Kurzkritik:Klang der Stadt

Kurzkritik: Hinter Glas: Da spielt auf der Theatinerstraße einer Bratsche und eine „Pennerin“ kommt als Isolde vorbei.

Hinter Glas: Da spielt auf der Theatinerstraße einer Bratsche und eine „Pennerin“ kommt als Isolde vorbei.

(Foto: Mathis Nitschke)

Mathis Nitschkes tolle "Isolde" in der Fußgängerzone

Von Egbert Tholl

Schon dass man einfach hier sitzt, ist eine Sensation. Man sitzt mit den anderen Zuschauern hinter Glas, im Eingangsbereich der Hypo-Kunsthalle und schaut auf die Theatertinerstraße hinaus. Menschen mit großen Tüten laufen vorbei, es ist wie so oft Schlussverkauf. Manche bleiben stehen, schauen hinein, wir schauen hinaus. Drinnen ist der Zoo, draußen das Freigehege. In diesem, also auf der Straße, steht einer und spielt Bratsche. Ein bisschen was davon hört man auch hinter dem Glas, in Wellen tauchen Töne auf, verschwinden wieder. Manche Passanten werfen Geld in seinen Bratschenkasten. Dafür, dass Klaus-Peter Werani "Volte-Face" von Georges Aperghis spielt, also sperrige, zeitgenössische Musik für Bratsche solo, ist die Ausbeute gar nicht schlecht. Ein Kollege von einer Münchner Zeitung kommt vorbei, gibt fünf Euro. Einen Schein. Profihörer freuen sich, wenn die Fußgängerzone mal nicht mit Gassenhauern bespielt wird.

Aber das ist ja sozusagen nur die Ouvertüre von Mathis Nitschkes "Isolde", einer Operninstallation, die noch bis 12. Juli zu sehen ist, täglich um 18 und um 19 Uhr. Wobei "zu sehen ist" ja eh nicht stimmt, weil man als Zusehender ja selbst Teil der Installation ist. Aber doch schaut man viel. Da taucht eine Obdachlose auf, der Sound der Straße dringt ins Innere, nicht nur der Klang des unmittelbaren Geschehens vor einem, auch von woanders her, aus der S-Bahn beispielsweise, faszinierend.

In dieser urbanen Welt steht fremd die Obdachlose, Martina Koppelstetter. Sie sucht Plastiktüten zusammen, während Passanten die Zuschauer hinter Glas fotografieren. Sie sagt Worte, die ihr Thomas Jonigk schrieb, "im Stechschritt zum Standesamt, Ziellinie Einfamilienhaus". Langsam drängen die Worte immer mehr Richtung Wagner, zu Isolde, zum "Treibhaus", Werani spielt schroffe Variationen der Melodien. Und auf einmal tönt aus den Lautsprechern innen der orchestrale Glanz des "Liebestods", Koppelstetter singt dazu, draußen, von draußen herein, Erfüllung, Sehnsucht, Einsamkeit.

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