Gesundheitspolitik:Wie Menschen ohne Krankenversicherung geholfen wird

Gesundheitspolitik: Hans-Detlef Neumann ist eigentlich längst in Rente, doch ehrenamtlich untersucht er Patienten ohne Versicherungsschutz.

Hans-Detlef Neumann ist eigentlich längst in Rente, doch ehrenamtlich untersucht er Patienten ohne Versicherungsschutz.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ehrenamtlich behandeln Ärzte bei den Maltesern Menschen, die medizinische Hilfe brauchen, aber keine Krankenversicherung haben. Der größte Teil der Patienten stammt aus anderen EU-Staaten, doch auch die Zahl der Deutschen nimmt zu.

Von Sven Loerzer

Manchmal tut es richtig weh, sagt Ludwig Maier. Sein Gesichtsausdruck spiegelt den Schmerz wider, den er empfindet, wenn er nicht helfen kann. Ludwig Maier ist längst in Rente, doch der 77-jährige Gynäkologe hält im Wechsel mit drei Kollegen noch regelmäßig Sprechstunde: Ehrenamtlich kümmert er sich bei der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung um Patientinnen, die es sich nicht leisten können, für eine medizinische Behandlung zu bezahlen. Viele Risikoschwangerschaften hat er schon begleitet, vielen Frauen konnte er helfen. Um so mehr schmerzt es ihn, wenn er an Grenzen stößt, wie etwa bei der Frau aus Südamerika, die einen Eierstocktumor hatte und wegen eines Rückfalls einen Klinikplatz benötigt hätte: "In keinem großen Krankenhaus bin ich über die Anmeldung hinausgekommen", sagt Maier. Mit der Frage nach dem Kostenträger, den es in diesem Fall nicht gibt, war das Gespräch zu Ende.

Über ähnliche Erfahrungen können auch die beiden Internisten Fridolin Clemens Volk, 74, und Hans-Detlef Neumann, 77, berichten, die sich seit fast zehn Jahren ehrenamtlich um nicht Krankenversicherte kümmern. "Wenn schwerwiegende Erkrankungen vorliegen, die eine Krankenhausbehandlung oder fachärztliche Untersuchungen erforderlich machen, dann beginnen die Komplikationen", sagt Volk. Denn in ihrem kleinen Sprechzimmer in den Räumen der Münchner Malteser in der Streitfeldstraße 1 in Berg am Laim können sie nur ein Elektrokardiogramm und Ultraschalluntersuchungen machen. Wenn aber eine Röntgenuntersuchung oder eine Computertomografie erforderlich sind, dann sind die Ärzte auf gutwillige Kollegen angewiesen, die teure Untersuchungen für wenig Geld oder umsonst machen. Doch das sind wenige. Schwierig wird es bei bösartigen Tumoren, erklärt Volk: "Da braucht es aufwendige Diagnostik und teure OPs." Oder, wenn eine akute Hepatitis-B-Erkrankung vorliegt: "Die erfordert eine kostenintensive Therapie, die monatlich in die Tausende Euro geht."

Knapp 800 Patienten behandelten die Ärzte der Malteser Medizin im vergangenen Jahr. Darunter 365 Patienten, die erstmals die Anlaufstelle aufsuchten, die neben der zweimal wöchentlich angebotenen allgemeinärztlichen und zahnärztlichen Sprechstunde auch noch frauenärztliche und kinderärztliche Sprechstunden bietet. Sieben Prozent der Patienten hatten keinen gesicherten Aufenthaltsstatus, weitere sieben Prozent waren Touristen. Insgesamt 36 Prozent der Patienten sind aus Rumänien und Bulgarien und leiden meist unter Rücken- und Gelenkbeschwerden. Dies führt Volk auf "einseitige Tätigkeiten auf dem Bau oder im Gartenbau" zurück. Als Tagelöhner und Saisonarbeiter würden die Leute "böse ausgenutzt, sie müssen mit dem Entgelt zufrieden sein, das sie bekommen". Nicht versicherte EU-Zuwanderer, die Arbeit suchen und nach gesetzlichen Änderungen keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, sind die weitaus größte Gruppe der Hilfesuchenden.

Auffallend aber sei der wachsende Anteil der Deutschen unter den Patienten, sagt die Stadtbeauftragte der Malteser, Pilar zu Salm-Horstmar, im letzten Jahr waren es 16 Prozent. Meist handele es sich dabei um Selbständige, die privat versichert sind, aber die Beiträge nicht mehr bezahlen können, erklärt Volk, etwa wegen einer Insolvenz. Dann übernehme die Versicherung nur noch die Kosten für Notfallbehandlungen. Den vollen Versicherungsschutz könnten die Betroffenen meist nicht wiedererlangen, da sie dazu erst die Beitragsschulden begleichen müssten.

In manchen Fällen kann die Sozialberatung, die der kostenlosen medizinischen Behandlung vorausgeht, eine Lösung finden. So konnte einem 33-Jährigen geholfen werden, der seit einem Jahr die Beiträge zur privaten Krankenversicherung nicht mehr bezahlen konnte. Mit Hilfe der Malteser-Berater meldete sich der Mann beim Jobcenter an - und konnte wieder krankenversichert werden, nachdem Jobcenter und Krankenkasse mit einer Ratenzahlung für die Beitragsschulden einverstanden waren.

Der Stadtrat hat beschlossen, eine Clearingstelle "Gesundheit" einzurichten

Auch einer Frau, die wegen Zahnschmerzen kam, konnte wieder zu einer Versicherung verholfen werden: Sie hatte mit Erreichen des Rentenalters das Berufsleben beendet, war aber mit der Beantragung der Rente mangels Sprachkenntnissen überfordert. Sie hatte wichtige Unterlagen nicht ausgefüllt und Fristen versäumt.

Weil Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass es bei bis zu 30 Prozent der Hilfe suchenden Menschen ohne Krankenversicherung gelingt, ihnen wieder eine Versicherung zu verschaffen, hat der Stadtrat im vergangenen Jahr beschlossen, eine Clearingstelle "Gesundheit" einzurichten, die sich in einer dreijährigen Pilotphase um die Klärung der schwierigen sozialrechtlichen Fragen im Einzelfall kümmert. Die Ausschreibung für die Auswahl eines geeigneten Trägers soll in diesen Tagen starten. Die Stelle soll auch den Gesundheitsfonds verwalten, den die Stadt jährlich mit 500 000 Euro ausstattet, um daraus medizinisch notwendige Facharzt- und Klinikbehandlungen für mittellose Menschen zu bezahlen.

Ob das auch reicht für Behandlungen, die wegen besonderer Umstände sehr kostspielig sein können? Die Allgemeinmedizinerin Brigitte Röhmel, 76, treibt gerade die Sorge um eine Patientin der Malteser Medizin um. Die leidet unter der Darmerkrankung Morbus Crohn. Doch unter den üblicherweise eingesetzten, in der Regel gut wirksamen Medikamenten habe sie eine Anämie entwickelt. Es gäbe eine Alternative, zwei Spritzen pro Monat, jede zu rund 1800 Euro. Aber ohne Versicherung kann sich das die Frau, die vor Jahren nach Deutschland kam, nicht leisten. Ihre Ärztin will nun mit einem Spezialisten klären, ob es eine andere, günstigere Lösung gibt. "Gott sei Dank ist es sonst nicht immer so schwierig", sagt Brigitte Röhmel.

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