Bundeswehr:"Blutige Konflikte sind in europäische Peripherie zurückgekehrt"

Themen im Bundestag

Eine Bundeswehrsoldatin im Kosovo. Seit 1999 ist die Bundeswehr dort stationiert.

(Foto: dpa)

Seit 25 Jahren sind Auslandseinsätze der Bundeswehr verfassungsrechtlich zulässig. Politikwissenschaftler Markus Kaim erklärt, weshalb schnelle Erfolge eine Illusion sind.

Interview von Eva-Maria Brändle

Im Juli 1994 verkündeten die Karlsruher Verfassungsrichter ein wegweisendes Urteil: Bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr sind unter Umständen legitim. Das Grundgesetz berechtige die Bundesrepublik zum Eintritt "in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit", heißt es in dem Urteil. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zählt auch die Nato zu einem solchen System. In diesem Rahmen seien militärische Einsätze der Bundeswehr außerhalb des Landes- und Bündnisgebietes zulässig. Eine zentrale Bedingung muss dabei immer erfüllt sein: Der Bundestag muss dem jeweiligen Auslandseinsatz zustimmen.

Heute, 25 Jahre nach dem Urteil, beteiligt sich die Bundeswehr mit mehr als 3000 Soldatinnen und Soldaten an zehn bewaffneten Einsätzen im Ausland. Markus Kaim forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin zu Sicherheitspolitik.

SZ: Herr Kaim, vor 25 Jahren urteilte das Bundesverfassungsgericht zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Wie wichtig war das Urteil?

Markus Kaim: Das Urteil hat dem damals neuen Politikfeld der Sicherheitspolitik einen rechtlichen Rahmen gegeben. 1989/90 war die Bundesrepublik ihre Außenpolitik betreffend in eine völlig neue Phase eingetreten. Dementsprechend kamen auf Deutschland größere außenpolitische Erwartungen und Verantwortung zu. Das Urteil hat hier politisch wie rechtlich den Weg bereitet.

Was für eine Bedeutung hat es heute?

Mit dem Urteil wurden die Eckpunkte für deutsche Auslandseinsätze gesetzt. Man kann kritisch sagen, dass Leitplanken eingezogen wurden, die sicherheitspolitisches Handeln erschweren oder zumindest verlangsamen. Gleichzeitig kann man es aber auch positiv sehen. Die Voraussetzungen, die für einen bewaffneten Auslandseinsatz gegeben sein müssen, machen die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik zwar scheinbar etwas träge, aber das soll sie auch sein - als eine Lehre der deutschen Geschichte. Die Bundesregierung kann nicht eigenmächtig Militär für ihre Interessen einsetzen.

Markus Kaim swp

Markus Kaim ist Politikwissenschaflter in der Forschungsgruppe "Sicherheitspolitik" der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

(Foto: Privat)

Heute beteiligt sich die Bundeswehr an zehn bewaffneten Auslandseinsätzen. Wie schätzen Sie zurzeit die öffentliche Wahrnehmung dieser Einsätze ein?

Die Auslandseinsätze sind unterhalb des Radars öffentlicher Aufmerksamkeit. Gehen Sie in München auf die Straße und fragen Sie die erstbeste Person: Welcher Auslandseinsatz der Bundeswehr läuft aktuell? Selbst bei Afghanistan wissen viele Leute sicher nicht Bescheid.

Das war schon mal anders. Damals aber galt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit Skandalen oder militärischen Unternehmungen, die entweder erhebliche Opferzahlen unter Bundeswehrsoldaten gefordert haben, wie zum Beispiel das berühmte Karfreitagsgefecht 2010 in Afghanistan, oder die besondere Opferzahlen unter der Bevölkerung gefordert haben, wie beim Luftangriff bei Kundus 2009. Eine große strategische Debatte - die sich um Fragen dreht wie: Was wollen wir in diesen Ländern militärisch, vor allem aber politisch erreichen? Was sind Erfolgskriterien für einen Auslandseinsatz? - gab es allerdings nur in Ansätzen.

Manche Bundeswehreinsätze, wie der in Kosovo, dauern schon jahrelang an. Zeugt das von einem Scheitern der Einsätze?

