Organspende:Im Zweifel selbst entscheiden

Die Widerspruchslösung, bei der Bürger ohne Eigeninitiative automatisch zum ,,Ersatzteillager" würden, kommt bei einigen Lesern nicht gut an. Andere wiederum fordern ein Recht auf Spenderorgane für diejenigen, die selbst zur Spende bereit sind.

Zu "Blanke Verzweiflung", "Schicksalsfragen" und "Abgeordnete ringen um Organspende-Gesetz", jeweils vom 27. Juni, sowie zu "Weniger Nein oder mehr Ja" vom 26. Juni:

Für eine dritte Option

Das vom Gesundheitsminister vorgelegte Gesetz zur Organentnahme ist an sich überfällig, hat aber einen gravierenden Fehler: Er empört die vielen Menschen, die aus verschiedensten Gründen zögern, sich definitiv für oder gegen die Organspende zu entscheiden. Warum nicht eine Option "Unentschieden" aufnehmen? Sie kann jederzeit vom Inhaber geändert werden - und umgeht damit den brachialen Zwang, sich ad hoc entscheiden zu müssen.

Dr. Hans-Georg Fritz, Berlin

Zweite Leibeigenschaft

Die von Herrn Minister Spahn propagierte Widerspruchslösung stellt die Prämissen des modernen Menschenbildes ebenso grundsätzlich in Frage wie das neuzeitliche Rechts- und Staatsverständnis, und sie erinnert an mittelalterliche Vorstellungen von der allzeitigen Verfügbarkeit des Einzelnen für kirchliche und weltliche Gewalten. Angesichts des Vorhabens, das Individuum seiner Organe zu enteignen, kann man zu Recht von der Etablierung einer zweiten Leibeigenschaft sprechen: Der Leib des Einzelnen gehörte künftig erst einmal dem Staat, der an die Stelle des mittelalterlichen Feudalherren tritt. Die Autonomie des Individuums sowie dessen grundrechtlich verbriefter Anspruch auf körperliche Unversehrtheit gelten dann als nachrangig gegenüber dem Verfügungsrecht des Staates.

Dem Einzelnen soll zwar noch das Recht zugestanden bleiben, sein Veto einzulegen, also die Verfügungsgewalt über seinen Leib und dessen Organe vom Staat zurückzufordern, aber initiativ werden muss er selber. Ist er dazu aus gesundheitlichen, sozialen oder anderen Gründen nicht in der Lage, wird im Moment des Todes das Prärogativ des Staates wirksam, der dann entscheidet, ob und gegebenenfalls wie mit jedem einzelnen Körper nach dem Ausfall der Zerebralfunktionen und vor dem Aussetzen der Atmung und des Herzschlages zu verfahren ist, ob man ihn ohne weitere Eingriffe zum Leichnam werden lässt oder ob vorher noch die verwertbaren Organe entnommen werden.

Die heikle Frage nach der Definition des Todeszeitpunktes eines Menschen beantwortet Spahn im Sinne des Transplantationsrechtes kategorisch mit dem Eintreten des Hirntodes. Bedenken gegenüber diesem relativ neuen Konzept, mit dessen Hilfe Organtransplantationen überhaupt erst legalisiert werden konnten, weist er von sich.

Der alternative Entwurf, vertreten unter anderem durch Annalena Baerbock, kommt ohne diese rigorose Abkehr von neuzeitlichen Errungenschaften aus, wie dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und der Legitimierung staatlicher Autorität nicht mehr aus sich selbst, sondern aus der Orientierung am Wohlergehen seiner Bürger.

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Bei diesem Vorschlag fordert der Staat den Einzelnen im Namen der Gemeinschaft auf, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden, und erst durch die explizite Einwilligung des Betroffenen in die Organentnahme erhält der Staat dafür auch eine Legitimation. Diesem Gesetzentwurf zufolge bleibt das Ureigenste des Menschen, sein Körper, weiterhin unangefochten sein eigen. Bei Spahns Entwurf dagegen gehört der Körper künftig - welch entsetzliche Vorstellung - a priori dem Staat.

Klaus Reißmann, Nürnberg

Spender bevorzugen

In dem Artikel "Schicksalsfragen" wird sehr gut und klar die Situation mit Organspenden und die Diskussion um die Widerspruchslösung dargestellt. Aber ist da jemals eine Einigung möglich? Ich habe einen Vorschlag: Wer ein Organspender mit Ausweis und Registrierung ist, der bekommt bei Bedarf selbst ein Organ. Wer kein Organspender ist, hat keine Chance auf ein Spenderorgan. Damit könnte sich die extreme Diskrepanz zwischen Wartenden und verfügbaren Organen schnell ändern.

