Chemie:Das blaue Wunder

Chemie: Der Halbedelstein Lapislazuli, hier ein Exemplar aus Afghanistan, ist bis heute ein begehrter Schmuckstein. Lange Zeit war er eine der wichtigsten Quellen für die Herstellung von Ultramarin-Pigmenten in der Kunst. Sein Gewicht wurde mit Gold aufgewogen.

Der Halbedelstein Lapislazuli, hier ein Exemplar aus Afghanistan, ist bis heute ein begehrter Schmuckstein. Lange Zeit war er eine der wichtigsten Quellen für die Herstellung von Ultramarin-Pigmenten in der Kunst. Sein Gewicht wurde mit Gold aufgewogen.

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Es ist die Lieblingsfarbe der meisten Menschen, doch in der Natur findet sie sich selten, künstlich ist sie nur schwer herzustellen. Umso eifriger arbeiten Wissenschaftler an neuen blauen Pigmenten.

Von Kai Kupferschmidt

Reiner Zufall

Seine berühmteste Entdeckung fiel aus heiterem Himmel. Als Festkörperchemiker beim Chemiekonzern Dupont verantwortete Mas Subramanian Hunderte Publikationen und Dutzende Patente. Er hatte einen neuen Supraleiter entdeckt und einen umweltfreundlicheren Weg zur Herstellung der Chemikalie Fluorbenzol gefunden. Nach seinem Wechsel 2006 an die Oregon State University arbeitete er an einem sogenannten Multiferroikum, einem Material mit besonderen elektrischen und magnetischen Eigenschaften, die schnellere Computer ermöglichen sollen. Nach einer Idee von Subramanian mischte deshalb eines Tages der Doktorand Andrew Smith Indiumoxid, Manganoxid und Yttriumoxid und erhitzte die Mischung im Ofen. Die erhofften Eigenschaften zeigten sich nicht, aber: Es war sehr blau.

Subramanian vermutete zuerst, dass Smith wohl einen Fehler gemacht hatte. Dann erinnerte er sich, dass ihm jemand bei Dupont mal gesagt hatte, wie schwer es sei, ein Blau herzustellen. Tatsächlich ist es so schwierig, dass die neue Farbe richtig Aufsehen erregte. So rief die New York Times an, nachdem sein Paper über YInMn-Blau, wie er es nannte, im Journal of the American Chemical Society erschienen war. Der Kunsthistoriker Simon Schama bezeichnete das Pigment als "das bisher blaueste Blau", die australische Shepherd Color Company vermarktete es als Künstlerfarbe, der Chiphersteller AMD setzte es ein, um das Gehäuse von Grafikprozessoren zu färben.

Bereits vor 100 000 Jahren stellten die Menschen Pigmente aus rotem und gelbem Ocker sowie Holzkohle her, aber ein Blau hatten sie nicht. Die Babylonier und Ägypter verwendeten blaues Lapislazuli. Aber der mühsame Prozess, der erforderlich ist, um den Halbedelstein in das Pigment Ultramarin umzuwandeln, wurde erst im 6. Jahrhundert v. Chr. entwickelt.

Angesichts dieses Mangels an natürlichem Blau versuchten die Menschen schon früh, die Farbe selbst herzustellen. Jüngste Funde aus einer Grabstätte in der Türkei lassen vermuten, dass das blaue Mineral Azurit vor 9000 Jahren zu einem feinen Pulver zermahlen wurde, vielleicht für kosmetische Zwecke. Die Ägypter mischten vor 5000 Jahren Sand, Pflanzenasche und Kupfer, um das erste synthetische blaue Pigment zu erzeugen. Im 19. Jahrhundert wetteiferten Chemiker darin, ein synthetisches Ultramarin herzustellen. So gab die BASF 18 Millionen Goldmark aus - mehr als das Unternehmen damals wert war -, um Indigo zu synthetisieren, einen tiefblauen Farbstoff aus Pflanzen. Dieses Blau wurde zu einem der gefragtesten Produkte der chemischen Industrie.

