EU-Postenvergabe:Groko streitet wegen von der Leyen

German Defense Minister Ursula von der Leyen, who has been nominated as European Commission President, arrives at the European Parliament in Strasbourg

Bundesverteidigungsministerin von der Leyen spricht in Straßburg mit Manfred Weber und der EVP-Fraktion über ihre Kandidatur.

(Foto: REUTERS)
  • Der Europäische Rat hat Bundesverteidigungsministerin von der Leyen als EU-Kommissionschefin vorgeschlagen, was zu Streit in Berlin führt.
  • Die SPD ist gegen den Vorschlag. Ihre Abgeordneten in Straßburg wollen von der Leyen deshalb ablehnen.
  • CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer wirft der SPD vor, damit "die Interessen Deutschlands" zu missachten.
  • In Berlin wird bereits darüber spekuliert, wer von der Leyens Nachfolger im Verteidigungsministerium werden kann.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die überraschende Nominierung Ursula von der Leyens für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin hat in der großen Koalition ein altbekanntes Phänomen ausgelöst: Streit. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagt zwar, sie freue sich, dass jetzt "eine erfahrene CDU-Politikerin aus Deutschland für diese Spitzenposition vorgeschlagen" sei. Deshalb hoffe sie, dass das EU-Parlament von der Leyen auch wählen werde. Gleichzeitig erhebt sie aber schwere Vorwürfe gegen die SPD, deren Abgeordnete in Straßburg gegen die bisherige Verteidigungsministerin stimmen wollen. Die SPD mache damit deutlich, dass es ihr "um das eigene parteipolitische Interesse geht - nicht um Europa, und auch nicht um die Interessen Deutschlands", klagt Kramp-Karrenbauer. Markus Söder greift die SPD noch heftiger an. Es sei "ein einzigartiger Fall in der Geschichte der Bundesrepublik und eine echte Belastung für diese Koalition", dass die SPD dafür gesorgt habe, dass sich die Kanzlerin bei der Abstimmung über die Nominierung von der Leyens habe enthalten müssen, schimpft der CSU-Chef.

Die Sozialdemokraten beklagen im Gegenzug, dass Merkel in Brüssel einer Lösung zugestimmt habe, bei der keiner der Spitzenkandidaten Kommissionschef wird. Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nennt im Spiegel von der Leyens Nominierung einen beispielloser "Akt der politischen Trickserei". Die Verteidigungsministerin müsse erst von Deutschland als Kommissarin benannt werden, bevor sie von anderen Staats- und Regierungschefs als Präsidentin nominiert werden könne, sagt Gabriel. Denn jeder Kommissionspräsident sei zugleich der national benannte Kommissar seines Landes. Diese nationale Berufung müsse durch das Bundeskabinett erfolgen, dies sei jedoch nicht geschehen. Wenn Merkel von der Leyen aber ohne Kabinettsbeschluss benenne, sei das "ein klarer Verstoß gegen die Regeln der Bundesregierung - und ein Grund, die Regierung zu verlassen".

Der SPD-Fraktionsvize Post will Europas Regierungschefs einen "Denkzettel" verpassen

Regierungssprecher Steffen Seibert widersprach der rechtlichen Darstellung Gabriels. Und die aktuelle SPD-Führung ging auch nicht so weit wie der Ex-Parteichef. Aber die SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Katarina Barley, kündigte immerhin an, dass auch sie nicht für von der Leyen stimme werde. Und der stellvertretende SPD-Fraktionschef Achim Post rief sogar das gesamte EU-Parlament dazu auf, den Staatschefs bei der Abstimmung einen "Denkzettel" zu verpassen.

Am Mittwoch gab es allerdings nicht nur in der SPD, sondern auch in der CSU Unmut über das Ergebnis des EU-Gipfels. "Es bleibt große Enttäuschung", sagte Söder. Die Schuldigen für das Scheitern seines Parteifreundes Manfred Weber hatte er schnell ausgemacht: eine "unselige Koalition" aus dem französischen Präsidenten und dem ungarischen Regierungschef. Dem Vorschlag, von der Leyen zu nominieren, habe die CSU letztlich "schweren Herzens aus Vernunftgründen" zugestimmt, "aber jubeln tun wir nicht", sagte Söder. Merkel nahm er jedoch in Schutz. Sein Eindruck sei, "dass die Bundeskanzlerin sich da schon Mühe gegeben hat".

