TSV 1860 München:Wie "Pro1860" zur bestimmenden Kraft beim TSV wurde

TSV 1860 München: Das städtische Stadion an der Grünwalder Straße in Giesing soll umgebaut werden.

Das städtische Stadion an der Grünwalder Straße in Giesing soll umgebaut werden.

(Foto: Sonja Marzoner)
  • Am Sonntag findet beim TSV 1860 München die Mitgliederversammlung statt.
  • Der Verein ist immer noch gespalten in der Frage, wie man mit Investor Hasan Ismaik umgehen sollte.
  • Die größte Opposition ist die Fan-Organisation "Pro1860". Sie wurde lose bereits in der Wildmoser-Ära gegründet.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

Diese Geschichte beginnt in einer Zeit, die fern und befremdlich wirkt. Der TSV 1860 München spielte in der ersten Fußball-Bundesliga, und im Internet gab es so genannte Gästebücher. Diese waren die rudimentärste Form eines sozialen Mediums, jeder konnte dort ungeordnet etwas hineinschreiben. Allerdings wurden die Gäste, wie es eben so ist bei Gästen, hinausgeschmissen, wenn sie sich in den Augen des Gastgebers ungebührlich aufführten. So war es auch auf der Seite des TSV 1860. Die Entscheidung des Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser, zur Saison 1995/96 das Stadion an der Grünwalder Straße zu verlassen und ins Olympiastadion umzuziehen, fanden viele Anhänger falsch. Das durften sie aber nicht hinschreiben. "Da wurde alles zensiert, was der große Meister ungern gelesen hat", erinnert sich der Blumengroßhändler Hans Vonavka, einer der ungebetenen Gäste. Daher gründeten die Wildmoser-Gegner als Alternative das so genannte Löwenforum. "Und das", sagt Vonavka, "war die Keimzelle von Pro1860."

In dieser Keimzelle lernten sich alle kennen, die das Patriarchat Wildmosers, den Auszug aus der alten Heimat, später den gemeinsamen Arenabau mit dem FC Bayern und viel später das Wirken des jordanischen Investors Hasan Ismaik kritisch beäugten. Es dauerte bis zum Februar 2006, da war Wildmoser schon weg, bis aus der losen Opposition eine Fanorganisation wurde - 25 Personen gründeten im Lokal Herzogs in Obergiesing Pro1860.

Wolfgang Hauner, der ehemalige Fußball-Abteilungsleiter, sagte vor knapp zehn Jahren über das Ziel der Gruppe, ins Grünwalder Stadion zurückzukehren: "Wenn sie das schaffen, muss ich sagen, Respekt. Aber die Zukunft wird es zeigen."

Die Zukunft hat es gezeigt - die Saison 2016/17, als Ismaik Geld ohne Ende verbrennen durfte, die Mannschaft doch abstieg und der Klub keine Drittliga-Lizenz erhielt, führte zurück nach Giesing. Und Pro1860 ist heute die dominierende Gruppe im TSV 1860 e.V. - Vizepräsident Heinz Schmidt gehört dazu, die Verwaltungsräte Markus Drees, Sebastian Seeböck und Sascha Königsberg sind ebenfalls Mitglieder. Die anderen Verwaltungsräte standen allesamt auf der Vorschlagsliste der Gruppe. Und der jetzige Präsident Robert Reisinger wurde bereits 2010 mit Pro1860-Stimmen zum Fußball-Abteilungsleiter und zu Hauners Nachfolger gewählt.

Viele Pro1860-Mitglieder und Gäste sind an diesem Dienstagabend in die Giesinger Gaststätte Gartenstadt gekommen, zum letzten Stammtisch vor der Mitgliederversammlung am Sonntag. Auch Ulla Hoppen, die den Antrag zur Aufkündigung des Kooperationsvertrags mit Ismaik stellte. Und der Schriftsteller und Journalist Arik Steen, Autor von Werken wie "Sklavenschwester" oder "Unterwerfung auf Burg Sylvenstahl" sowie Betreiber des Internet-Blogs Löwenmagazin. Dieses begreift sich in der Post-Gästebuch-Ära als Korrektiv zum überaus investorenfreundlichen Portal dieblaue24 und sammelt Informationen über Ismaiks rätselhaftes Wirken in seiner Heimat.

Ganz sicher, dass sie gewinnen, dass das Präsidium und der Konfrontationskurs zum Investor also wieder gewählt werden, sind sich die Leute beim Stammtisch nicht. Aber schon ziemlich sicher. Sie haben viele Jahre darauf hingearbeitet, dass sie sich nun ziemlich sicher sein dürfen.

Die Mehrheit in der Fußball-Abteilungsversammlung erreichte Pro1860 bereits im Jahr seiner Gründung, die Gruppe stellte schon 2006 mehr als die Hälfte der Delegierten. Es war die so genannte Wildmoser-Satzung, die ihren Einfluss reduzierte. Denn bei der Zusammenstellung des von jenen Delegierten gewählten Aufsichtsrats fühlten sie sich über den Tisch gezogen - beispielsweise wurde ihnen der damalige Oberbürgermeister Christian Ude zugeordnet, was sich inhaltlich dann nicht belegen ließ.