Dennoch sind blaue Pigmente immer noch selten. Die meisten Blautöne der Natur bestehen nicht aus Pigmenten, die der Mensch verwenden kann. Schmetterlinge oder Vögel wirken nur deshalb blau, weil ihre Schuppen oder Federn Nanostrukturen aufweisen, die Licht auf eine bestimmte Weise reflektieren. Sie filtern alle Wellenlängen außer den blauen aus.

Um blau zu erscheinen, muss ein Farbstoff oder ein Pigment rotes Licht absorbieren. Das ist normalerweise der Fall, wenn rote Photonen Elektronen im Pigmentmolekül auf das nächste Energieniveau anheben. Da rotes Licht die niedrigste Energie aller sichtbaren Wellenlängen aufweist, müssen diese beiden Energieniveaus sehr nahe beieinanderliegen. Solche Energiesprossen sind jedoch nur in komplizierten Molekülen zu finden, die wiederum für Organismen nur schwer herzustellen sind.

Pflanzen haben viele unterschiedliche Pigmente entwickelt. Chlorophyll macht Blätter grün; Carotinoide färben Karotten orange, Tomaten rot und Mais gelb; Betalaine produzieren die Farbe der Roten Beete. Aber nur eine Pigmentklasse kann Blau produzieren: die Anthocyane. (Das Wort bedeutet wörtlich "blaue Blume".) Und selbst die meisten Anthocyane sind nicht blau, sondern rot, weil sie blaues Licht absorbieren. Erst wenn sich diese Moleküle mit weiteren chemischen Gruppen verbinden, können sie rotes Licht absorbieren.

Auch bei Mineralien ist Blau ein Sonderfall. Subramanian entdeckte, dass die Farbe von YInMn durch ein Mangan-Ion erzeugt wird, das von fünf Sauerstoffatomen umgeben ist. Es sieht aus wie zwei aneinandergeklebte dreiseitige Pyramiden. Eine solche Geometrie findet sich selten in natürlichen Mineralien.

Selbst heute ist es schwierig, neue blaue Materialien von Grund auf zu entwerfen. "Es muss so viel Chemie zusammenkommen", sagt Subramanian. Kleine Änderungen in der Anordnung benachbarter Atome können die Energieniveaus der Elektronen und damit die Farbe verändern, die es absorbieren kann. Das Rot der Rubine und das Grün der Smaragde stammen beide von Chromionen, die von sechs Sauerstoffatomen umgeben sind. Andere Atome in den beiden Steinen verursachen den Farbunterschied. Solche Effekte sind kaum vorherzusagen, sagt Subramanian: "Wenn Rubine und Smaragde in der Natur nicht existierten, würde niemand wissen, wie man sie erzeugt."

Aber Wissenschaftler haben die Jagd nach einem neuen Blau nicht aufgegeben und setzen ihre jahrhundertealte Suche mit Werkzeugen des 21. Jahrhunderts fort. Obwohl die Entdeckung von Subramanian zufällig erfolgte, setzen andere Forscher auf die Instrumente der Physik, Chemie oder Genetik.

Die unmögliche Blume

Chemie: Die blaue Blume gilt seit der Romantik als Symbol der Sehnsucht und des Unerreichbaren. Züchter und Gentechniker versuchen seit Jahrzehnten blaue Rosen zu entwickeln, bislang nur mit bescheidenem Erfolg.

Die blaue Blume gilt seit der Romantik als Symbol der Sehnsucht und des Unerreichbaren. Züchter und Gentechniker versuchen seit Jahrzehnten blaue Rosen zu entwickeln, bislang nur mit bescheidenem Erfolg.

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Im Jahr 2004 stellten japanische Forscher um Yoshikazu Tanaka der Öffentlichkeit die angeblich erste blaue Rose der Welt vor. Das einzige Problem: Sie war nicht sehr blau. Obwohl die Blütenblätter ein blaues Pigment produzierten, wirkte sie eher lila. Selbst Tanaka gab zu, dass er beim ersten Anblick der Blume gedacht habe: "könnte blauer sein".

