Maybrit Illner zur EU-Kommissionspräsidentschaft:"Ach, da kommt die Ursula"

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In Hochform: Martin Schulz bei Maybrit Illner. (Foto: ZDF/Jule Roehr)

Der frühere SPD-Chef Martin Schulz erzählt, wie Ursula von der Leyen Kandidatin für den Posten der EU-Kommissionspräsidentin wurde. Interessanter sind bei "Maybrit Illner" nur Einblicke, wie Frankreich und Italien zu Personalfragen und Migration stehen.

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Falls die Menschen vergessen haben, warum Martin Schulz einmal ein erfolgreicher Politiker war, dann werden sie an diesem Donnerstagabend im ZDF daran erinnert. Schulz, 63, hat eine sehr einnehmende Art zu reden, manchmal wird er laut und blickt dabei so ernst in die Runde, dass man sich fürchtet. Man will sich ungern in den Weg stellen, weil er einen verbal überrollen könnte. Dabei braucht es mitunter eine Weile, seinen Argumenten zu folgen und auf Stichhaltigkeit zu prüfen.

In der Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema "Scherbenhaufen Europa - Krise von Brüssel bis Berlin?" erklärt Schulz zum Beispiel, der Kandidat seiner Sozialdemokraten für das Amt des Kommissionspräsidenten, Frans Timmermans, habe zwar keine absolute Mehrheit gehabt, aber eine relative. Oha, das hört sich bedeutend an. Doch was hilft es, wenn Timmermans eine absolute Mehrheit im Europäischen Parlament braucht für diese Wahl? Und wer weiß das schon so genau, ob nicht Manfred Weber von der konservativen EVP mehr Stimmen erhalten hätte? Überhaupt, was war noch einmal eine relative Mehrheit?

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Es ist so ein Schulz-Moment: Etwas mit eindringlicher Aura in den Raum stellen und damit rechnen, dass spontan niemand die Lage begreift. Das hatte er etwa in dem legendären Auftritt nach der Bundestagswahl 2017 versucht, als er Angela Merkel plötzlich frontal angriff, diese habe mit einem skandalösen Wahlkampf und einer Verweigerung von Politik die AfD stark gemacht. Dabei waren die beiden zuvor noch so sanft miteinander umgegangen im Wahlkampf.

In der SPD dürfte manch einer Bammel gehabt haben, als die Besetzung bei Illner bekannt wurde. Martin Schulz hatte gegen die die aktuelle Kandidatin für den Posten der Kommissionpräsidentin, Ursula von der Leyen, Stimmung gemacht. Die SPD verweigerte sich der Zustimmung im Europäischen Rat zu dieser Personalie, weshalb sich Deutschland als einziges Land enthalten hatte, während die anderen 27 Staats- und Regierungschefs zustimmten. Das ist nicht ganz leicht zu erklären, und Martin Schulz ist nicht immer gefeit davor, mitten in einen Fettnapf zu treten. Doch dann gibt sich der SPD-Mann sehr besonnen. Die große Koalition will er partout nicht in Frage stellen, auch wenn Maybrit Illner noch so oft nachfragt. Schulz will Ursula von der Leyen trotz seiner Ansicht nach schlechten Leistungen als Bundesverteidigungsministerin nun sogar eine Chance geben. Vielleicht überzeuge sie ja mit guten Inhalten. Und manchmal hat Onkel Schulz auch nette Geschichten auf Lager.

Seit Tagen rätselt ja ganz Deutschland, wie Ursula von der Leyen plötzlich die Kandidatin für einen der mächtigsten Jobs auf dem Kontinent werden konnte. Martin Schulz weiß es, er tut auf jeden Fall so. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron soll ja laut Berichten alleine auf die Idee gekommen sein, nachdem der von Kanzlerin Angela Merkel unterstützte Weber keine Mehrheit im Parlament und im Rat bekommen hatte. Doch Martin Schulz weiß es besser. "Ich sehe ihn vor mir liegen in Brüssel im Hotel, den Emmanuel, wie er sich hin und her wälzt: Wie kann ich Mutti aus der Patsche helfen? Ach, da kommt die Ursula", erzählt er mit hoher, ironischer Stimme und schließt: "Das können sie dem Friseur erzählen." Angela Merkel sei eine geschickte Politikerin, sie habe immer ein Nähset bei sich zum schnellen Flickeinsatz, wenn was schiefgehe. Schulz ist sich sicher: Das war abgestimmt und ein geschickter Schachzug der Kanzlerin, eine unpopuläre Ministerin nach Brüssel zu schicken.