Gerlinde Hullmann, München

Ehrliche Aufklärung

Die Organspende ist seit den Diskussionen zum Transplantationsgesetz von 2007 ein skandalöser Vorgang, da die Bevölkerung von Anfang an nicht sachgerecht aufgeklärt wurde. Ein Hirntoter ist kein Ganztoter, wie Transplanteure gern propagiert haben. Der menschliche Körper ist auch kein Gefäß voller Geschenke. Auch das wurde verkündet. Ein Hirntoter ist ein lebender Organismus, der bestimmte Fähigkeiten verloren hat, nämlich die Überlebensfähigkeit, das Bewusstsein, die Wahrnehmungsfähigkeit und anderes mehr. Aber solange er unter der Assistenz von Maschinen auf seine Explantation wartet, lebt er. Sein Sterbeprozess wird künstlich verlängert. Der Hirntod wird zwar nach den Regeln festgestellt, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, aber der Hirntod ist nicht der endgültige Tod.

Erst die Explantation tötet. Hirntote können Kinder zur Welt bringen, Tote jedoch nicht. (Kleiner Hinweis: Ein Pantoffeltierchen hat kein Gehirn, dennoch käme kein Biologe auf die Idee, ein solches Lebewesen als tot zu bezeichnen.)

Ich bin kein Gegner der Organtransplantation, aber sie sollte nur auf dem Hintergrund sachgerechter und ehrlicher Aufklärung der Bevölkerung stattfinden und ebenso nur aufgrund individueller Zustimmung. Krankheit und Tod sind Schicksalsfragen. Vielleicht sollten wir wieder lernen, Schicksal zu ertragen und nicht hypnotisiert und zwanghaft auf das medizinisch Machbare zu starren und uns dem medizinisch Machbaren auch nicht fraglos zu unterwerfen. Man darf gegenüber Heilsversprechungen der Medizin durchaus skeptisch, gar misstrauisch sein.

Karikatur Leserbriefseite 6.7.2019

SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte

Prof. Dr. med. H. Ulrich Senftleben, Mainz

Marktplatz der Organe

Die Würde des Menschen sei unantastbar, sagt das Grundgesetz. Dem würde ein Gesetz widersprechen, das die Bürger generell zu Ersatzteillagern erklärt, wenn sie nicht widersprochen haben. Auch mildere Druckmittel, etwa regelmäßige Abfragen, setzen die Menschen einem moralischen Druck aus, der mit Sicherheit die Freiwilligkeit untergräbt.

Die Frage ist doch, ob der Einzelne bei Organversagen einen Anspruch auf Ersatzteile zulasten anderer Menschen hat. Ein solches Recht auf Organe Dritter sollte es aber nicht geben! Das ist kein Markt, bei dem die Politik für Bedarfsdeckung zu sorgen hat. Sondern das betrifft die tiefste Ebene unseres Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Achtung unserer individuellen Würde über den Tod hinaus. Eine Organtransplantation darf es nur bei völlig freiwilliger Entscheidung des Spenders geben; dafür darf geworben werden - mehr nicht.

Dr. Gerd Eisenbeiß, Bonn

Volk als Ersatzteillager

In früheren Zeiten wurden die Toten drei Tage aufgebahrt, man hatte Zeit, sich zu verabschieden. Heute werden in aller Eile die Instrumente gewetzt, denn das Organ muss ja noch lebendig sein, soll das Werk der Entnahme den Meister loben. Doch kommt tatsächlich der Segen von oben? Wer kann den Eltern, die ein Organ ihres Kindes freigeben - beim Auto nennt man diesen Vorgang zutreffend "Ausschlachten" - wirklich sagen, ob dies eine gute Tat oder eine Gräueltat ist? Was wissen wir Menschen denn schon über den Tod.

Aber mit unserer Angst vor dem Tod wird zunehmend gearbeitet. Ist es wirklich berechtigt, angesichts dieses Nichtwissens ein ganzes Volk zum Ersatzteillager zu machen? Wer will, kann sich ja jederzeit entsprechend entscheiden.

Eigentlich gibt es nur eine Gewissheit: Der Gesundheitsminister bekommt eine unangemessen hohe Pressepräsenz.

Margrit Brauer, Celle

Neuordnung abwarten

Die Anfang April vom Bundestag beschlossene Neuordnung der Organspende muss doch erst Wirkung entfalten. Frühestens nach einem Jahr werden verlässliche Daten vorliegen. Dann wird sich zeigen, ob sich derselbe Effekt wie in Spanien einstellt und die Spenderzahlen steigen. Diese Ergebnisse sollten auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) abwarten können. Die Regelung der Organspende sollte bis dahin ausgesetzt werden.

Marieluise Fieger-Besdziek, Freiburg

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