Korruptionsprozess in Regensburg:Wie es im Fall Wolbergs weitergeht

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Der Korruptionsprozess endet ohne Strafe für den Regensburger Oberbürgermeister, abgeschlossen ist der Fall aber noch längst nicht. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Von Andreas Glas und Kassian Stroh, Regensburg

"Und damit verabschiede ich mich", sagt Richterin Elke Escher am Donnerstag, um 14.59 Uhr. Der suspendierte Oberbürgermeister Joachim Wolbergs steht auf und schüttelt der Richterin die Hand. Der Korruptionsprozess am Landgericht Regensburg ist zu Ende. Nach neun Monaten, nach 61 Prozesstagen, nach zwei Tagen Urteilsbegründung. Und trotzdem: Einige Fragen bleiben offen.

Handelt es sich nun um eine Korruptionsaffäre oder nicht?

Das ist keine juristische Frage - dennoch hat die Richterin eine Antwort darauf gegeben. "Hier von einer Korruptionsaffäre zu sprechen, scheint zu hoch gegriffen", sagte sie. Ihre Urteilsbegründung zeichnete dann ein etwas anderes Bild: Detailliert beschrieb Escher, wie Bauunternehmer Volker Tretzel auch mit Hilfe seines früheren Mitgeschäftsführers Franz Wild von 2011 bis 2016 Wolbergs fast eine halbe Million Euro an Parteispenden zukommen ließ, um sich sein Wohlwollen zu sichern. Wie er mit "krimineller Energie" Spenden stückelte und Mitarbeiter als Strohmänner einsetzte, damit alles im Verborgenen blieb.

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Schließlich sprach Escher nicht nur Tretzel und Wild wegen Verstößen gegen das Parteiengesetz und Vorteilsgewährung schuldig. Sondern auch OB Wolbergs, wegen Vorteilsannahme. Das sind sozusagen die kleinen Schwestern von Bestechlichkeit und Bestechung, nur dass hier mit der Zahlung keine konkrete und pflichtwidrige Gegenleistung eines Amtsträgers (also etwa eines Oberbürgermeisters) verbunden ist, sondern nur die allgemeine Dienstausübung. Letztlich aber bleibt es, was man landläufig "Korruption" nennt.

Warum bekommt Wolbergs keine Strafe, obwohl er schuldig ist?

Während Tretzel zehn Monate auf Bewährung plus 500 000 Euro Geldauflage bekommt und sein früherer Mitgeschäftsführer 4500 Euro zahlen muss, bleibt OB Wolbergs trotz Schuldspruchs straffrei. Die Richterin begründete dies mit Paragraf 60 des Strafgesetzbuches. Danach kann ein Gericht von Strafe absehen, "wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre".

Dass der Paragraf zur Anwendung kommt, sei "ein sehr seltenes Ereignis", sagt der Regensburger Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller. Im Jahr 2017 war dies laut Müller nur bei 176 von 656 000 Verurteilungen der Fall. Das sind 0,02 Prozent. Zu den schwerwiegenden Folgen der Tat gehören für Richterin Escher unter anderem die sechswöchige Untersuchungshaft, die "nicht verhältnismäßig" gewesen sei. Zudem habe das Verfahren "zum finanziellen Ruin" des OB geführt.

Dass sich Wolbergs nicht bewusst gewesen sei, dass er die Spenden, die 2015 und 2016 aus Tretzels Umfeld flossen, nicht hätte annehmen dürfen, war ebenfalls strafmildernd. Das Gericht spricht von einem "Verbotsirrtum", ebenfalls eine selten eingesetzte juristische Konstruktion, in deren Genuss kaum je ein Angeklagter kommt. Übersetzt heißt das: OB Wolbergs musste nicht alle Fallstricke des Gesetzes kennen. Laut Strafrechtsprofessor Müller ist die Anwendung des Verbotsirrtums bei Amtsdelikten besonders "ungewöhnlich". Gerade ein Oberbürgermeister sei "umgeben von Juristen", von denen er sich Rat holen könne. Zudem liege die "Problematik bei der Annahme von Vorteilen seitens eines Bauunternehmers" auf der Hand.

