Digitale Experimente:Chancen und Grenzen erkennen

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Die Hochschulen testen derzeit viele E-Learning-Methoden. Dabei setzen sie auch auf das Engagement der Studenten.

Von Christine Demmer

Die digitale Lehre im Master-Schwerpunkt Operations Management findet in der Hochschule Koblenz in einem Labor von der Größe zweier Hörsäle statt. In der sogenannten Modellfabrik wird die gesamte Liefer-, Produktions- und Vertriebskette eines Lkw-Werks simuliert. Dicht an dicht stehen Desktop-Computer, Tablets und 3D-Drucker neben quietschbunten Spielzeug-Lastwagen, die die angehenden Produktionsleiter eigenhändig zusammenbauen. Hier planen sie, beschaffen, produzieren und vermarkten wie in einem realen Betrieb - und müssen immer wieder blitzschnell umdisponieren. Heute verzögert sich eine Ersatzteillieferung, weil ein Containerschiff am Horn von Afrika von Piraten gestürmt wurde. Morgen fallen hitzebedingt zentrale Maschinen aus. Übermorgen sorgt eine Riesenbestellung für Turbulenzen. Dann müssen die Studierenden mit Professor Jörg Lux als Coach an der Seite überlegen, was zu tun ist. "Nur mit Zahlen können die jungen Leute nichts anfangen", sagt Lux, der die Modellfabrik miterfunden hat. An der Hochschule am Zusammenfluss von Rhein und Mosel doziert man nicht über Digitales, sondern macht es anfassbar.

Nur online lernen, das widerstrebt Studenten. Sie verlangen auch nach persönlicher Beratung

Über die Chancen und die Grenzen der Lehre mit moderner IT-Technologie wird an allen Hochschulen nachgedacht. Dabei zeigen sich große Unterschiede. Anfänger begnügen sich damit, die Skripte und Sprechstunden der Professoren ins Internet zu stellen. Fortgeschrittene zeichnen Vorlesungen auf und platzieren sie bei You Tube. Profis bauen virtuelle Chaträume für Studenten und Professoren, in denen sie miteinander diskutieren und auch mal Kollegen von Unis aus Australien oder Singapur dazu holen.

Viele Wege führen zur digitalen Lehre. Wie schnell die Hochschulen dabei vorankommen, hängt von ihrer Finanzkraft, dem Engagement und davon ab, welche Freiheiten die Verantwortlichen genießen. Bei dem Thema bestehen auch Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen, außerdem zwischen Forschung, Lehre und Verwaltung ( siehe Grafik). Tempo machen soll die Strategieberatung des Hochschulforums Digitalisierung, eine vom Bundesbildungsministerium geförderte Idee des Stifterverbands, der Hochschulrektorenkonferenz und des CHE Centrums für Hochschulentwicklung. Interessenten müssen sich mit einem Konzept bewerben, das klare Ziele zur Weiterentwicklung der digitalen Lehre formuliert.

Sechs Hochschulen wurden in diesem Jahr ausgewählt. Bei der Auswahl geht es insbesondere darum, unterschiedliche Hochschultypen und verschiedene Strategien für den digitalen Wandel zu fördern. Zu den aktuellen Ratnehmern gehört die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Deren Vizepräsident Professor Stephan Jolie erhofft sich viel vom Erfahrungsaustausch mit den Kollegen: "Immer da, wo es Sinn hat, Dinge gemeinsam zu tun und voneinander zu lernen, sollte man das auch tun." Den digitalen Wandel in Studium und Lehre nur als etwas Technisches zu begreifen, sei nicht genug. "Die Studierenden stehen bei uns im Fokus. Die Digitalisierung bietet unglaubliche Möglichkeiten. Die eigentliche Herausforderung lautet: Wie können wir die Digitalisierung im Einklang mit unserer Verantwortung für Lehre, Bildung und Gesellschaft gestalten?", führt Jolie aus.

In einem Hörsaal der privaten IUBH Internationalen Hochschule in Bad Honnef geht es gerade um das Thema Corporate Governance. In Gruppen bearbeiten die Studenten eine Fallstudie. Früher hätte Professorin Susanne Böhlich die Ergebnisse abgefragt und an die Tafel geschrieben, um sie miteinander vergleichen zu können. Heute tippen die Studierenden ihre Lösungen in den Laptop ein, der Sekunden nach der letzten Eingabe eine Gesamtübersicht auswirft. "Der Verzicht auf die Tafelarbeit spart Zeit", sagt Böhlich. "Und Studierende werden aktiv ins Geschehen eingebunden. Das macht mehr Spaß und wird heutzutage erwartet."

