Libyen:Türkei droht mit Intervention

Libyen: Der abtrünnige General Khalifa Haftar.

Der abtrünnige General Khalifa Haftar.

(Foto: AFP)

Ein direktes militärisches Eingreifen ausländischer Mächte ist möglich: Libyen wird immer mehr zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges.

Von Paul-Anton Krüger

Im libyschen Bürgerkrieg ist die Schlacht um die Hauptstadt Tripolis so weit eskaliert, dass ein direktes militärisches Eingreifen ausländischer Mächte möglich erscheint. Die Türkei drohte mit einer Intervention, nachdem die sogenannte Libysche National-Armee des Kriegsherrn Khalifa Haftar sechs türkische Staatsbürger festgenommen hatte. Zwar wurden die Türken laut dem Außenministerium in Ankara wieder freigelassen. Entschärft ist der Konflikt damit aber nicht. Die Türkei unterstützt die in Tripolis ansässige international anerkannte Regierung von Premier Fayez al-Serraj. Diese stützt sich auf die militärische Macht eines Bündnisses teils islamistischer Milizen. Haftar dagegen erhält Unterstützung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten.

Haftars Sprecher Ahmed al-Mismari kündigte an, sämtliche kommerziellen Flüge aus der Türkei nach Libyen würden verboten und türkischen Schiffen die Einfahrt in die Häfen verwehrt. Er erklärte türkische Firmen in Libyen für illegal. Haftars Truppen teilten mit, sie hätten am Sonntag bei einem Luftangriff auf den Flughafen Mitiga, den einzigen funktionierenden in der Hauptstadt, eine türkische Drohne zerstört. Der Sprecher des mit Haftar verbündeten Repräsentantenhauses im Osten Libyens rief die Generalmobilmachung aus.

Vorangegangen war eine schwere Niederlage Haftars in der Schlacht um Tripolis. Er hatte am 4. April mit seinen Truppen zum Sturm angesetzt, die Großoffensive kam aber wenig später zum Stehen. Nun eroberten Truppen der Gegenseite Gharyan zurück, etwa 80 Kilometer südlich von Tripolis. Von dort hatte Haftar seinen Angriff gestartet. Die Stadt in den Nafusa-Bergen diente seinen Truppen als Hauptquartier; hier wurden Waffen und Munition aus dem Osten angeliefert. Durch den Verlust Gharyans kommen nun Haftars Einheiten in Tarhouna unter Druck. Der Ort 60 Kilometer südöstlich von Tripolis ist der zweite wichtige Stützpunkt seiner Offensive.

Seit Anfang April wurden mindestens 729 Menschen getötet

Haftar macht offenkundig die Türkei für seine Niederlage verantwortlich. Ankara hatte im Mai den regierungstreuen Einheiten Dutzende gepanzerte Fahrzeuge vom Typ BMC Kirpi geliefert und Drohnen zur Verfügung gestellt. Die Türkei reagierte damit auf die militärische Unterstützung der Emirate und Ägyptens für Haftar. Wie die Vereinten Nationen dokumentiert haben, fliegen emiratische Wing-Loong-Drohnen aus chinesischer Produktion Luftangriffe für Haftars Truppen. Da weder die Regierungstruppen noch Haftars Einheiten für den Betrieb unbemannter Flugzeuge ausgebildet sind, vermuten Experten, dass sie von Soldaten oder Experten aus den Lieferländern gesteuert werden. Die Emirate haben Haftar ebenfalls Panzerfahrzeuge und andere Waffen geliefert.

In Gharyan fanden Regierungstruppen vier hochmoderne Javelin-Panzerabwehrraketen aus US-Produktion in Haftars verlassenem Hauptquartier. Sie stammen aus einer Charge, die ursprünglich 2008 an die Emirate und Oman geliefert worden war. Das Außenministerium in Washington hat eine Untersuchung eingeleitet. Da Oman in Libyen nicht beteiligt ist, liegt der Verdacht nahe, dass die Emirate die Waffen, die pro Stück mehr als 170 000 Dollar kosten, entgegen entsprechender Vereinbarungen mit den USA weitergegeben haben. Laut westlichen Diplomaten haben die Emirate auch aus Russland stammende Luftabwehrsysteme an Haftar geliefert. Emiratische und ägyptische Kampfjets sollen ihm in der Schlacht um Benghazi Luftunterstützung geleistet haben. Die Waffenlieferungen wie auch weitergehende direkte militärische Unterstützung verstoßen gegen die geltenden UN-Sanktionen.

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind bei den Kämpfen um Tripolis seit Anfang April mindestens 729 Menschen getötet und 4400 verletzt worden. Mehr als 100 000 Einwohner wurden vertrieben. Haftar hatte seine Offensive wenige Tage vor einer geplanten Friedenskonferenz gestartet, die der UN-Sondergesandte Ghassan Salamé ausrichten wollte. Dabei sollte die seit 2014 währende Spaltung Libyens mit zwei rivalisierenden Regierungen überwunden werden und über eine Machtteilung sowie Wahlen in dem nordafrikanischen Land beraten werden. Kritiker sehen sich bestätigt, dass Haftar sich zum Diktator aufschwingen wolle.

Haftar gibt vor, in Libyen gegen islamistische Kräfte vorzugehen. Das bringt ihm die Unterstützung der Emirate und Ägyptens ein, kurz vor Beginn der Offensive hatte ihn zudem der saudische König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman in Riad empfangen. Neben der Türkei unterstützt auch Katar Kräfte aufseiten der international anerkannten Regierung, vor allem Milizen aus Misrata, die bei der Verteidigung von Tripolis eine zentrale Rolle spielen. Libyen ist damit zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges geworden, in dem die externen Mächte nun direkt militärisch aufeinanderprallen könnten. Die internationale Gemeinschaft ist gespalten: Russland und Frankreich haben Haftar mehr oder weniger offen unterstützt, Italien die Regierung von Premier Serraj. Die USA stehen offiziell auf Serrajs Seite, US-Präsident Donald Trump hatte dies in einem Telefonat mit Haftar im April jedoch infrage gestellt.

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