Leseraufruf:Auf die Nackten folgen Hagelkörner

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Eine nackte Frau am Eisstandl: 1984 provozierte die Veröffentlichung eines solchen Bildes mitunter heftige Reaktionen. (Foto: AP)

Die SZ zeigt im Lokalteil entkleidete Menschen - und bald darauf kommt das Gewitter. Das war nicht nur diese Woche, sondern schon vor 35 Jahren so. Erinnern Sie sich noch?

Am vergangenen Samstag beschäftigte sich die SZ unter der Überschrift "Münchner Freiheit" mit der Tradition des Nacktseins in der Stadt, wobei auf der Titelseite und im Lokalteil zwei ältere Bilder gezeigt wurden, auf denen entkleidete Menschen zu sehen waren. Am Montag zogen Gewitter auf, es gab Hagel-Warnungen. Zufall? Vielleicht nicht.

Vor 35 Jahren trafen ähnliche Ereignisse schon einmal aufeinander, wie Wilfried Prins erinnert. Er wies die Redaktion auf einen Leserbrief hin, der am 20. Juli 1984 in der SZ veröffentlicht wurde, acht Tage, nachdem ein Hagelsturm über München gezogen war, bei dem bis zu neun Zentimeter dicke Eiskörner vom Himmel gefallen waren. In dem Leserbrief hieß es unter der Überschrift "Da schlug der Herrgott zu ...":

"Am Donnerstag, dem 12. Juli, hatten Sie auf der Münchner Seite ein schandhaftes Bild einer nackten Frau von hinten am Eisstandl. Mit unverhohlener Freude stellten Sie fest, daß es im Englischen Garten recht zwanglos zugehe. Ich war sehr verärgert. In einer Zeitung vom Format der SZ und ein paar Tage nach dem Katholikentag sollten solche Nackedeis nicht möglich sein. Gibt es denn da keine Sittenpolizei, die im Englischen Garten solche Schweinigel aufgreift und sie in die Gefängnisse bringt? So denken doch mindestens 80 Prozent unserer bayerischen Bevölkerung.

Noch am selben Abend schlug der Herrgott zu. Er ließ über dieses sittenlose München Hagelkörner von ziemlicher Größe fallen. Auch im Alten Testament hat Gott oft Strafen geschickt. Warum soll er das jetzt nicht mehr tun? Da wunderten sich die Münchner in ihrer sittenlosen und ziemlich gottlosen Stadt, wieso solches überhaupt noch in einer technisch fortgeschrittenen Zeit möglich sei. Die Eissteine vom Himmel sind ein Zeichen für eine Stadt, die die Sittenlosigkeit in der Öffentlichkeit und auf manchen Bühnen zulässt. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher."

Bei dem Hagelsturm wurden damals in ganz Bayern mehr als 70 000 Gebäude beschädigt, mehr als 200 000 Autos wurden verbeult. Es entstand ein Schaden von rund drei Milliarden Mark, was der größte Schaden für die Versicherungswirtschaft war, der bis dahin verzeichnet wurde. Besonders hart traf das Unwetter die östlichen Münchner Vororte. Es gab zahlreiche Verletzte. Bevor der Sturm losbrach, war die Temperatur zur Tagesschau-Zeit innerhalb von einer Viertelstunde von 26 auf 16 Grad gestürzt. Wer all das miterlebte, hat vielfach noch eine gute Erinnerung daran. Zum Jahrestag kommende Woche möchte die SZ diese gerne darstellen. Schicken Sie uns doch Ihre Erlebnisse von jenem Tag! Unter den Einsendungen werden drei Bücher des Bayern-Bildbandes "Zeitlang" von Sebastian Beck und Hans Kratzer verlost.

Zuschriften bitte an: Süddeutsche Zeitung, München-Redaktion, Hultschiner Str. 8, 81677 München. Fax: 089 2183 - 8295 oder per Mail muenchen-region@sueddeutsche.de.

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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