Missbrauchsfall Lügde:Neuer Beschuldigter war mit einem Hauptangeklagten befreundet

  • Neben den drei bereits angeklagten Männern gibt es im Missbrauchsfall von Lügde nun einen weiteren Beschuldigten. Er war lange mit einem der Hauptangeklagten befreundet.
  • Der 57-Jährige sei durch eine Vernehmung eines minderjährigen Opfers in den Fokus der Ermittler geraten.
  • Gegen ihn wurde bereits 2018 wegen Vergewaltigung ermittelt, das Verfahren war jedoch eingestellt worden.

Von Britta von der Heide und Jana Stegemann, Düsseldorf

Im Missbrauchsfall von Lügde gibt es einen weiteren Verdächtigen. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR handelt es sich um einen 57-Jährigen aus Steinheim, der mit einem der beiden Hauptangeklagten, dem 34-jährigen Mario S., seit Jahren eng befreundet ist.

Dem Steinheimer Mario S. wird sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in 162 Fällen vorgeworfen - einen Großteil dieser Taten hatte er bereits am ersten Prozesstag gestanden. Viele der betroffenen Jungen und Mädchen, die Mario S. beschuldigen, sie missbraucht zu haben, waren über den Kontakt zu dem 57-Jährigen überhaupt erst auf den nordrhein-westfälischen Campingplatz gekommen. Zudem sollen mehrere Enkelkinder des 57-Jährigen Opfer von Mario S. geworden sein. Jetzt wird auch er des schweren sexuellen Missbrauchs verdächtigt, befindet sich aber noch auf freiem Fuß.

"Das scheint ein Moloch zu sein. Es ist gut, dass jetzt weitere Ermittlungen angestellt werden. Man hätte aber den Rundumschlag viel eher machen sollen, es gab ja schon vorher Hinweise, dass es weitere Beteiligte gibt. Ich befürchte, dass das, was wir wissen, nur die Spitze des Eisbergs ist", sagte Opferanwalt Roman von Alvensleben, der die Grundschülerin vertritt, durch deren Aussage der massenhafte Missbrauch auf dem Campingplatz aufgedeckt werden konnte. "Das ist noch nicht das Ende. Ich finde dieses Gehabe von den Leuten, die nichts erkannt haben wollen, sehr zweifelhaft."

Aussage eines Kindes löst neue Ermittlungen aus

Sogar der Verteidiger des zweiten Hauptangeklagten Andreas V., Johannes Salmen, sprach gegenüber der Lippischen Landes-Zeitung von "einem Sumpf, der dringend mal trocken gelegt werden müsste". Der Bielefelder Opferanwalt Peter Wüller, der vier Kinder vertritt, geht sogar von "einem Netzwerk" auf dem Campingplatz aus.

Ausgelöst wurden die neuen Ermittlungen durch die Aussage eines Kindes. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte im Innenausschuss des Landtags, dass das Kind am Mittwoch zum ersten Mal polizeilich befragt werden konnte. Bisher konnten laut Reul noch nicht alle Kinder angehört werden, die die Ermittlungskommission als Verdachtsfälle führt, "weil sie sich noch in einem Stabilisierungsprozess befinden und medizinisch betreut werden", sagte der Minister. In dem Fall gehe es um den Verdacht des sexuellen Missbrauchs innerhalb des eigenen sozialen Umfelds, so der Minister weiter: "Das Kind sollte eigentlich nur zu Verdachtsmomenten gegen die bisher schon bekannten Tatverdächtigen angehört werden." Es habe dann aber Hinweise auf den neuen Tatverdächtigen gegeben. In der 3000 Seiten umfassenden Lügde-Ermittlungsakte war er nicht beschuldigt worden.

Polizisten hatten die Parzelle des 57-Jährigen auf dem Campingplatz nahe der niedersächsischen Grenze am Mittwoch zum ersten Mal durchsucht. Zuerst hatte das Westfalen-Blatt über die Polizeimaßnahme berichtet. Auf dem Platz stehen ein älterer Wohnwagen und mehrere Anbauten. Sie befinden sich nahe der mittlerweile abgerissenen Behausung von Mario S. Die Parzelle des 57-Jährigen wurde mit Flatterband abgesperrt und über Nacht bewacht, am Donnerstag wurde die Durchsuchung fortgesetzt.

Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung wurde eingestellt

Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR teilten sich Mario S. und der 57-Jährige fünf Jahre lag von 2010 bis 2015 gemeinsam eine Parzelle auf dem Campingplatz in Lügde-Elbbrinxen. Auch sind beide bis heute unter der gleichen Adresse in Steinheim gemeldet. Die Wohnräume der Meldeadresse hatte die Polizei ebenfalls am Mittwoch durchsucht.

Gegen den 57-Jährigen hatte es bereits im Sommer 2018 eine Anzeige gegeben. Eine damals 15-Jährige hatte ihn beschuldigt, sie nach einer Feier auf dem Campingplatz "Eichwald" vergewaltigt zu haben. Die Ermittlungen waren allerdings aus Mangel an Beweisen von der Staatsanwaltschaft Detmold, die auch die Ermittlungen im Fall Lügde führt, eingestellt worden: Es stand Aussage gegen Aussage.

Der Strafprozess um den hundertfachen sexuellen Missbrauch von Kindern auf dem Campingplatz ging am Donnerstag vor dem Landgericht Detmold weiter. Dabei wurden weitere Opfer und Angehörige unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen. Zum Auftakt in der vergangenen Woche hatten alle drei Angeklagten Geständnisse abgelegt.

Innenminister: Ermittlungsarbeit im Fall Lügde wird fortgeführt

Vor Gericht stehen jetzt noch der 56-Jährige Dauercamper Andreas V. und der 34-jährige Gelegenheitsarbeiter Mario S. Das Verfahren gegen einen dritten Angeklagten, den 49-jährigen Heiko V. aus dem niedersächsischen Stade, war am zweiten Verhandlungstag abgetrennt worden. Es wird am 17. Juli fortgesetzt.

Die Staatsanwaltschaft Detmold ermittelt im Fall Lügde mittlerweile gegen 16 Personen. Außerdem laufen parallel Ermittlungsverfahren gegen Polizisten und Jugendamtsmitarbeiter.

Für den nordrhein-westfälischen Innenminister Reul ist die Aufarbeitung des Falls Lügde trotz erster Anklageerhebung noch lange nicht beendet. Die polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen weitere Beschuldigte sowie die Auswertungen der IT-Asservate liefen weiter, betonte Reul: "Eben diese fortgeführte Ermittlungsarbeit hat einen weitere Verdachtsfall bestätigt. Es können auch noch weitere folgen."

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