Italien und die Seenotrettung:Salvini gegen alle

  • Ein Skipper steuert das Segelschiff einer italienischen Hilfsorganisation mit 41 Migranten an Bord in den Hafen von Lampedusa. Nun ermittelt die Justiz gegen ihn.
  • Möglicherweise deuten die Seenotretter die Gerichtsentscheidung im Fall der deutschen Kapitänin Rackete als Präzedenzfall. Das zuständige Gericht hatte entschieden, dass diese mit der Rettung von Flüchtlingen ihrer Pflicht nachgekommen war.
  • Italiens Innenminister Salvini inszeniert sich derweil als einsamer Kämpfer gegen die private Seenotrettung.
  • Doch die Probleme löst er damit nicht.

Von Oliver Meiler, Rom

Von Tommaso Stella, einem 46-jährigen Mailänder, den alle nur "Tommy" rufen, haben die Segelfreunde Italiens bisher nur im sportlichen Zusammenhang gehört. Stella nahm in seiner Karriere an vielen internationalen Regatten teil, oft mit den Besten. "Ich war auf allen tollen Booten dabei", sagt der Sportsegler. Doch seine Mutter sei wohl erst jetzt so richtig stolz auf ihn. Skipper Stella hat am Wochenende die Alex, ein Segelschiff der italienischen Hilfsorganisation Mediterranea, mit 41 afrikanischen Migranten an Bord in den Hafen von Lampedusa gesteuert. Trotz Verbots der römischen Regierung. Er ist Italiens Antwort auf Carola Rackete.

Mediterranea hatte die Alex mit Steuermann Stella erst am 2. Juli vor die Küsten Libyens geschickt. Früher kreuzte die NGO dort mit der Mare Jonio, einem richtigen Kahn mit Platz für viele Passagiere. Doch vor einiger Zeit setzte die Justiz das Schiff fest. Die Alex sollte nun die Gewässer überwachen, nach Schiffbrüchigen suchen, Zeugnis ablegen über die Zustände auf der gefährlichen Fluchtroute durch das zentrale Mittelmeer - mehr nicht.

Doch bereits am zweiten Einsatztag stieß das Segelschiff auf ein Schlauchboot mit 54 Migranten in Seenot. Der Motor war ausgefallen, die Menschen trieben ziellos im Meer. Stella ließ das Beiboot herunter und holte die ersten Flüchtlinge persönlich an Bord. Es waren auch schwangere Frauen und kleine Kinder dabei. Dann steuerte er Lampedusa an, den nächstgelegenen, sicheren Hafen.

Zur gleichen Zeit war auch die Alan Kurdi, ein umgebautes Forschungsschiff der deutschen Organisation Sea-Eye, unterwegs nach Lampedusa. Mit 65 geretteten Migranten an Bord. Matteo Salvini, der Innenminister von der rechten Lega, reagierte in beiden Fällen gleich: "Der Hafen ist zu", twitterte er. Der Tweet ist zum Refrain geworden. Die Alan Kurdi drehte ab und nahm Kurs auf Malta, wo man ihr am Sonntagabend Anlegeerlaubnis erteilte. Die Alex fuhr weiter nach Lampedusa.

Skipper zeigt sich von Ermittlungen gegen ihn unbeeindruckt

Ein Dutzend der Migranten an Bord wurden in Sicherheit gebracht, kaum war das Segelschiff an der Grenze zu italienischem Hoheitsgewässer angelangt. Die Behörden brachten auch Trinkwasser und Lebensmittel für die weiteren Passagiere an Bord der Alex - wohl in der Annahme, dass es auch diesmal Wochen dauern würde, bis die Blockade fallen würde.

Doch Stella erklärte den Notstand an Bord: Das Schiff sei viel zu klein für so viele Menschen. Die Sonne brannte aufs Deck, die Toilette war verstopft, es gab neue Krankheitsfälle. So fuhr Stella durch zum Hafen. Riskante Manöver brauchte er keine zu machen: Die Motorboote der Marine und der Guardia di Finanza fuhren nur nebenher.