Fünfzehn Jahre später sucht Tanaka immer noch nach der blauen Rose. Er arbeitet im Forschungszentrum des Getränkekonzerns Suntory, der aus Japans erster Whiskybrennerei hervorgegangen war. Nachdem in den 1980er-Jahren eine Steuererhöhung den Schnaps verteuert hatte, war das Unternehmen zusätzlich in den Schnittblumenmarkt eingestiegen. Der Legende nach sollte die Englische Rose von Suntory die schottische Nationalfarbe Blau tragen, um die Erfindung des Whiskys zu feiern.

Doch wahrscheinlich war es nur eine gute Geschäftsidee, schließlich sind blaue Blumen selten. Chrysanthemen, Nelken, Tulpen - keine von ihnen ist natürlicherweise blau. Blaue Orchideen werden üblicherweise künstlich gefärbt. Jahrzehntelange Zucht hat Rosen in allen Schattierungen von Gelb, Rosa und Rot hervorgebracht, aber keine in Blau.

Künstler wissen das schon lange. In der Romantik war die blaue Blume Symbol der Sehnsucht und des Unerreichbaren. Rudyard Kipling schrieb ein Gedicht über einen Mann, den seine Geliebte beauftragt hatte, eine blaue Rose zu suchen: "Lief die Welt durch bis ans End, wo ich solche Blumen fänd." Als er mit leeren Händen zurückkehrt, ist seine Liebe gestorben.

Die Komplexität der blauen Blüten wurde erstmals 1913 deutlich, als der deutsche Forscher Richard Willstätter berichtete, er habe das blaue Pigment aus Kornblumen isoliert. Es war ein Anthocyan, das er Cyanidin nannte. Als er zwei Jahre später das Pigment roter Rosen isolierte, stellte sich heraus, dass es genau dasselbe Molekül war. Willstätter machte dafür den niedrigeren pH-Wert der Rosen verantwortlich. Es war die erste wissenschaftliche Theorie über blaue Blumen, und sie war falsch.

Es dauerte Jahrzehnte bis schließlich 2005 die Röntgenkristallografie eine andere Erklärung bestätigte. Cyanidin allein erzeugt keine stabile blaue Farbe. Stattdessen kombinieren Kornblumen sechs Cyanidin-Moleküle mit sechs Molekülen eines farblosen Co-Pigments, das um zwei Metallionen angeordnet ist - ein riesiger Molekülkomplex, der die Cyanidin-Moleküle stabilisiert und es einem Elektron ermöglicht, den richtigen Energieübergang vorzunehmen. "Blumen machen verrückte Chemie, um dieses Blau zu erzeugen", sagt der Botaniker Beverley Glover von der Universität Cambridge.

Mehrere andere blaue Blumen nutzen den gleichen Trick, aber die meisten produzieren ein anderes Anthocyan, genannt Delphinidin, das leichter dazu gebracht werden kann, blau zu erscheinen. Es weist an einem seiner Ringe ein zusätzliches Sauerstoffatom auf, das von einem Enzym namens Flavonoid 3',5'-Hydroxylase gebildet wird. Der gesamten Rosenfamilie fehlt dieses Enzym, sodass Delphinidin produzierende Rosen nicht durch traditionelle Züchtung hergestellt werden können.

Tanaka setzte deshalb auf Gentechnik. Bis 1991 hatten er und seine Kollegen das Flavonoid-Gen bei Petunien identifiziert und patentiert. Sie setzten das Gen in Nelken an, woraufhin diese Delphinidin produzierten und sich violettblau färbten. Doch in Rosen versagte das Gen. Die Blume produzierte zwar Delphinidin, aber keine blauen Pigmente. Deshalb ging die Präsentation der angeblich blauen Rose so daneben. Anscheinend reicht Delphinidin nicht aus. Die Wissenschaftler müssen selber verrückte Chemie betreiben.

Seitdem hat Tanaka versucht, die Gene von Glockenblumen, Stiefmütterchen und anderen blauen Blumen zu übertragen, um Delphinidin chemisch zu "dekorieren", in der Hoffnung, die magische Kombination zu finden. Letztes Jahr zeigte er einem Besucher Hunderte winzige Rosenpflanzen, die unter fluoreszierendem Licht wachsen. "Alle von ihnen sollen dazu beitragen, dass irgendwann einmal eine neue blaue Farbe entsteht", sagt er.