Das Fernstudium an der IUBH ist bereits komplett digital, sogar die Prüfungen können online abgelegt werden. Nun macht sich die Hochschule auch beim Präsenzstudium auf den digitalen Weg: Online-Elemente sollen das Geschehen im Hörsaal bereichern. "Das macht das Studium abwechslungsreich, spannend und öffnet Lehrenden wie Lernenden neue Möglichkeiten", sagt Böhlich, die auch als Managentcoach tätig ist. Eine Idee, die gerade diskutiert wird, ist die Aufteilung des Studiums in Onlineunterricht in den ersten und Präsenzunterricht in den höheren Semestern. Eine andere, bestimmte Kursmodule ausschließlich online anzubieten. Dabei dürfe man nicht vergessen, mahnt Böhlich, dass die jüngere Generation beides wolle: den Spaß am digitalen Selbsttun und das Lernerlebnis in der Gruppe mit einem persönlich anwesenden Lehrer.

18 Hochschulen haben ein professionelles Coaching erhalten. Doch das Programm endet bald

Diesen Hinweis hört man von vielen Hochschullehrern, auch von Tilo Wendler, Vizepräsident der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Hier studieren fast 14 000 junge Frauen und Männer in mehr als 70 Studiengängen. Auch die Mitarbeiter der HTW haben das Glück, dass ihnen die professionelle Beratung des Hochschulforums Digitalisierung zuteil wird. "Wir haben uns mit einem konkreten Konzept zur Modernisierung der Lehre beworben", erklärt Wendler und fügt nach einer winzigen Pause hinzu: "Auch mit einem Konzept zur Modernisierung der digitalen Lehre." Denn nur online lernen, das mögen die Studierenden nicht. "Sie wollen ein effizientes Studium, eine persönliche Betreuung in der Lehrveranstaltung, plus digitale Lernformen, beispielsweise um Vorlesungen autodidaktisch nachbereiten zu können." Die Vermutung, Wendler werde sogleich über Geldmangel klagen, bestätigt sich nicht. Indes sagt er: "Es geht nicht in erster Linie um mehr Geld, sondern um mehr Freiräume für Hochschullehrer." Die Digitalisierung brauche Überzeugungstäter, und die könne man mit Geld nicht locken. 30 Prozent ihres Stundendeputats dürfen Berliner Professoren in E-Learning stecken. Hochschullehrer in anderen Bundesländern, die dafür keine einzige Stunde angerechnet bekommen, dürften angesichts dessen ziemlich neidisch werden. "Klar brauchen wir zeitgemäße Hard- und Software", sagt Wendler. "Aber die wesentlichen Punkte muss die Politik mit einer Modernisierung der Regularien liefern. Den Hochschullehrer motiviere ich nicht mit Geld. Den locke ich mit einer Deputatsverringerung." Und noch etwas sei nötig, um die Hochschulen fit fürs 21. Jahrhundert zu machen: "Nicht nur reden und Aktionspläne aufsetzen. Sondern etwas tun. Gemeinsam mit anderen Hochschulen etwas ausprobieren. Und wenn das funktioniert: Machen."

Machen möchte das Hochschulforum Digitalisierung auch etwas, erklärt Geschäftsstellenleiter Oliver Janoschka, nämlich die 18 Hochschulleitungen, die das Programm in den vergangenen drei Jahren absolviert haben, zu Mentoren für ihre Kollegen weiterentwickeln. Nach wie vor sieht Janoschka einen hohen Beratungsbedarf. Immerhin hatte sich jede vierte Hochschule in Deutschland um die konzertierte Hilfestellung beworben. Doch mit diesem Jahr läuft das Programm aus. Die Politik muss entscheiden, ob es fortgesetzt wird. Doch selbst dann, bedauert Janoschka, könne man nur einen Teil der Hochschulen erreichen. Vielleicht sollte man darüber nachdenken, eine digitale Modellhochschule einzurichten.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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