Gab es Gegenleistungen für Tretzels Spenden?

Nach der OB-Wahl 2014 wurde die Ausschreibung lukrativer Baugrundstücke auf dem Areal der früheren Nibelungenkaserne geändert. Laut Anklage bewirkte das Wolbergs, damit Bauunternehmer Tretzel zum Zuge kommen konnte. Diesen Vorwurf wischte das Gericht völlig vom Tisch: Nach der Wahl habe die neue Mehrheit im Stadtrat einen anderen Kurs verfolgt. Auch Wolbergs habe das unterstützt, sich aber keiner Verfehlung schuldig gemacht. Dass sein damaliger Parteifreund, SPD-Fraktionschef Norbert Hartl, Tretzel vorab einen Entwurf mit den neuen Ausschreibungskriterien zukommen ließ, damit dieser sie in seinem Sinne ändern konnte, stimme zwar. Diese E-Mail habe auch Wolbergs bekommen, aber wohl nicht gelesen. Mithin sei auch Hartl, der vierte Angeklagte im Verfahren, nicht der Beihilfe schuldig. Er wurde freigesprochen.

Auch mit Blick auf ein zweites Grundstücksprojekt sah die Strafkammer keinen Hinweis auf Korruption. Laut Staatsanwaltschaft sollte Unternehmer Tretzel dem OB 200 000 Euro dafür in Aussicht gestellt haben, dass er sich für eine Wohnbaugenehmigung auf dem Tretzel-Grundstück Roter-Brach-Weg einsetzt. Tatsächlich äußerte Tretzel gegenüber Wolbergs den Gedanken, ihm 200 000 Euro zu geben. "Ich möchte nicht, dass Sie jetzt auch noch pleite gehen nach all dem Ärger", sagte er in einem abgehörten Telefonat während der Ermittlungen. Doch erstens gebe es weder eine Verknüpfung zu einer Dienstausübung des OB, sagte die Richterin. Und zweitens sei es wegen Tretzels genereller Großzügigkeit "naheliegend", dass es die Absicht des Unternehmers war, den OB "schlicht deshalb zu unterstützen, weil er diesem Menschen helfen möchte".

Hat Wolbergs sich persönlich bereichert?

Eindeutig nein, sagte Richterin Escher in ihrer Urteilsbegründung. Es ging unter anderem um eine Eigentumswohnung, die Wolbergs' Mutter bei der Firma Tretzel kaufte - und dafür laut Anklage knapp 54 000 Euro Rabatt bekam. Zwar habe Wolbergs seine Mutter zu Besprechungen in Tretzels Firma gefahren und mindestens einmal an einem Gespräch über den Wohnungskauf teilgenommen. Doch habe Wolbergs glaubhaft gemacht, dass er sich "in keiner Weise für den Wohnungskauf und die Preisgestaltung interessierte".

Zudem komme Vorteilsannahme nicht infrage, da Wolbergs damals, im Jahr 2012, nur Dritter Bürgermeister war, zuständig für Soziales, und damit nicht in einer Position, in der er im Zusammenhang mit Tretzels Bauprojekten "irgendetwas hätte bewegen können". Auch bei den verbilligten Renovierungen, die Ex-Tretzel-Geschäftsführer Wild privat für Wolbergs organisierte, sieht das Gericht kein Problem. Die beiden hätten sich privat gut gekannt. Es sei "plausibel", dass es sich hier um "einen Freundschaftsdienst" gehandelt habe.

Was ist mit den übrigen Vorwürfen?

Als "völlige Nullnummer" bezeichnete das Landgericht einen weiteren Vorwurf der Staatsanwälte: Als Verwaltungsratschef der Sparkasse soll sich Wolbergs 2016 dafür eingesetzt haben, dass Tretzel von dieser einen günstigen Millionenkredit bekam. Das Urteil ist hier klar: Das Darlehen war marktüblich, die Vergabe unproblematisch, der Anklagepunkt "von Anfang an fernliegend und abwegig". Auch dafür, dass die Tretzel-Millionen für den Fußballklub SSV Jahn mit Grundstücksgeschäften zwischen Tretzels Firma und der Stadt zu tun hatten, sah das Gericht keine plausiblen Hinweise.