In der Zwischenzeit hat eine Kooperation von Tanaka und einer Gruppe um Naonobu Noda am Institut für Gemüse- und Blumenbauwissenschaften in Tsukuba, Japan, immerhin zu einer unbestreitbar blauen Blume geführt: einer blauen Chrysantheme. Im Fachblatt Science Advances berichteten die Forscher, dass das Flavonoid-3',5'-Hydroxylase-Gen aus Glockenblumen zusammen mit einem Gen, das ein Glukose-Molekül hinzufügt, erfolgreich war: Es entstanden die blauesten, jemals durch Gentechnik erzeugten Blüten. Offensichtlich hat die Glukose es den natürlichen Enzymen der Blume ermöglicht, weitere chemische Gruppen - Co-Pigmente - an Delphinidin zu binden und so ein stärkeres Blau zu erzeugen. Leider hat exakt die gleiche Strategie bei Rosen nicht funktioniert, vermutlich liegt es an fehlenden Co-Pigmenten und dem niedrigen pH-Wert.

Aber Tanaka gibt nicht auf. So experimentiert er weiter mit Genen von Enzian und Schnappmäulchen. In der Tradition von Willstätter versucht er sogar, den pH-Wert in den Rosenblättern zu verändern.

Tanaka ist zuversichtlich, dass er bis zu seiner Pensionierung in fünf Jahren Erfolg haben wird. 30 Jahre Suche haben ihn jedoch auch vorsichtiger gemacht: "Es ist schwer zu sagen, wie blau sie sein werden."

Viel zu grün

Chemie: Siamesische Kampffische werden wegen ihrer leuchtenden Farben gern im Aquarium gehalten. Die meisten Tiere bilden aber nicht wirklich blaue Pigmente, vielmehr reflektieren Nanostrukturen auf Schuppen und Federn das Licht auf besondere Weise.

Siamesische Kampffische werden wegen ihrer leuchtenden Farben gern im Aquarium gehalten. Die meisten Tiere bilden aber nicht wirklich blaue Pigmente, vielmehr reflektieren Nanostrukturen auf Schuppen und Federn das Licht auf besondere Weise.

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Vor einem Jahrzehnt hat Cathie Martin am John-Innes-Center gentechnisch veränderte Tomaten hergestellt, die Anthocyane produzieren. Sie wirken nämlich auch als Antioxidantien, die vielleicht gesundheitsfördernde Effekte haben könnten, zugleich aber färben sie als Pigmente Gemüse dunkelviolettblau. Das brachte Martin auf die Idee, auch andere Lebensmittel blau zu machen.

Nur wenige Nahrungsmittel sind von Natur aus blau, aber die Farbe ist seit Langem gefragt. Mit synthetischem Ultramarin wurde früher Rohrzucker aufgehellt, dessen gelbliches Schimmern störte. Mit blauen Lebensmittelfarben werden Süßigkeiten, Glasuren und Getränke gefärbt. Sie werden auch mit anderen Farben gemischt. "Wir brauchen Blau, um alle Farben des Spektrums zu erzeugen", sagt Richard van Breemen, ein Chemiker, der Naturstoffe an der Oregon State University in Corvallis untersucht.

Derzeit ist die Auswahl begrenzt. In den USA sind zwei synthetische blaue Lebensmittelfarbstoffe zugelassen: Brilliant Blue, auch Blau Nr. 1 genannt, wurde ursprünglich aus Kohlenteer hergestellt, Blue Nr. 2 oder Indigokarmin wird aus synthetischem Indigo gewonnen. Ein weiteres synthetisches blaues Farbmittel ist in der EU erhältlich: Patentblau V verleiht dem blauen Curaçao-Likör seinen Farbton.