Dabei herrscht an der CSU-Basis im Grunde eine ähnliche Auffassung wie bei den Sozialdemokraten. Das "Europa der Bürger" werde wegen des Scheiterns des Spitzenkandidaten-Prinzips um Jahrzehnte zurückgeworfen, schimpfte Webers Mentor, der frühere CSU-Chef Erwin Huber. "200 Millionen Wählerinnen und Wähler müssen sich jetzt getäuscht und übergangen vorkommen", das werde gewaltigen Frust auslösen, sagte Huber. Dass ausgerechnet die bei den Christsozialen ungeliebte von der Leyen den Spitzenjob bekommen soll, verstärkt den Zorn in Bayern zusätzlich. "Ich halte es für einen Witz, Manfred Weber mangelnde Erfahrung vorzuhalten und zugleich Scheitern und Missmanagement einer Ministerin als Qualitätszeichen zu werten", ätzte Huber.

Im Bundeskabinett will die CSU jetzt an ihren Ministerien festhalten. Zwar gäbe es mit Florian Hahn und Thomas Silberhorn zwei Kandidaten für das Verteidigungsressort, doch das Haus gilt der Partei als "Schleudersitz". Franz Josef Strauß und Karl-Theodor zu Guttenberg, die bisherigen CSU-Verteidigungsminister, sind ihr warnendes Beispiel. Schon gar nicht möchte die CSU das große Innenressort gegen das Verteidigungsministerium tauschen. Es gebe auch gar kein Interesse, Innenminister Horst Seehofer abzulösen, sagen führende CSU-Politiker - zumal man gar nicht wisse, wie lange die Koalition noch halte. Spekulationen, Weber könne bei einer vorgezogenen Bundestagswahl als Spitzenkandidat antreten, würden jeder Grundlage entbehren, hieß es. Weber sehe seine Zukunft weiter in Brüssel, womöglich werde er noch in diesem Jahr mit dem Amt des EVP-Chefs entschädigt.

Kramp-Karrenbauer hat erneut klargemacht, dass sie nicht ins Kabinett will

Ob von der Leyen tatsächlich Kommissionschefin wird, ist wegen der Widerstände im EU-Parlament noch offen. In Berlin wird aber bereits fleißig spekuliert, wer ihr im Kabinett nachfolgen könnte. Eine größere Rochade, welche die CDU-Chefin einschließt, scheint dabei vom Tisch zu sein. Einerseits hat Kramp-Karrenbauer erneut deutlich gemacht, dass sie nicht Ministerin werden will. Mutmaßungen, sie könnte das Bundesinnenministerium übernehmen wollen, um auch exekutive Macht und Darstellungsmöglichkeiten zu haben, sind damit - zumindest vorläufig - die Grundlage entzogen. Kramp-Karrenbauer will sich weiter ausschließlich um die CDU kümmern. Außerdem lehnt die CSU ja einen derartigen Ressorttausch ab.

Und so konzentrierten sich die Spekulationen auf eine reine Nachbesetzung des Verteidigungsministeriums. Als Kandidaten dafür wurden unter anderem der für Verteidigung zuständige stellvertretende Unionsfraktionschef Johann Wadephul, der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber, sowie der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Henning Otte, genannt. Dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, und dem außenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, würden dagegen praktisch keine Chancen eingeräumt. Am häufigsten wurde über einen Wechsel von Gesundheitsminister Jens Spahn ins Verteidigungsressort spekuliert. In diesem Fall könnte die bisherige Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz Gesundheitsministerin werden. Das würde Merkel dann auch ermöglichen, jemanden mit Migrationshintergrund zur Integrationsstaatsministerin zu machen.

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