Porträt:Wenn Bienen dem Werk dienen

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Er fühle sich wie ein "Orchideenhändler", sagt Martin Hielscher über seine Arbeit als Programmleiter Belletristik bei C.H. Beck. (Foto: Christoph Mukherjee)

Seit zwanzig Jahren gibt es beim großen Verlag C.H. Beck auch den vergleichsweise kleinen Bereich Literatur. Der langjährige Programmleiter Martin Hielscher erzählt von seiner Aufbauarbeit, von weisen Autoren - und Recherchereisen zu Imkern

Von Antje Weber

Da wäre zum Beispiel die Sache mit den Bienen. Als der Schriftsteller Norbert Scheuer in der Eifel für seinen neuen Roman recherchierte, nahm er seinen Lektor Martin Hielscher mit zu einem befreundeten Imker. Der zeigte ihnen seine Bienenstöcke, in denen man durchaus auch Menschen verstecken und transportieren könnte - was Scheuer zu einer Geschichte über Fluchthilfe für Juden im Zweiten Weltkrieg inspirierte. "Die ganze Zeit schwirrten Bienen um uns herum", erzählt Hielscher, immer noch im Bann dieser Schwarmintelligenz. "Die taten aber nichts, die waren sanftmütig."

Inzwischen sitzt der Programmleiter Literatur bei C.H. Beck wieder in seinem Schwabinger Büro, zwischen Bücherregalen und Manuskriptstapeln. Doch die Sätze sprudeln nur so aus ihm heraus, wenn er sich an solch "erstaunlichste Begegnungen" erinnert, die auch für ihn als Lektor bereichernd seien: "Ich lerne immer dazu." Was wiederum Scheuers Roman "Winterbienen" angeht, der dieser Tage als nunmehr achter Band seiner Eifel-Saga erscheint, so hat Hielscher das Gefühl, es sei dessen bisher stärkstes Buch geworden. Überhaupt sei das Herbstprogramm von den Verlagsvertretern sehr gelobt worden; offensichtlich sei es, mit neuen Büchern von Karin Kalisa bis Achim Zons, ein "besonders rundes Programm" geworden, sagt er und schiebt bescheiden dämpfend nach: "Das weiß man ja nicht immer so."

Es würde ganz gut passen. Schließlich feiert C.H. Beck in diesem Herbst - und in freudiger Vor- und Rückschau bereits in der kommenden Woche bei einem Buchhändlerfest im Verlagsgarten - 20 Jahre der Literatursparte. Beim Start im Jahr 1999 hatte Verleger Wolfgang Beck das bis heute gültige Ziel ausgegeben, "Qualität mit Zugänglichkeit" zu verbinden. Als Gründungs-Programmleiterin begann Rebekka Göpfert mit Büchern von Schriftstellern wie Paula Fox und Charles Simmons. Zwei Jahre später übernahm Martin Hielscher und konnte gleich - er zieht zielsicher den schmalen Band "Schwimmen gegen Blond" aus einem Regal - als Debütantin die junge Schriftstellerin Sandra Hoffmann für den Verlag gewinnen. Schon damals hatte Hielscher, nach Stationen bei Luchterhand und Kiepenheuer & Witsch, einen guten Namen in der Branche, stand für ein großes Engagement für die deutschsprachige Literatur - und für entsprechend viele Kontakte. Das war wichtig, schließlich galt es, "Aufbauarbeit" zu leisten und Autor für Autor, Buch für Buch eine "Erkennbarkeit" zu schaffen.