Nun ermittelt die Justiz gegen den Skipper, was den nicht zu bekümmern scheint. "Das ist mir egal", sagte Stella. "Ich bin ein glücklicher Mann, ich konnte 54 Menschen retten, die aus der Hölle Libyens geflohen sind." Die Alex wurde beschlagnahmt, die Migranten konnten an Land.

Mehrheit der Italiener für harte Haltung gegen Seenotretter

Es ging also alles viel schneller als zuletzt bei der Sea-Watch 3 und ihrer Kapitänin Carola Rackete, dem viel beachteten Lehrstück zum Umgang Italiens mit den Seenotrettern im Mittelmeer. Gut möglich, dass die anderen NGOs den Fall jetzt als Kehrtwende deuten, als Präzedenzfall. Das zuständige Gericht in Agrigent gelangte ja zu dem Schluss, dass Rackete nur ihrer Pflicht nachgekommen sei, als sie die Migranten rettete und sie vor gut einer Woche auf Lampedusa in Sicherheit brachte, obschon man ihrer Sea-Watch 3 die Hafeneinfahrt verwehren wollte.

Salvini gab die Richterin danach dem Hass seiner Anhänger frei. Er schäme sich für sie, sagte er. Mittlerweile nimmt er jede Rettungsoperation als Provokation wahr, gegen ihn gerichtet. Jedenfalls tut er so.

"Ich fühle mich alleingelassen", sagte er. Bei der Verteidigung der Grenzen und der Häfen, behauptet er, stünden ihm nicht einmal mehr seine Regierungspartner von den Cinque Stelle und einige seiner Ministerkollegen bei. Wirtschaftsminister Giovanni Tria, für die Zoll- und Steuerpolizei zuständig, griff er an, weil dessen Sohn für eine NGO arbeitet. Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta wirft er vor, sie halte die Schiffe der Marine absichtlich zurück, statt mit ihnen die Seeblockade zu polstern. Trenta konterte, sie habe ihre Hilfe mehrmals angeboten, ohne Erfolg.

Salvinis Popularität lebt vom selbst gefertigten Image des einsamen Streiters und Machers. Er sagt auch gerne: "Ich bin ein Minister mit Eiern." In einer Umfrage des Corriere della Sera befürworten 59 Prozent der befragten Italiener Salvinis unnachgiebige Haltung gegen die Flüchtlingshelfer. Diese Quote ist zuletzt zwar leicht gesunken, aber sie ist noch immer so robust, dass Salvini weitermacht. Er werde jetzt die Geldstrafen für NGOs erhöhen, sagte er: von 50 000 auf eine Million Euro. Sein Sicherheitsdekret soll so umformuliert werden, dass die privaten Rettungsschiffe schon beim ersten Einsatz beschlagnahmt werden können.

Probleme löst Salvini mit seiner Propaganda nicht

Ich gegen alle: Das funktioniert auch deshalb so gut, weil die Italiener fast einhellig und völlig zu Recht der Auffassung sind, dass ihr Land in den vergangenen Jahren mit dem Migrationsstrom über das Mittelmeer alleingelassen worden sei - und zwar von den Partnerstaaten in der EU, die ihnen nun Morallektionen erteilen. Salvini verdankt diesem Grundgefühl im Volk einen beträchtlichen Teil seines großen Wahlerfolgs. Er nährt das Gefühl zusätzlich mit Hetze und Gepolter gegen die Schwächsten und deren Helfer. Probleme löst er mit der Propaganda nicht.

Wenn seine europäischen Amtskollegen jeweils zusammenkommen, um über das Dubliner Asyl-Abkommen zu reden, reist der Italiener nicht an, obschon Italien an einer Reform interessiert sein müsste. Salvini hat sich auch kaum je um neue Rücknahmeabkommen mit Herkunftsländern bemüht: Italien hat nur vier davon.

Die Zahl der Rückführungen abgewiesener Zuwanderer ist unter Salvini kleiner als unter den Vorgängern. Die medialen Duelle mit den Hilfsorganisationen, mit den Skippern und Kapitäninnen, sind viel einfacher, plastischer, symbolhafter. Und sie bringen ihm Stimmen zuhauf.

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