Schauspiel:Mädchen an Schlachtplatte

Schauspiel: Raumgreifendes Spiel: Timocin Ziegler, Ines Hollinger, Mara Widmann, Nicolas Streit und Nina Steils in "Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino".

Raumgreifendes Spiel: Timocin Ziegler, Ines Hollinger, Mara Widmann, Nicolas Streit und Nina Steils in "Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino".

(Foto: Gabriela Neeb)

Mirja Biel inszeniert am Volkstheater mit Verve Martin Crimps Antikenübermalung "Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino"

Von Egbert Tholl

Es ist noch gar nichts passiert, und doch ahnt man bereits, dass dies ein faszinierender Abend werden könnte. Im Dunkel auf der Bühne kann man die Traversen erkennen, an denen die Scheinwerfer hängen. Aber das ist seltsam: Die Traversen laufen aufs Publikum zu, hängen nicht quer zur Rampe. Außerdem befinden sie sich zunächst nur einen halben Meter über den Boden. Weniger als die Länge eines Spielfilms später weiß man dann, dass die Beleuchtung von Björn Gerum und die Musik von Fee Kürten die eigentliche Ausstattung der Inszenierung gewesen sein werden. Da stehen zwar noch ein paar Sessel herum und ein rätselhafter schwarzer Kasten, aber das Konzert aus Licht und Ton, der gleißende, wummernde, blitzende, hämmernde, irisierende Bumms ist das Ereignis. Neben den Menschen auf der Bühne natürlich.

Ende 2013 inszenierte Katie Mitchell am Hamburger Schauspielhaus Martin Crimps "Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino", jetzt hat es das Stück ans Münchner Volkstheater geschafft. Dort bringt es Mirja Biel auf die große Bühne, und nach längerer Abstinenz kann man da mal wieder Theaterkunst erleben, die zwar auch erzählt, aber dieses Erzählen überführt in eine sehr eigene, durchgestaltete Welt. Die auch beklemmend ist. Zwar nicht so sehr, dass man nun mitheulen muss, aber doch so, dass die 100 Minuten einem mit verstörender Rasanz durch den Schädel rauschen.

Crimps Text ist eine eigenwillige Übermalung der "Phönizierinnen" des Euripides. Seltsam deshalb, weil das Stück einerseits ins Heute drängt, andererseits in der Antike verhaftet bleibt. Es geht um den Bruderkampf zwischen Polyneikes (Timocin Ziegler) und Eteokles (Nicolas Streit). Ihr Vater Ödipus, der als erzählte Figur und eine Wurzel des Übels hier sozusagen im Hintergrund herumgeistert, hat sich nach dem Erkennen seiner Taten geblendet, Iokaste (Mara Widmann), Ödipus' Frau und Mutter und Mutter der beiden "verkorksten Scheißer", hadert, Antigone (Pola Jane O'Mara) hat schlechte Laune. Die Söhne beschlossen, die Macht zu teilen, jeder ein Jahr König von Theben, doch Eteokles will nichts mehr hergeben und fühlt sich recht wohl als irrer Diktator, Polyneikes will die Stadt erobern, es kommt zum Krieg, Gemetzel, Massaker. Am Ende sind beide Söhne tot, Iokaste bringt sich um, Kreon (Jonathan Müller), dessen Sohn Menoikeus (Jonathan Hutter) sich en passant selbst opferte, wird König. Daneben spinnt Teiresias (Silas Breiding) herum und garniert die Schlachtplatte mit Weissagungen.

Dazu packt Crimp ein Reden übers Theater, Anleitungen für die Darstellenden, immer wieder ihre Rollen für Momente zu verlassen, es kommen zeitgenössische Aromen, auch vom Krieg, hinzu und ein Clou: Mädchen. Phönizierinnen auf Pilgerfahrt, die in Theben hängen geblieben sind, die alles wissen und alles gelesen haben, die alle Rätsel der Sphinx kennen und geheimnisvoll leuchten. Nina Steils und Ines Hollinger, dazu kommt das junge Mädchen Anna Roth. Manchmal erinnern die drei an Mädchen aus einem Stephen-King-Film, sie sind meist ausgesprochen freundlich, aber eigensinnig, verschroben. Mirja Biel gibt ihnen klar definierte Freiräume, die sie mit einem Glitzern erobern. Nie war Nina Steils so toll, seit sie am Volkstheater engagiert ist, ein auratisches Faszinosum.

Im Grunde geht es um die Mädchen und Iokaste. Die Männer machen Unfug, aber mit Verve, die Frauen leiden oder wissen Bescheid. Mara Widmann ist eine fabelhafte Iokaste, ihre Sprache ein plastisches Erlebnis, sie und die drei sind lebender Abdruck der Geschehnisse, die die männlichen Trottel verursachen. Was wir, folgt man dem Titel, aus dem Kino kennen, sind die Bilder des Krieges, die muss man nur anstupsen im Kopf, dann kommt schon etwas Handfestes oder Splatteriges heraus. Da bleibt dann manches zwar auch diffus, was mehr an Crimp als an Mirja Biel liegt, aber das wird überdeckt durch die irisierende Aura der Mädchen, die Angst machen können, die vielleicht auch schon tot sind und deshalb so klug.

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