Sommer:Wann Schüler Hitzefrei bekommen

Hitzefrei an NRW-Schulen

Für Generationen gehörte Hitzefrei zur Schule dazu. Inzwischen gibt es aber immer seltener früheren Unterrichtsschluss im Sommer - auch wegen des Ganztagsausbaus.

(Foto: dpa)

Ab 25 Grad? Ab 27 Grad? Die Regeln für die "vorzeitige Beendigung des Unterrichts bei großer Hitze" unterscheiden sich von Land zu Land. Der Überblick.

Von Bernd Kramer

Am Gymnasium in Dormagen, das Lorenz Buczek besucht, ging es ziemlich ruhig zu in den vergangenen Tagen: Am Montag konnten die meisten Schüler schon nach der zweiten Stunde gehen, am Dienstag durften sie ganz zu Hause bleiben, genauso am Mittwoch. Der Rektor hatte vielen Klassen frei gegeben. Hitzefrei. Lorenz Buczek und die anderen Schüler der Oberstufe mussten dagegen weiterhin schwitzen. Im dritten Stock, "direkt unter dem Dach", stöhnt der 15-Jährige, "da wo es immer am wärmsten wird". Vom Unterricht hängen geblieben sei bei 35 Grad eigentlich nichts. "Wir gehen völlig umsonst zur Schule."

Hitzefrei gibt es grundsätzlich nur für die Unter- und Mittelstufe, der Oberstufe gestattet das nordrhein-westfälische Schulrecht keinen früheren Unterrichtsschluss, wenn die Temperaturen in die Höhe schießen. Absurd findet Schüler Buczek das - und hat mit den anderen Schülervertretern seines Gymnasiums eine Online-Petition für ein "faires Hitzefrei in NRW" gestartet: "Schüler sind auch nur Menschen, hierbei sind SchülerInnen der Sekundarstufe 2 nicht resistenter gegen die Hitze als SchülerInnen der Sekundarstufe 1", schreiben sie darin. Und verweisen sogar auf medizinische Fachliteratur.

Nicht nur die Schüler machen mobil. Die Grünen-Politikerin Sigrid Beer forderte die Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) in der Rheinischen Post auf, per Erlass an Tagen mit bis zu 40 Grad landesweit Hitzefrei anzuordnen. Die konkrete Entscheidung liegt nämlich in NRW - wie in allen anderen Bundesländern auch - bei der Schule.

Nur einige Länder nennen Richttemperaturen

Welche Regeln die Rektorinnen und Rektoren dabei zu beachten haben - auch das ist von Land zu Land sehr verschieden. Das heißt: In manchen Ländern müssen die Schülerinnen und Schüler mehr schwitzen als in anderen, ehe die Schule sie nach Hause schicken kann.

  • Nicht alle Länder nennen konkrete Temperaturen, ab denen Hitzefrei gegeben werden kann.
  • Baden-Württemberg, Hamburg und Bremen nehmen die Außentemperatur als Maßstab: Dabei gibt es in Baden-Württemberg schon ab 25 Grad im Schatten Hitzefrei, in Hamburg muss das Thermometer erst auf 27 Grad klettern.
  • In anderen Ländern ist die Temperatur in den Klassenzimmern entscheidend - die Kultusministerien unterscheiden sich auch darin, wie viel Hitze sie für zumutbar halten. Bremen und Brandenburg nennen eine Innentemperatur von 25 Grad als Bedingung für Hitzefrei, in Sachsen müssen die Schüler dagegen noch bis zu einer Temperatur bis 26 Grad in der Schule bleiben. NRW mutetet den Kindern und Jugendlichen Temperaturen bis zu 27 Grad in den Klassen zu.
  • Unterschiede gibt es auch in der Frage, wann die Schüler vorzeitig nach Hause geschickt werden dürfen. In Hamburg sollen sie bei Hitzefrei frühestens um 11.30 Uhr gehen, in Brandenburg spätestens um zwölf Uhr.
  • Hitzefrei gibt es heute seltener als früher - trotz des Klimawandels. Das hängt zum Beispiel mit dem Ganztagsausbau zusammen. So schreiben viele Länder den Schulen inzwischen vor, dass sie bei vorzeitigem Unterrichtsschluss weiterhin die Betreuung der Schüler sicherstellen müssen. Teilweise wird für Hitzefrei auch das Einverständnis der Eltern verlangt. Der Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg wies schon vor einigen Jahren darauf hin, dass Hitzefrei langsam aussterbe.
Kinderbetreuung bei Hitzefrei: Eltern können sich freistellen lassen

