Kriminalität:Weniger Sexualdelikte durch Kinder

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In der Nähe dieses Spielplatzes ist eine junge Frau von einer Gruppe Jugendlicher überfallen und sexuell missbraucht worden. Dringend verdächtigt wird eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen. (Foto: dpa)
  • Die Statistik macht Taten wie die Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau durch Minderjährige in Mülheim nicht weniger schrecklich.
  • Aber der Trend zeigt: Sexualdelikte durch Kinder sinken.
  • Bei Sexualtaten ist der Migrantenanteil um ein Mehrfaches höher

Von Joachim Käppner

Die Statistik macht die einzelnen Taten nicht weniger schrecklich. Aber sie weist einen Trend auf, den die Debatte nach dem abscheulichen Verbrechen an einer jungen Frau in Mülheim und einem mutmaßlichen weiteren Fall in Herne kaum widerspiegelt: Die Zahl der Kinder, die Sexualdelikte begehen, sinkt seit Jahren.

Nach den Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik, die Christian Pfeiffer, ehemaliger Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, ausgewertet hat, wurden 2008 noch 85 tatverdächtige Kinder registriert, also Strafunmündige unter 14 Jahren. 2018 waren es, trotz der Verschärfung des Sexualstrafrechts von 2016, noch 64, darunter zwölf ausländische Staatsbürger und 54 Deutsche. Innerhalb derselben zehn Jahre sank die allgemeine Gewaltkriminalität von Kindern um fast ein Drittel. Laut Pfeiffer gibt es "keine Altersgruppe, in der die polizeilich registrierte Kriminalität insgesamt so deutlich abgenommen hat wie bei den Kindern". Die Sexualdelinquenz ging auch bei Jugendlichen zurück, entgegen der öffentlichen Wahrnehmung.

Da die Verdächtigen im Mülheimer Fall aus dem Jugendamt bekannten bulgarischen Familien stammen, ist die Debatte erneut entbrannt: Wie stark sind junge Menschen mit Migrationshintergrund an Sexualverbrechen beteiligt? Tatjana Hörnle, Strafrechtsprofessorin an der Berliner Humboldt-Universität, hat das gründlich untersucht. Sie warnt davor, "Zuwanderern pauschal und undifferenziert eine Neigung zu sexuellen Gewalttaten" zu unterstellen, aber auch vor der Gegenreaktion, "Auffälligkeiten bei der Tatenhäufigkeit oder bei der Herkunft der Täter zu verneinen". Die allermeisten jungen Migranten begehen keine Sexual- oder andere Straftaten. 2017 handelte es sich in der Gruppe männlicher Zuwanderer ab 16 Jahre um maximal 0,2 Prozent, die wegen Sexualverbrechen registriert wurden.

Bei Sexualtaten ist der Migrantenanteil höher als der bei gleichaltrigen Deutschen

Dennoch sei, so Hörnle, die These zurückzuweisen, dass Zuwanderer lediglich "im gleichen Umfang wie gleichaltrige deutsche Männer Sexualtaten begehen", der Migrantenanteil sei um ein Mehrfaches höher. Die Kriminalisten berechnen dies durch "Tatverdächtigenbelastungsziffern": Diese liegen pro 100 000 Einwohner bei jungen männlichen Migranten - zwischen elf und 16 Jahren - um mindestens das Dreifache höher als bei jungen Männern aus der Gesamtbevölkerung.

Freilich sind die Zahlen sorgfältig zu interpretieren. Junge Migranten werden schneller verdächtigt und angezeigt. Für die Unterschiede mitentscheidend sind die Lebensumstände und das Milieu, aus dem die Täter stammen. In kriminellen Clans etwa oder in verwahrlosenden Familien kommt einiges zusammen: Die soziale Kontrolle ist geringer, der Einfluss der Clique von Gleichaltrigen umso größer. Bedeutsamer noch erscheint der Grad von Bindung an Normen wie Gewaltverzicht und sexuelle Selbstbestimmung.

Erleben Kinder in Familie und Umfeld Rohheit und Verachtung solcher Normen, steigt der Risikofaktor stark. Bei alldem betont Hörnle, dass es auch unter deutschen Staatsangehörigen "Gruppen mit grob empathie- und rücksichtslosem Verhalten gegenüber Frauen" gibt - wie in jenem Fall im Ruhrgebiet, bei dem fünf junge Männer 2018 wegen Gruppenvergewaltigungen zu Haftstrafen verurteilt wurden.

© SZ vom 11.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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