Da die Verbraucher natürliche Inhaltsstoffe bevorzugen, suchen Unternehmen wie Mars und Pepsi nach Ersatz für die synthetischen Farbstoffe, bislang mit wenig Erfolg. "Eine der großen Enttäuschungen bei der Farbe Blau ist, dass es sehr, sehr schwierig ist, natürliche Farben mit Verbindungen zu kombinieren, die zum Färben von Lebensmitteln verwendet werden können", sagt Martin.

Der einzige natürliche blaue Farbstoff ist ein Rohextrakt aus Spirulina-Algen, der von der US-Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde im Jahr 2014 zur Verwendung in Süßwaren und anderen Lebensmitteln zugelassen wurde. Er ist jedoch nicht sehr stabil und blau. "Es ist ein schreckliches Blau", sagt sie. "Es ist eigentlich grün." Und die Farbe kann sich ändern oder verschwinden, wenn Lebensmittel gebacken, gekocht oder im Supermarktregal dem Licht ausgesetzt werden.

Van Breemen hat deshalb in der Welt der Mikroben nach besseren Kandidaten gesucht. Er nahm an, dass man in extremen Umgebungen eher ein stabiles Blau findet, zum Beispiel in den heißen Quellen des Yellowstone-Nationalparks oder im Ozean. Aber er fand keine geeigneten blauen Pigmente. Viele der Substanzen erwiesen sich eher als chemische Waffen der Mikroben. Sie eigenen sich eher als Antibiotika denn als Lebensmittelfarbstoffe.

Pflanzen sind möglicherweise die bessere Wahl, zumal sie eine Vielzahl von Wirkstoffen zur Auswahl bieten. Obwohl auch die meisten blauen Blüten Pigmente auf der Basis von Delphinidin bilden, variieren sie das Molekül, weil sie verschiedene chemische Gruppen hinzufügen. Cathie Martin hofft in der Blauen Klitorie, einem Schmetterlingsblütler, eine stabile Lebensmittelfarbe zu finden. Die schönen blauen Blüten verleihen dem malaiischen Reisgericht Nasi Kerabu seine Farbe.

Martin kaufte Klitorie-Blüten zunächst online bei Amazon, doch bald gingen die Vorräte aus. Vor Kurzem erhielt sie drei prall gefüllte Säcke mit Blüten aus Saudi-Arabien. Die hatte ein Wissenschaftler, der ihr Labor besucht hatte, in freier Wildbahn sammeln lassen. Eine Mischung aus Anthocyanen aus der Blauen Klitorie habe sich bereits für einige Lebensmittelanwendungen bewährt, sagt Martin. Forscher in ihrem Labor haben es verwendet, um bläulichen Zuckerguss für Cupcakes und Donuts sowie blaues Eis zu machen.

Aber auch diese Pigmente sind flüchtig. "Die meisten blauen Anthocyane haben eine Halbwertszeit von etwa 24 Stunden. Und wir reden über etwas, das mindestens drei Monate hält ", sagt Martin. Also geht ihre Suche weiter.

Farbe aus der Tiefe

Chemie: Bei den Malern der Renaissance war Ultramarin eines der beliebtesten Pigmente, besonders häufig wurde es für die Darstellung der Jungfrau Maria verwendet. So wie es hier Giovanni Bellini gegen 1480 bei seiner Madonna mit dem Kind gemacht hat.

Bei den Malern der Renaissance war Ultramarin eines der beliebtesten Pigmente, besonders häufig wurde es für die Darstellung der Jungfrau Maria verwendet. So wie es hier Giovanni Bellini gegen 1480 bei seiner Madonna mit dem Kind gemacht hat.

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Der Geologe David Dobson vom University College London (UCL) war sich lange Zeit nicht bewusst, dass blaue Pigmente besonders wären. Das änderte sich erst, als er die Aufregung um das neue YInMn-Blau von Mas Subramanian mitbekam, das auch seine Kollegen der Slade School of Fine Art des UCL erregte. "Ich dachte, Moment mal", sagt er. "Ich mache die ganze Zeit Blau in meinem Labor."