Insgesamt waren die Pro1860-Leute damals, so sieht Vorstandsmitglied und Sprecher Vonavka das, etwas naiv: "Man muss sich das so vorstellen: Die Grünen haben sich gerade gegründet und werden mit der Bildung der Bundesregierung beauftragt."

Die Grünen. Von Joschka Fischer im Strickpulli zur Volkspartei. Es bietet sich an, diesen Vergleich umgehend zu verwerfen, sobald er einem eingefallen ist, weil er so naheliegend ist. Aber wenn es Vonavka sagt: Dann sind die Leute von Pro1860 halt die Grünen der Blauen.

Hans Vonavka, Sprecher Pro1860

"An die These vom guten Führer hat hier niemand geglaubt. Aber am Anfang war den Leuten ja noch gar nicht klar, dass man eine Satzung auch ändern kann."

"Es war immer die Angst da: Die sind intelligent, die planen den Marsch durch die Instanzen", meint er. Und die Naivität der Gründer war dann auch schnell vorbei. Sie hatten erkannt, dass sie das komplizierte Delegiertensystem abschaffen mussten, weil es stets dazu führte, dass sich die Machthaber im Verein gegenseitig wählten und kontrollierten. Wildmoser war zwar längst weg - "aber an die These vom guten Führer hat hier niemand geglaubt", sagt Vonavka. Sie wollten ein Direktwahlrecht der Mitglieder einführen, um mit ihrer Mehrheit etwas anfangen zu können: "Am Anfang war den Leuten ja noch gar nicht klar, dass man eine Satzung auch ändern kann." Nun übernahm Herbert Bergmaier, der Verleger des Münchner Wochenanzeigers, eine entscheidende Rolle bei Pro1860. "Der Herbert Bergmaier hat gesagt: Mit so Zeug kenn' ich mich aus, diese Satzungsänderung mache ich jetzt zu meinem Hobby", berichtet Vonavka. Eine Kommission aus mehr als einem Dutzend Leuten kümmerte sich nun um das Projekt.

"Es ist klar, dass meine Haltung mit der schönen Scheinwelt aufeinanderprallt"

Als Pro1860 seine Delegierten für die Versammlung 2013 zusammenstellte, gab es nur ein Kriterium, erzählt Vonavka: "Sind Sie bereit, sich selbst abzuschaffen? Wenn das jemand mit Ja beantwortet hat, kam er auf die Liste." Es war jene Versammlung im April in Planegg, in der Hep Monatzeder, dritter Bürgermeister, als Präsident nicht bestätigt wurde. Er hatte sich einige Jahre zuvor für den Abriss des Grünwalder Stadions ausgesprochen.

Am Sonntag wird wieder gewählt, diesmal wird Pro1860 den Präsidenten natürlich unterstützen. Am Donnerstag gab Investor Ismaik im kicker eine Wahlempfehlung ab - selbstredend gegen Reisinger, und er spielte dabei auf Pro1860 an: "Ich stelle mir immer wieder die Frage, wollen in diesem Verein wirklich alle den sportlichen Erfolg? Ich sage klipp und klar: Nein! Es kann nicht sein, dass das Schicksal von 1860 von 500 bis 700 gut organisierten Personen bestimmt wird. Die Löwen-Familie ist viel, viel größer."

Ex–Präsident Gerhard Mayrhofer

"Im Verein gab es immer mehr Aktionen gegen uns, organisiert von einer Gruppe von Menschen, die offensichtlich mit dem Thema Profifußball ein Problem haben."

Der ehemalige Präsident Gerhard Mayrhofer sieht das auch so. Er verfolgte eine Politik der Annäherung gegenüber Ismaik. Er wollte, dass Ismaik investiert. Und er verzweifelte daran, dass Ismaik damals nicht investieren wollte oder konnte. Während die Pro1860-Vertreter von Mayrhofers großem Ego überrascht waren, fühlte er sich mit seinem Präsidium regelrecht gemobbt. "Im Verein gab es immer mehr Aktionen gegen uns, organisiert von einer Gruppe von Menschen, die offensichtlich mit dem Thema Profifußball ein Problem haben", sagt Gerhard Mayrhofer. "Das sind diese Menschen, die heute den Verein beherrschen." Beispielsweise sei er beim Versuch, Ismaik letztlich zu einem Verkauf der Anteile an einen anderen Investor zu bewegen und Felix Magath als Sportchef zu 1860 zu bringen, nicht nur an der "ungewöhnlichen Geschäftspolitik" Ismaiks gescheitert, sondern auch "an gezielten internen Indiskretionen durch den e.V.".