Wird Wolbergs jetzt wieder Oberbürgermeister?

Erst einmal nicht. Die Landesanwaltschaft hat ihn im Januar 2017 vorläufig des Dienstes enthoben - das gilt weiter und das werde man erneut prüfen, wenn das Urteil schriftlich vorliege, teilte die Behörde mit. Sie deutete an, dass Wolbergs nicht damit rechnen kann, bald ins Rathaus zurückzukehren. Denn vermutlich im Herbst beginnt gegen ihn ein Prozess wegen Bestechlichkeit - wieder geht es um Spenden eines Bauunternehmers. Das allein rechtfertige schon eine Dienstenthebung, schreibt die Landesanwaltschaft. Wolbergs will so oder so bei der Kommunalwahl im März 2020 als OB-Kandidat für seinen neuen Verein "Brücke" antreten.

Ist das Verfahren jetzt abgeschlossen?

Nein. Staatsanwaltschaft wie auch Teile der Verteidigung wollen Revision einlegen. Nach Einschätzung von Juristen gibt es mehrere Punkte, die der Bundesgerichtshof (BGH) am Urteil auszusetzen haben könnte. Etwa die sehr unterschiedlichen Strafmaße für Tretzel und Wolbergs, also die Tatsache, dass der OB keinerlei Strafe bekommen hat.

Juristisch interessant ist auch dieser Punkt: Das Landgericht hat nur die Tretzel-Spenden in den Jahren 2015 und 2016 für kriminell erklärt. Da war Wolbergs bereits OB, in dieser Zeit flossen knapp 150 000 Euro. In den Jahren zuvor seien die Spenden (mehr als 325 000 Euro) kein Fall von Korruption gewesen: Denn damals war Wolbergs eben Dritter Bürgermeister und mit Sozialpolitik, nicht aber mit Bauangelegenheiten befasst.

Nach dieser Logik können Firmen zum Beispiel aussichtsreiche Bewerber auf öffentliche Ämter oder Behördenleiterstellen mit Zuwendungen "anfüttern", wie Korruptionsexperten sagen - auf spätere Gegenleistungen hoffend. Sie dürfen nur in dem Moment nicht mehr zahlen, wenn sie ins Amt kommen. Wo da die Grenze zu ziehen ist, ist juristisch eine ungeklärte Frage, die der BGH beantworten könnte - wenn er denn will.

Warum werden die Spenden aus der Baubranche Regensburg noch weiter beschäftigen?

Nicht nur weil der Fall Wolbergs in Karlsruhe landet, sondern auch weil weitere Ermittlungen laufen und weil es mindestens einen weiteren Prozess geben wird. Der Bauunternehmer Thomas D. hat bereits 2018 einen Strafbefehl wegen Bestechung des Oberbürgermeisters akzeptiert, in diesem Fall muss sich Wolbergs erneut vor dem Landgericht Regensburg verantworten. Und noch in zwei weiteren Fällen von Spenden aus der Baubranche liegen Anklagen gegen den OB vor - über deren Zulassung ist noch nicht entschieden. Womöglich werden am Ende alle drei in einem Prozess behandelt.

Doch nicht nur Wolbergs ließen Firmen Geld zukommen. Auch gegen seinen Gegenkandidaten von 2014, CSU-Stadtrat Christian Schlegl, ist Anklage erhoben worden - im Zusammenhang mit Spenden von Tretzel und D. Ermittelt wird auch gegen Wolbergs' Vorgänger Hans Schaidinger (CSU), der nach seiner Zeit als OB von Tretzel einen üppig dotierten Beratervertrag bekommen haben soll. Und auch gegen den CSU-Stadtrat und Landtagsabgeordneten Franz Rieger ermitteln die Regensburger Staatsanwälte.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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