"Fridays for Future":"Sie sind ungeschützt und haben ein ernsthaftes Anliegen"

Klimademonstration Fridays for Future - Aachen

Protestierende Schüler in Aachen: Woher kommt der Mobilisierungserfolg?

(Foto: dpa)

Warum der Schülerstreik so viel Aufmerksamkeit erzeugt, wie es ihm im Sommer ergehen könnte und was erfolgreichen Widerstand ausmacht: Protestforscher Sebastian Haunss über "Fridays for Future".

Interview von Jana Anzlinger

Erfolgreiche Protestierer: Das können wütende Studenten sein, kilometerlange Menschenketten, streikende Arbeitnehmer mit Trillerpfeifen, Urheber von zigtausendfach geteilten Posts und Hashtags. Und seit Neuestem auch Kinder und Jugendliche, die selbstgemalte Plakate schwenken, statt im Klassenzimmer zu sitzen. Aber wie geht das eigentlich: erfolgreicher Protest? Was andere Bewegungen erlebt haben, lässt sich nicht verallgemeinern - und erst recht nicht auf den Schülerstreik übertragen, sagt der Protestforscher Sebastian Haunss.

SZ: Nehmen wir an, ich würde mich wahnsinnig über den Umbau des Münchner Hauptbahnhofs ärgern. Wie müsste ich protestieren, um ihn zu stoppen?

Sebastian Haunss: Tja, darauf gibt es aus wissenschaftlicher Perspektive keine eindeutige Antwort. Bisherige Untersuchungen zum Beispiel der Anti-Atomkraft-Bewegung haben gezeigt, dass eine große und lang anhaltende Mobilisierung wichtig ist, die Unterstützung durch politische Eliten und eine Bevölkerungsmehrheit zugunsten des Anliegens. Hilfreich ist eine offene Gelegenheitsstruktur, also Möglichkeiten, im politischen System Gehör zu finden. Das deutsche System ist relativ offen, weil die kommunale, die Bundes- und die Landesebene jeweils Zugangswege ermöglichen. Im Fall der Anti-AKW-Bewegung gab es zudem mit Tschernobyl ein Ereignis, das zu ihrem Erfolg beigetragen hat. Aber es gibt ziemlich wenig übergreifende Forschung zu Erfolgsbedingungen - und die, die es gibt, lässt sich nicht auf jeden beliebigen Protest übertragen.

Interview am Morgen

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Also: Wenn viele mitmachen, die Mitmenschen das Anliegen gut finden und ein paar Politiker zuhören oder sogar ihre Unterstützung zeigen, ist das gut - und noch besser ist, wenn etwas passiert und alle darüber reden. Warum lassen sich diese Faktoren nicht übertragen?

Erfolg bedeutet nicht immer dasselbe. Der Protest kann klein sein und eine einzelne konkrete Maßnahme wollen, zum Beispiel die Verhinderung des neuen Bahnhofs. Dann gelten dafür ganz andere Bedingungen, als wenn es um große gesellschaftliche Veränderungen zum Beispiel im Umgang mit dem Klima geht.

Wie kann es sein, dass bei "Fridays for Future" Kinder und Jugendliche für das große Klima-Thema auf die Straße gehen und damit Erfolg haben?

Bislang hatten die Schüler ja noch gar keinen Erfolg in dem Sinne, dass sie ihre Ziele durchgesetzt hätten.

Aber sie haben erreicht, dass Tausende ihre Solidarität bekunden und dass Klimapolitik oben auf der Agenda steht.

Der Mobilisierungserfolg ist wirklich ganz unglaublich. Da kommt sicher vieles zusammen. Klimapolitik war ein Thema, dessen Zeit gekommen war. Die Hambacher-Forst-Proteste haben ja bereits viel Aufmerksamkeit erzeugt - lange nicht in dem Umfang, aber da hat man schon gesehen: Dieses Thema steht auf der Tagesordnung.

Sebastian Haunss

Der Politikwissenschaftler Sebastian Haunss, 52, forscht vor allem zu Protest und sozialen Konflikten. Er ist Professor am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen.

(Foto: Lukas Klose; privat)

Für die Schüler gibt es nun Identifikationsfiguren und Vorbilder wie Greta Thunberg. Dann haben ihre Protestaktionen unglaubliche Medienaufmerksamkeit bekommen. Das lag an ihrem spezifischen Schülerstatus und der Tatsache, dass sie den Unterricht verweigern. Wenn 300 Erwachsene irgendwo in der Fußgängerzone stehen und fürs Klima demonstrieren, erhält das weniger Aufmerksamkeit. Außerdem wirken sie als Kinder und Jugendliche schwach und ein bisschen hilflos und keineswegs strategisch. Ihnen wird abgenommen, dass sie nicht aus taktischen Gründen agieren. Sie sind ungeschützt und haben ein ernsthaftes Anliegen. Das hat starke Solidarisierung ausgelöst.

Das klingt wie eine Art Welpenschutz. Trotzdem werden diese Demonstranten nicht belächelt, sondern so ernst genommen, als seien sie Erwachsene. Wie geht das zusammen?

Für mich ist das kein Widerspruch. Einerseits wird ihnen inhaltlich gefolgt, andererseits haben sie eine emotionale Wirkung. Beides sind Solidarisierungsmechanismen - zwar auf unterschiedlichen Ebenen, aber mit demselben Ergebnis. Ältere Teilnehmer, die wir befragt haben, haben dieses Solidaritätsmotiv betont: Das ist nicht in erster Linie mein Anliegen, sondern ich mache mit, um die Kinder zu unterstützen.

In den kommenden Wochen sind viele Schüler im Urlaub und ohnehin gibt es keinen Unterricht, der bestreikt werden könnte. Werden die Sommerferien dem "Fridays for Future"-Streik schaden?

Sehr wahrscheinlich werden die wöchentlichen Proteste während der Sommerferien zurückgehen. Aber gleichzeitig lässt sich ja schon beobachten, dass "Fridays for Future" seine Aktionsformen diversifiziert, also nicht mehr nur auf lokale Kundgebungen jeden Freitag setzt. Zusätzlich gibt es zentrale Veranstaltungen wie den bundesweiten Protest am vorletzten Wochenende oder den regionalen Protest an diesem Wochenende in Hannover. Und dann gibt es noch den Sommerkongress ab Ende Juli: Die Teilnehmer diskutieren die Klimakrise mit Aktivisten, Wissenschaftlern und Politikern. Im Moment sieht es meines Erachtens so aus, dass "Fridays for Future" über den Sommer hinweg in anderer Form weitermacht.

Dann wäre ein Erfolg in der Klimapolitik ja doch noch denkbar. Wie würde der denn aussehen?

Der Mobilisierungserfolg ist immer zuerst da. Er kann sich in eine inhaltliche Dimension übersetzen - und politisch umgesetzt werden. Wenn jetzt die CO₂-Steuer beschlossen würde, wäre das ein konkreter Policy-Erfolg. Er schließt sich je nach Größe des Themas in einem überschaubaren Zeitraum an den Protest an. Viel weiter führt ein gesellschaftlicher Erfolg, der auf einen Wandel der Lebensführung hinausläuft. Er beeinflusst langfristig das individuelle Handeln der Bürger, die zum Beispiel weniger Flugreisen antreten.

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