Wenn Schulkinder hitzefrei bekommen, stehen viele berufstätige Eltern vor der Frage, wie sie die Kinderbetreuung organisieren. Für eine kurzfristige erforderliche Betreuung können Arbeitnehmer in vielen Fällen vom Chef freigestellt werden. Denn in Paragraf 616 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gibt es eine Regelung, nach der Arbeitnehmer freizustellen sind, wenn sie ihre Arbeitsleistungen aus persönlichen Gründen kurzzeitig nicht erbringen können, erläutert Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Eine Voraussetzung für eine solche Freistellung sei allerdings, dass der Schulausfall so kurzfristig erfolgt, dass betroffene Eltern die Betreuung nicht anderweitig organisieren können und es auch sonst keine Möglichkeit zur Betreuung gibt. Außerdem können Arbeitgeber laut Oberthür die Regelung in Arbeits- oder Tarifvertrag ausschließen. Dann müsse der Arbeitnehmer Urlaub oder Freizeitausgleich nehmen, wenn das möglich ist. (dpa)

Die Regelungen im Einzelnen:

Bayern: Eine gesetzliche Regelung zum Hitzefrei gibt es nicht. Die Schulleitung entscheidet vor Ort; dabei hat sie die "konkrete Situation an der Schule zu berücksichtigen". Dazu gehört zum Beispiel die Frage, ob Schülerinnen und Schüler bei vorzeitigem Unterrichtsende nach Hause kommen können - also ob die Busse fahren.

Baden-Württemberg: Hitzefrei gibt es generell erst ab der vierten Stunde und nicht an beruflichen Schulen und in der gymnasialen Oberstufe. Über Hitzefrei entscheiden die Schulleiter. Das Kultusministerium hat aber Kriterien aufgestellt: Hitzefrei empfiehlt es, wenn die Außentemperatur um elf Uhr mindestens 25 Grad im Schatten beträgt.

Saarland: Einen "Hitzefrei-Erlass" hat das Saarland 2006 aufgehoben, um verlässliche Unterrichtszeiten zu schaffen - auch auf Wunsch vieler Eltern, wie es damals hieß. Bei überhitzten Klassenzimmern empfiehlt das Kultusministerium, "geeignete Orte aufzusuchen": "So können z. B. in der letzten Woche vor den großen Ferien Waldexkursionen, Schwimmbadbesuche oder ähnliche Unternehmungen veranstaltet werden", heißt es vom Kultusministerium. Sportveranstaltungen sollen verschoben werden. Vorzeitig freigeben dürfen die Schulen nur, wenn sie sonst keine Möglichkeit der Betreuung finden - und wenn sie das Einverständnis der Erziehungsberechtigten eingeholt haben.

Rheinland-Pfalz: Seit Anfang der 90er Jahre entscheiden die Schulen, ob sie Hitzefrei geben. Eine Richttemperatur gibt es dabei nicht.

Hessen: Bei hohen Temperaturen dürfen hessische Schulen laut einem Erlass des Kultusministeriums aus dem Jahr 2015 zu "alternativen Formen des Unterrichts" greifen, auf Hausaufgaben verzichten - oder den Unterricht vorzeitig beenden, allerdings erst nach der fünften Stunde. Die Entscheidung obliegt der Schulleitung, die sich mit Nachbarschulen abstimmen soll. Die Hitzefrei-Regelung gilt nicht für die Oberstufe. Für Schülerinnen und Schüler, die nicht vorzeitig nach Hause geschickt werden können, muss die Schule "geeignete Beschäftigungs-, Betreuungs- oder Aufenthaltsmöglichkeiten bis zum Ende der regulären Unterrichtszeit" bereitstellen.