Nein, es gibt so gut wie keine Einsätze, die sich schnell und zugleich erfolgreich beenden ließen. Das ist eine Illusion. Das hat die deutsche Politik auch schmerzhaft lernen müssen - im Kosovo, in Afghanistan. Militär ist immer nur ein Teil der Lösung. Wenn ein Einsatz nicht in eine grundsätzliche politische Strategie eingebettet ist, dann wird ein Auslandseinsatz immer scheitern. Und es ist strategische Geduld erforderlich.

Der Einsatz im Kosovo illustriert, wie wichtig strategische Geduld ist. Gemessen am Status quo von 1999 kann man von einem vergleichsweise erfolgreichen Einsatz sprechen. Und wie wichtig der politische Kontext ist, sehen wir gerade in Afghanistan. Dort ist militärisch ein Patt eingezogen und jetzt wird versucht, dem Bürgerkrieg eine politische Lösung zuzuführen. Ohne flankierendes politisches Engagement wird so ein Auslandseinsatz immer isoliert bleiben und auch scheitern. Deshalb habe ich auch nie die Kritik verstanden, dass Auslandseinsätze die Militarisierung der Außenpolitik seien. Meines Erachtens stimmt genau das Gegenteil: Wenn wir eines gelernt haben, dann ist es, dass militärisches Handeln nur begrenzt wirksam ist. Ja, man kann damit Kriege und Konflikte kurzzeitig einhegen oder stillstellen, das mag funktionieren, aber eine dauerhafte Friedenslösung erreicht man damit nicht.

Der zurzeit gefährlichste Einsatz der Bundeswehr ist die Mission im Rahmen der Vereinten Nationen in Mali.

Die Mission in Mali steht für eine interessante Entwicklung. In den 90er Jahren hat sich die Bundeswehr sehr stark in UN-geführten Missionen engagiert, gerade in den Jugoslawienkriegen. Dann ist aufgrund der negativen Erfahrungen eine Abkehr von den Vereinten Nationen erfolgt. Jetzt stellen wir fest, dass es 25 Jahre später eine Wiederentdeckung des Peacekeepings der Vereinten Nationen gibt - und das nicht nur in Deutschland.

Sie sprechen den Wandel der Auslandseinsätze an. Gibt es noch weitere Dimensionen eines Wandels?

Es gibt auch eine Neu-Priorisierung der Bundeswehr: Zwischen 1990 und 2015 hat niemand mehr ernsthaft über Bündnis- und Landesverteidigung geredet. Das überwölbende Paradigma war die Armee im Einsatz, daran hat sich alles bemessen lassen müssen: Ausbildung, Personalstärke, Ausrüstung der Bundeswehr. Die Annahme war: Europa ist so sicher, dass wir für Verteidigung nichts mehr tun müssen, die Regel sind Auslandseinsätze. Das konnte Afghanistan sein, Kosovo, Libyen, Mali. Jetzt ist aus politischen Gründen das Pendel zurückgeschwungen. Mit der Annexion der Krim durch Russland ist die Bündnis- und Landesverteidigung wieder in den Vordergrund gerückt.

Woran machen Sie das fest?

Die Planungen der Bundeswehr haben sich verändert. Von 1990 bis 2015 hat die Bundeswehr eigentlich nur für Auslandseinsätze geplant. Die politische Vorannahme war letztlich: Europa ist befriedet und kann sich als Anbieter von Sicherheit nach außen wenden - im Rahmen der Nato, der Vereinten Nationen, der Europäischen Union. Diese Grundannahme ist nicht mehr zutreffend. Wir stellen fest, dass blutige Krisen und Konflikte in die europäische Peripherie zurückgekehrt sind - spätestens mit der Ukraine-Krise, man kann auch schon früher ansetzen, mit dem Krieg in Georgien 2008. Gegenwärtig plant die Bundeswehr wieder verstärkt für Einsätze der Bündnis- und Landesverteidigung, was zum Beispiel im Strategiepapier "Konzeption der Bundeswehr" von 2018 deutlich wird.

Auslandseinsätze sind also nicht mehr so zentral?

Die Epoche der Auslandseinsätze scheint vordergründig beendet zu sein. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern die ganze internationale Gemeinschaft. Die Erfolge sind letztlich doch begrenzt gewesen und die Vorstellung eines liberalen Interventionismus - man könne nicht nur Kriege und Konflikte beenden, sondern auch ganze Staaten und Demokratien aufbauen - ist einfach Hybris gewesen. Das ist neben der veränderten sicherheitspolitischen Lage ein Grund, weshalb Auslandseinsätze wie Auslaufmodelle erscheinen - zumindest für den Moment.

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