Denn natürlich war es ein Prozess, sich mit einem eigenen belletristischen Programm zu behaupten und von anderen Verlagen abzusetzen. Beschreibt Hielscher zum Beispiel seinen vorherigen Verlag Kiwi als extrem populär, zeitgeistig und medienaffin, so will man bei C.H. Beck im Gegensatz dazu mehr auf "Haltbarkeit", auf Qualität und literarisches Gewicht der Bücher achten. Das erschwere den Zugang mitunter ein bisschen, gibt Hielscher zu, man mache "keine leichtdrehenden, fluffigen Bücher". Doch Literatur sei eben nicht immer gefällig, sondern oft etwas "melancholischer, schwerblütiger". Ein Schriftsteller wie Ernst Augustin allerdings, der besitze zum Beispiel zugleich "Komik und doch Tiefe". Und wenn Hielscher "einen Schmerz" hat nach all den Jahren, dann den: dass es nicht zu einem Deutschen Buchpreis gereicht hat, damals im Jahr 2012, als der schon fast erblindete Schriftsteller Augustin mit "Robinsons blaues Haus" auf der Shortlist stand. Ein "krasser Fehler", so empfindet das Hielscher noch heute, und noch immer schwärmt er von diesem "so lebensklugen Buch", von diesem "weisen Autor", der, inzwischen 91 Jahre alt, in München lebt.

Neben diesem Schmerz ist jedoch auch einiger Stolz zu spüren. Der Stolz darauf, das Programm nie an einen "kurzfristigen Markteffekt" verraten zu haben, auch wenn sich der Bereich selbst tragen soll und der Umsatz im Übrigen "beachtlich" sei. Der Stolz darauf, mit dem Ideal eines Mixes aus "Erzählen und formaler Raffinesse" über die Jahre hinweg erfolgreiche und wichtige deutsche und internationale Schriftsteller ans Haus gebunden zu haben, die auch einige Preise gewonnen haben. Deutschsprachige Bestsellerautoren wie Jonas Lüscher und Hans Pleschinski sind da zu nennen, aber auch Jochen Schmidt, Ulrich Woelk, Sabine Gruber oder der Lyriker Nico Bleutge. Was internationale Autoren angeht, kann sich Hielscher zum Beispiel die Entdeckung des indischen Autors Aravind Adiga für den deutschen Sprachraum zuschreiben - und zwar noch bevor dessen Roman "Der weiße Tiger" 2008 den Booker Prize erhielt.

Auch bei Anthony Doerr war der Verlag C.H. Beck hartnäckig und brachte dessen Roman "Alles Licht, das wir nicht sehen" gleich zweimal heraus: einmal im Herbst 2014 und gleich noch einmal im folgenden Frühjahr - in einer "Trotz-Ausgabe", wie Hielscher sagt, mit etwas verändertem Cover und mit einem Folder. Denn inzwischen waren in den USA zwei Millionen Exemplare verkauft worden - das musste doch auch in Deutschland funktionieren? Als Doerr schließlich den Pulitzer-Preis gewann, "ging es auch hier ab", mit fast 80 000 verkauften Büchern.

Solche Anekdoten bestätigen, was ohnehin den Ruf des Hauses C.H. Beck ausmacht: "Es ist ein Verlag des langen Atems." Und auch wenn die Literatur innerhalb des soliden, eher wissenschaftlich und historisch ausgerichteten Gesamtverlags laut Hielscher als ein "Experimentierfeld" gilt, ist hier ebenfalls das starke Bemühen um Kontinuität spürbar; das Bemühen, Autoren möglichst die Treue zu halten, damit sich ihr Werk "im Œuvre-Kontext" entwickeln kann. Ob Verlagen angesichts der unabsehbaren Entwicklung der Branche so etwas auch noch in Zukunft möglich ist? "Das wissen wir auch nicht", sagt Hielscher ein wenig ratlos.

Er selbst, bisher im Wesentlichen allein für die Literatur zuständig, fühlt sich im Verlag als eine Art "Orchideenhändler". 62 Jahre alt ist er inzwischen, in vier Jahren geht er in Rente. Wie es dann weitergeht, darüber machen sich der Verlagschef Jonathan Beck und er natürlich so ihre Gedanken. Man kann sicher sein, dass sie solide Lösungen finden. Jemandem wie Hielscher, der auch jetzt nebenbei als Honorarprofessor in Bamberg unterrichtet und als externer Lektor und Biograf das Werk Uwe Timms betreut, wird jedenfalls auch dann die Arbeit garantiert nicht ausgehen. Von weiteren Eifel-Recherchen mit Norbert Scheuer mal ganz abgesehen; wer weiß schon, welches Thema dem Schriftsteller als nächstes im Kopf herumschwirrt.

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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