Dobson beschäftigt sich mit der Mantelübergangszone, jenem Teil des Erdmantels, der sich von etwa 410 bis 660 Kilometer unter unseren Füßen erstreckt. In seinem Labor setzt er Mineralproben in einer sogenannten Viel-Stempel-Presse unter den gigantischen Druck dieser Tiefen, er beträgt etwa das 200 000-fache des Drucks auf der Erdoberfläche. Unter diesen Bedingungen verändert sich das im Erdmantel am häufigsten vorkommende Mineral Olivin, das aus den Elementen Eisen, Magnesium, Silizium und Sauerstoff besteht. Es entsteht ein anderes Mineral namens Ringwoodit, das durch eine Eigenschaft besonders auffällt: Die millimetergroßen Krümel dieses Minerals sind ebenfalls tiefblau.

Nachdem Dobson den Erfolg von YInMn mitbekommen hatte, beschloss er, sein tiefes Erdblau ebenfalls in ein neues Pigment umzuwandeln. Er rechnet damit, dass es einen Markt dafür geben wird, schon allein deshalb, weil nicht jeder von YInMn-Blau begeistert ist. Das Element Indium, einer seiner Inhaltsstoffe, macht es ziemlich teuer: Eine 40-Milliliter-Tube mit Acrylfarbe kostet 130 US-Dollar oder mehr. Dabei war es "eigentlich ein bisschen suppig", sagt Jo Volley, Dozent an der Slade School.

Zunächst musste Dobson verstehen, woher die Farbe von Ringwoodit stammt. "Alle hatten sich daran gewöhnt, dass es blau ist, und niemand hatte sich wirklich Gedanken darüber gemacht, warum das so ist", sagt der Geologe. Er fand heraus, dass die Farbe nicht durch einen Energieübergang innerhalb eines Atoms entsteht, sondern durch den Austausch eines Elektrons zwischen zwei Arten von Eisenionen, die von vier Sauerstoffionen in tetraedischer Anordnung umgeben sind. (Der gleiche Mechanismus erklärt die Farbe von Preußischblau, einem Pigment, das 1706 zufällig entdeckt wurde, als Berliner Alchemisten in einem Rezept für ein rotes Pigment verunreinigtes Kali verwendeten.)

Die Struktur von Ringwoodit schafft also genau die richtigen Bedingungen für den Elektronentausch, um rotes Licht zu absorbieren. Allerdings ist diese Anordnung nur unter dem enormen Druck im Erdinneren stabil. An der Erdoberfläche zerstört bereits das einfache Mahlen des Minerals Struktur und Farbe.

Dobson versuchte nun, eine ähnliche Struktur zu schaffen, die bei einem Druck von nur einer Atmosphäre stabil ist. Er experimentierte zuerst mit Zinkgermanat, einem Mineral, das ebenfalls Metallionen - Zink und Germanium - aufweist, die von Sauerstoffatomen umgeben sind. Wenn genügend Eisen das Zink und Germanium ersetzt, färbt sich die Struktur blau, sagt Dobson. Er hat bereits eine Probe redesigntes Zinkgermanat in seinem Labor hergestellt, das tatsächlich blau ist. Nun hofft, die Farbe durch Hinzufügen von mehr Eisen noch voller zu machen.

Der niederländische Maler Pieter van der Werff verwendete vor drei Jahrhunderten das neu entdeckte Preußisch Blau, um den Himmel und den Schleier Marias in einem Gemälde zu färben, das die Grablegung Christi darstellt. Subramanians Frau Rajeevi - eine Festkörperchemikerin und Künstlerin - nutzte das neue YInMn-Blau für ein Gemälde des Crater Lake, nicht weit vom Haus des Paares entfernt und berühmt für sein tiefblaues Wasser.

Dobson hofft, ein ähnlich überzeugendes Blau zu entwickeln. Es wäre das erste blaue Pigment, das von Grund auf neu entworfen und nicht versehentlich entdeckt oder aus der Natur entlehnt wurde. Es würde ein neues Kapitel in der menschlichen Liebesbeziehung zu Blau aufschlagen.

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin Science erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: cwb. Weitere Informationen: www.aaas.org

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