"Diese Damen und Herren haben auch die Satzung so verändert, dass ein Präsidium de facto nichts mehr ohne andere Gremien entscheiden kann - allerdings steht das Präsidium voll in der Haftung, die Gremien nicht", klagt Mayrhofer. "Man hat mir erklärt, das diene dazu, um Wildmoser-Verhältnisse zu verhindern." Sein Eindruck sei aber gewesen, dass der wirkliche Hintergrund "der eigene Machterhaltungsanspruch" sei: "Das hat sich auch in zahlreichen Aktionen so dargestellt."

Ob die Sympathisanten von Pro1860 die Mehrheit der Anhänger oder der Mitglieder stellen, wird immer wieder in Frage gestellt, obwohl die Gruppierung immer wieder die Mehrheit bekommt. Dann ist die Rede von Profifußball-Fans, die weit weg auf dem Land wohnen oder gar in Hamburg, die daher nicht zur Mitgliederversammlung erscheinen und auch nicht mitbestimmen. Dass es diese Leute gibt, ist unbestritten. Beim Stammtisch von Pro1860 hört man aber in vielen Gesprächen eine Sicht der Dinge raus, in der der Fernsehzuschauer aus Hamburg keine Rolle spielt. Pro1860 begreift auch den Fußballklub als Verein im wahrsten Sinne. Als eine Gemeinschaft, die nicht nur 90 Minuten dauert, als sozialen Treffpunkt, und nicht als bloßes Unterhaltungsprodukt.

"Die Ansätze zum Fußball sind bei uns im TSV 1860 diametral", sagt auch Vonavka. "Es mag im Fußball schon sein, dass eine gewisse Basisdemokratie nicht unbedingt den maximalen Erfolg bringt. Aber ich will nicht Fan von einem Verein wie RB Leipzig sein. Es ist mir auch klar, dass meine Haltung mit der schönen Scheinwelt Fußball aufeinanderprallt."

Eine weitere Sache, die die Gegner von Pro1860 rasend macht, bestreitet Vonavka auch nicht: dass ihm der Spielort wichtiger ist als die Ligazugehörigkeit. Wenn er wählen müsste, dritte Liga in Giesing oder zweite Liga irgendwo am Stadtrand? "Dann lieber dritte Liga hier, wobei ich denke, dass zweite Liga auch gehen würde." Wenn er als Stadionanbeter bezeichnet wird, stellt Vonavka klar, dass er eher ein Stadtteilanbeter ist: "Es geht um die Komponente Grünwalder plus Giesing, weil du hinterher gerne noch mit einem Spezl in die Kneipen gehst. Du kannst auch mal einen Spieltag genießen, wenn du verloren hast - das geht nur bei St. Pauli, Union Berlin oder bei uns, bei Kultklubs." Die Arena hingegen: "Wenn du aus der U-Bahn raus warst und da hoch gelaufen bist, da ist dir schon der Hals gewachsen."

Die Gegner, die gerne in der Arena geblieben wären, die gerne auf Darlehensbasis wieder nach oben wollen, die die Marke Sechzig bloß über Erfolg definieren, finden: dass Pro1860 den Verein unterwandert habe und sektenähnliche Züge trage. "Die Ismaik-Vertreter wittern immer eine Verschwörung, aber das ist eine Form von Schwarmintelligenz", sagt Vonavka. Von den Menschen, die sich fanden, weil sie ähnliche Auffassungen haben, tun alle, was sie am besten können: Steuerberater Schmidt kümmert sich um die Finanzen, Architekt Roman Beer von den "Freunden des Sechzigerstadions" beschäftigte sich mit der Frage des Stadionausbaus, Bergmaier plante die Satzungsänderung, Wochenanzeiger-Journalist Ralph Drechsel, intern "Mr. Brain" genannt, verfasst regelmäßig klubpolitische Veröffentlichungen. So ergibt sich etwas, das von außen wie eine strenge Hierarchie aussehen mag.

Und wie die Dinge abliefen - erst die Satzungsänderung, dann der Abstieg bis in die Regionalliga und die damit verbundene Rückkehr ins Grünwalder -, klingt nach einem Masterplan. "Dass Dinge sich entwickeln und eine Eigendynamik haben, ist manchen Leuten nicht klar", sagt Vonavka. "Die denken immer, das muss jemand gedeichselt haben."

Vielleicht ist es ja einfach bloß so: Der Größenwahn hat diesen Klub aus Giesing vertrieben, und der Größenwahn hat ihn wieder dorthin zurückgeführt. Und Pro1860 hat den TSV auf diesem Weg begleitet. Dass manche Geschichten kaum zu glauben sind, sieht aber auch Vonavka so. "Wer hätte es gedacht, dass es ausgerechnet Hasan Ismaik ist, der uns ins Grünwalder Stadion zurück bringt?", fragt er. Sein lautes Lachen hallt durch den Biergarten in der Gaststätte Gartenstadt. Es ist ja auch wirklich eine brillante Pointe.

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