Thüringen: Die Schulleitung entscheidet über Hitzefrei - "nach Beurteilung der konkreten Situation im Schulgebäude", wie das Thüringer Bildungsministerium auf Facebook mitteilt. An Schulen, in denen die Kinder und Jugendlichen auf einen Schulbus angewiesen sind, muss dabei der Schulträger in die Entscheidung eingebunden werden. In der Regel sind das die Landkreise oder Städte, die auch für die Schulbusse zuständig sind. Die Schulen haben an heißen Tagen die Möglichkeit, Unterrichtsstunden zu verkürzen.

Sachsen: Die Schulen entscheiden vor Ort über Hitzefrei. Das Kultusministerium nennt dabei keine Richttemperatur. Alternativ können Schulen im Freistaat die Stunden verkürzen, Pausen verlängern oder Unterricht nach draußen verlegen. Damit die Aufsicht der Schüler trotz Hitzefrei gewährleistet ist, haben manche Grundschulen laut Kultusministerium Kooperationen mit Horten geschlossen.

Nordrhein-Westfalen: Nordrhein-Westfalen überlässt den Schulleitern die Entscheidung über Hitzefrei, nennt als "Anhaltspunkt" aber eine Raumtemperatur von mehr als 27 Grad. Bei einer Raumtemperatur unter 25 Grad darf kein Hitzefrei gegeben werden. Bei Schülerinnen der Klassen 5 und 6 müssen die Eltern in die Entscheidung einbezogen werden. Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe 2 bekommen kein Hitzefrei. Klassenarbeiten sollten bei hohen Temperaturen "nach Möglichkeit nicht geschrieben werden", heißt es im entsprechenden Erlass des Kultusministeriums.

Niedersachsen: Der Schulleiter kann dem Runderlass zur Unterrichtsorganisation zufolge Hitzefrei geben, "wenn der Unterricht durch hohe Temperaturen in den Schulräumen erheblich beeinträchtigt wird und andere Formen der Unterrichtsgestaltung nicht sinnvoll erscheinen". Damit die Schüler nach Hause kommen, muss er die Verantwortlichen für die Schülerbeförderung "unverzüglich in Kenntnis" setzen. Grundschüler dürfen nur nach vorherigen Zustimmung der Erziehungsberechtigten nach Hause geschickt werden. Oberstufenschüler bekommen kein Hitzefrei.

Sachsen-Anhalt: Als Regel gilt in Sachsen-Anhalt: An Tagen, an denen die Temperatur in einem "repräsentativen Unterrichtsraum" um elf Uhr 26 Grad oder mehr erreicht, kann Hitzefrei gegeben werden. Hitzefrei gibt es dabei erst nach der fünften Stunde und nur für die Schüler bis zur Klasse 10. Die Entscheidung trifft die Schulleitung. In Ausnahmefällen darf sie den Unterricht schon nach der vierten Stunde beenden. Daneben können die Schulen Stunden verkürzen, in Ausnahmefälle auch für die Jahrgangsstufen 11 und 12. Im vergangenen Jahr hatte das Kultusministerium die Hitzefrei-Regelung nach den Sommerferien für eine Woche gelockert: Die Schulleitungen durften schon zu Unterrichtsbeginn und nicht erst ab elf Uhr die Raumtemperatur messen - weil sich viele Gebäude in den Ferienwochen aufgeheizt hätten, wie ein Ministeriumssprecher gegenüber dem MDR sagte.

Bremen: Der Bremer Senat empfiehlt den Schulleitungen Hitzefrei ab einer Raumtemperatur von 25 Grad. "Die Temperatur ist in einem Raum zu messen, der nicht der unmittelbaren Sonnenbestrahlung ausgesetzt ist und möglichst die Durchschnittstemperatur im Gebäude aufweist", heißt es in der entsprechenden Regelung über die "vorzeitige Beendigung des Unterrichts bei großer Hitze". Es gibt allerdings Unterschiede je nach Klassenstufe. Für die Jahrgangsstufen 1 bis 4 gibt es Hitzefrei zum "Ende derjenigen Unterrichtsstunde, in deren Verlauf im Schulgebäude eine Temperatur von mindestens 25 Grad Celsius festgestellt wurde", für die Fünft- bis Zehntklässler erst ab der Stunde darauf. Oberstufenschüler sind ausgeschlossen.

