenüber elf Terrawattstunden (2015) glatt verzehnfachen. Für ein besseres Klima muss das Energiesystem insgesamt umgebaut werden. Das gilt für die Flieger genauso wie für den Schiffs- und Straßenverkehr.

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