EU-Kommissionspräsidentin:Schaulaufen in Brüssel

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Knapp zwei Wochen hat Ursula von der Leyen Zeit, das Europäische Parlament davon zu überzeugen, dass sie die richtige wäre. Ob sie die nötige Mehrheit erhält, ist offen.

Von Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel/Straßburg

Ohne Küsschen und eine längere Umarmung geht’s bei Jean-Claude Juncker nicht. Da musste auch die potenzielle Nachfolgerin durch. (Foto: Francois Lenoir/Reuters)

Ihr erster Auftritt in Brüssel nach der Nominierung zur Chefin der EU-Kommission dauert nur 40 Sekunden. Ursula von der Leyen präsentiert sich gut gelaunt und Arm in Arm mit Jean-Claude Juncker, dem sie am 1. November nachfolgen will. Morgens um halb elf zeigen sich die beiden den Fotografen, die Bundesministerin aus Berlin sagt "Bonjour". Es folgt das bei Juncker übliche Küsschen und eine längere Umarmung. Die Fragen "How are you going to deal with Donald Trump?" und "Welche Zugeständnisse werden Sie dem Parlament machen?" kommentiert Juncker auf Deutsch mit zwei spöttischen Worten: "Guter Versuch." Dann verschwinden die beiden in den 13. Stock des Berlaymont-Gebäudes. Dort ist Junckers Büro, das vielleicht bald von der Leyen gehören könnte.

Nach dem Vier-Augen-Gespräch fasst Junckers Sprecher in Worte, was jeder sehen konnte: Diese zwei kennen sich seit Jahren, weshalb von der Leyen Juncker auch schon mehrmals in der EU-Kommission besucht habe. Von einem "freundschaftlichen Treffen zweier wahrer Europäer" schwärmt der Sprecher und berichtet noch, dass die beiden Christdemokraten vereinbart hätten, "in engem Kontakt" zu bleiben und dass die Kandidatin in der Übergangsphase auf die Unterstützung durch die Kommission und von Juncker persönlich zählen könne - "sollte sie vom Europaparlament gewählt werden".

Um dies sicherzustellen, hat von der Leyen knapp zwei Wochen Zeit. Am 16. Juli soll die Wahl zur Kommissionspräsidentin stattfinden. Doch ob sie die dafür nötige Mehrheit erhält, ist offen. In der Debatte im Europäischen Parlament am Donnerstag wurde deutlich, dass die Fraktionen klare Forderungen haben. Es geht dabei um Klimaschutz, Wirtschaftspolitik und auch um die Frage, ob das Europaparlament ein Gesetzesinitiativrecht bekommt. Von der Leyen wird also in den kommenden Tagen das tun, was sie am Mittwoch in Straßburg versprochen hat: zuhören.

Die Verteidigungsministerin muss sich auf die Schnelle in EU-Themen einarbeiten

Dafür bot sich am Donnerstag schon einmal Gelegenheit. Doch um Inhalte ging es da nur in zweiter Linie. Die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe García sagte, es gehe nicht an, dass der Europäische Rat einfach eine Entscheidung vorgebe und erwarte, dass das Parlament zustimme. Grünen-Fraktionschef Philippe Lamberts bezweifelte, dass dieses Casting dazu beitrage, die nötige Erneuerung der Gesellschaften in Europa voranzubringen. Seine Co-Vorsitzende Ska Keller sagte im SWR, sie sehe keinen Grund, von der Leyen zu wählen, und glaube nicht, dass sich das ändere. Dacian Cioloș von den Liberalen kritisierte die fehlende Transparenz bei der Auswahl hinter verschlossenen Türen. Seine Fraktion Renew Europe werde eine Konferenz für ein demokratischeres Wahlrecht vorschlagen. Und der linke Europaabgeordnete Martin Schirdewan kritisierte die "Hinterzimmer"-Politik des Rates.

Die Kritik rührt daher, dass von der Leyen nicht als Spitzenkandidatin bei der Europawahl angetreten ist. Sie wurde von den Staats- und Regierungschefs am Dienstag überraschend als Kommissionspräsidentin nominiert, nachdem es für die Spitzenkandidaten von EVP und Sozialdemokraten keine Mehrheit im Europäischen Rat gab. Auch im Parlament war keine Mehrheit für Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei (EVP) oder den Sozialdemokraten Frans Timmermans absehbar. Von der Leyen will nun um eine Mehrheit für sich kämpfen.

In den kommenden Tagen möchte sie mit allen Fraktionen sprechen. Bei der EVP war sie bereits, am Montag will sie die Grünen in Brüssel treffen. Die Sozialdemokraten lassen sich länger bitten; geplant ist ein Gespräch in der Woche kurz vor der Abstimmung. Den größten Widerstand gibt es bislang bei den SPD-Abgeordneten; wohingegen die sozialdemokratischen Kollegen aus Italien und Spanien aufgeschlossener sind. Der Grund dafür: Beide Länder haben mit dem Parlamentschef und dem Außenbeauftragten gute Posten erhalten.

Doch Zuhören allein dürfte nicht genügen. Die Verteidigungsministerin muss sich auf die Schnelle in all jene Themen einarbeiten, die Europa zurzeit umtreiben. Wie groß die Bandbreite ist, konnte sie bei ihrem Blitzbesuch in Straßburg feststellen. In der EVP-Fraktion wurde sie etwa gefragt, wie sie zum Brexit stehe. Von der Leyen antwortete nach Teilnehmerangaben, dass das Austrittsabkommen wichtig sei, ansonsten drohe Rechtsunsicherheit. Auch an der Notfalllösung (Backstop) für die Irland-Frage hielt sie fest. Dann wollten die Abgeordneten noch wissen, wie sie zum Euro und zu Schengen stehe.

Von der Leyens Verbündete aus ihrer EVP tun nun alles, damit sie in der Abstimmung nicht durchfällt. Sowohl Juncker als auch Ratspräsident Donald Tusk, den sie ebenfalls in Brüssel traf, unterstützen sie. Am Tag der Wahl soll von der Leyen eine Rede im Straßburger Parlament halten. Eine Vision für Europa, hat sie angekündigt. In Brüssel sagte sie am Donnerstag öffentlich nichts, doch auf Twitter schrieb sie: "Es ist mir besonders wichtig, klugen Rat einzuholen, allen Fraktionen zuzuhören und gemeinsam einen Plan für Europas Zukunft zu erarbeiten."

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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