Brandenburg: Hitzefrei gibt es, wenn um zehn Uhr eine Außentemperatur von mindestens 25 Grad im Schatten gemessen wird - oder um elf Uhr 25 Grad in einem repräsentativen Raum in der Schule. Der Unterricht soll dann spätestens um zwölf Uhr enden, die Entscheidung trifft auch hier die Schulleitung. Für Schüler der Oberstufe soll der Unterricht "in der Regel dem Stundenplan entsprechend" fortgesetzt werden. Klausuren sollen bei Hitze aber möglichst nicht geschrieben werden, so sieht es die entsprechende Verwaltungsvorschrift vor.

Berlin: Der Senat nennt keine bestimmte Temperatur, ab der Hitzefrei gegeben werden kann. Der Unterricht soll "den Witterungsverhältnissen angepasst" stattfinden und nur in Ausnahmefällen ausfallen. Die Schulen würden sich deswegen laut Senat oft für verkürzte Stunden entscheiden. Die Oberstufe ist von der Regelung ausgenommen; Schwimmunterricht in der Grundschule muss laut den entsprechenden Bestimmungen "auch in den Fällen einer Hitzewelle" stattfinden.

Hamburg: Hitzefrei können Hamburger Schulen ab einer Außentemperatur von 27 Grad geben und einer Innentemperatur, die "nicht mehr zumutbar" erscheint. Vorzeitig beendet werden darf der Unterricht aber frühestens ab 11.30 Uhr. Die Schulkonferenz vor Ort kann "im Rahmen der Vorgaben besondere Regelungen" beschließen, heißt es in den entsprechenden Bestimmungen für die Klassen 1 bis 10.

Schleswig-Holstein: Die Regelung in Schleswig-Holschein ist knapp gehalten: "Bei außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen im Sommer entscheidet die Schulleiterin oder der Schulleiter im Rahmen der Fürsorgepflicht, ob und in welchem Umfang Unterricht erteilt werden kann", heißt es im entsprechenden Erlass des Kultusministeriums.

Mecklenburg-Vorpommern: Die Schulen entscheiden über Hitzefrei. Die Schulleiterinnen und Schulleiter sollen dabei laut Kultusministerium aber zunächst Alternativen prüfen, etwa ob der Unterricht in einem anderen Raum oder draußen stattfinden kann. Ist das nicht möglich, sollen zunächst Stunden verkürzt werden, so dass Hitzefrei "nicht einseitig zulasten einzelner Fächer" geht. Der Unterricht soll bei großer Hitze frühestens nach der vierten Stunde beendet werden, in Ausnahmefällen nach der dritten. Grundsätzlich gibt es nur für die Sekundarstufe 1 Hitzefrei. Oberstufenschüler können bei Hitze nur dann früher nach Hause geschickt werden, wenn das nötig ist, damit alle Fächer in der Sekundarstufe 1 gleichmäßig unterrichtet werden.

Kinderbetreuung bei Hitzefrei: Eltern können sich freistellen lassen

Wenn Schulkinder hitzefrei bekommen, stehen viele berufstätige Eltern vor der Frage, wie sie die Kinderbetreuung organisieren. Für eine kurzfristige erforderliche Betreuung können Arbeitnehmer in vielen Fällen vom Chef freigestellt werden. Denn in Paragraf 616 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gibt es eine Regelung, nach der Arbeitnehmer freizustellen sind, wenn sie ihre Arbeitsleistungen aus persönlichen Gründen kurzzeitig nicht erbringen können, erläutert Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht. Eine Voraussetzung für eine solche Freistellung sei allerdings, dass der Schulausfall so kurzfristig erfolgt, dass betroffene Eltern die Betreuung nicht anderweitig organisieren können und es auch sonst keine Möglichkeit zur Betreuung gibt. Außerdem können Arbeitgeber laut Oberthür die Regelung in Arbeits- oder Tarifvertrag ausschließen. Dann müsse der Arbeitnehmer Urlaub oder Freizeitausgleich nehmen, wenn das möglich ist. (dpa)

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