Die Geschichten von Schulz sind zwar nett, interessanter ist allerdings, wie andere Länder die Personalie von der Leyen sehen. Die französische Journalistin Elisabeth Cadot verteidigt das Vorgehen von Macron, sich gegen Weber zu stellen. Zusammengefasst habe der Niederbayer nicht das Format für den Job (was Schulz vehement zurückweist, obwohl Weber gar nicht seiner Partei angehört). "In Frankreich weiß kein Mensch, was ein Spitzenkandidat ist", berichtet Cadot, "das Wort ist deutsch. Die Leute in Limoges oder Montpellier haben nicht für Herrn Weber oder Herrn Timmermans gestimmt." Ursula von der Leyen hingegen sei im Land bekannt. Deren CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, geboren in Polen, behauptet, von der Leyen werde in den östlichen Mitgliedsstaaten geschätzt, weil sie in puncto Verteidigung immer auf die Bedrohung aus Russland eingehe.

Für Italien spricht Welt-Journalist Dirk Schümer, der die meisten Zeit in Venedig lebt. Von der Leyen? "Die Italiener haben zugestimmt, damit sie ihre Defizit-Kriterien nicht mehr einlösen müssen", sagt er. Es habe einen harten Deal gegeben, um mehr Schulden machen zu können - "ein ganz schmutziges Geschäft". Und dass die Deutschen als Einzige ihrer Landsfrau die Zustimmung verweigert haben? In Italien sagen sie: "Das ist wieder typisch deutsch, ihr mögt euch doch nicht mal selber. Ihr seid ein bisschen gespinnert", sagt Schümer.

In Illners Runde sind sich die Deutschen immerhin einmal einig: Das Verfahren, wie die Kommission nun bestellt wird, sei ein Schaden für die europäische Demokratie. Wenn es so kommt, wie derzeit geplant (das Europaparlament muss noch zustimmen) wird von der Leyen Kommissionspräsidentin, die Französin Christine Lagarde Chefin der Europäischen Zentralbank, der Belgier Charles Michel Chef des Europäischen Rates und der Spanier Josep Borrell Außenbeauftragter der EU. Bis auf den Sozialisten Borrell war keiner zuvor in der europäischen Politik aktiv oder hat Europawahlkampf betrieben. Nationale Interessen überwiegen offenbar in den Verhandlungen, was niemand so richtig gut findet.

"Sie haben die Krise im eigenen Land und werden dann auch noch von anderen kritisiert"

Die Illner-Redaktion hat sich für die Sendung aber noch ein zweites Thema überlegt: Migrationspolitik. Hier darf Annalena Baerbock die bekannte Haltung ihrer Grünen vertreten, Seenotretter müssten unterstützt und Menschen aus den schlimmen Lagern in Libyen nach Europa gelotst werden. Auch Schulz und Schümer stimmten ein. Gerald Knaus, Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative, setzt hinzu, Deutschland solle vorangehen und humane Flüchtlingspolitik betreiben. Das gibt Applaus, wobei die Stimmung bei Maybrit Illner eher nicht die Zerrissenheit der Deutschen in dieser Frage abbildet. Bewusst mehr Asylbewerber ins Land holen? Da sind nicht alle dafür.

Auch hier bereichert Cadot mit einem Blick nach Frankreich die Debatte. Sie scheut sich nicht, den inneren Konflikt einer Gesellschaft anzusprechen. Frankreich weist an der Grenze zu Italien Flüchtlinge restriktiv ab. "Das ist tatsächlich eine Schande." Aber: Die Leute kämen in den Süden Frankreichs, der unter hoher Arbeitslosigkeit leide, wo es schon viele Migranten gebe. Und: "Ah, komisch, da wählt man sehr viel Le Pen." Marine Le Pen führt die rechtsextreme Partei Rassemblement National, die bei der Europawahl die meisten Stimmen erhalten hat. Frankreich sei in einer schwierigen Lage, wenn es um den weiteren Zuzug von Migranten gehe, sagt Cadot und bezweifelte auch, dass eine offene Flüchtlingspolitik in Europa eine Mehrheit fände. Dirk Schümer daneben wünscht sich mehr Respekt vor Italien in dieser Frage. Innenminister Matteo Salvini sei ein Hardliner, aber die Italiener werden mit dem Problem der Migration übers Mittelmeer bis heute alleingelassen. "Sie haben die Krise im eigenen Land und werden dann auch noch von anderen kritisiert."

Einen Auftritt hat Martin Schulz aber noch. Auf die Frage, was passiere, wenn Ursula von der Leyen vom Europäischen Parlament abgelehnt werde, antwortet Dirk Schümer: "Dann kommt der Juncker wieder." Annalena Baerbock ergänzt: "Oder der Schulz." Der lacht und sagt: "Wäre nicht schlecht, oder?"

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