Karlsfeld:Lautstarkes Imponiergehabe

Autobahn

Schneller weg, als man gucken kann: Karlsfeld kann gegen Autos mit donnernden Motoren nichts ausrichten.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Die Karlsfelder leiden unter illegalen Autorennen und Paraden aufgemotzter Fahrzeuge. Der Lärm raubt ihnen den Schlaf. Die Polizeiinspektion Dachau ermittelt zwar, doch allzu oft sind die Raser einfach zu schnell auf und davon

Von Christiane Bracht, Karlsfeld

Sommer in Karlsfeld. Die Tuningszene macht ihre Aufwartung: Tiefergelegte Autos mit breiten Felgen, Spoilern, Flügeltüren und natürlich richtig sattem Sound präsentieren sich auf der Münchner Straße. Vorzugsweise wenn der Berufsverkehr abgeebbt ist, mittags oder noch lieber spät am Abend. Die Anwohner sind genervt. Die Beschwerden häufen sich. Immer wieder heulen Motoren auf, quietschen Reifen, nicht selten misst man sich in einem Rennen. Die schnurgerade Piste der Bundesstraße ist in der Szene längst bekannt und auch beliebt. Sehr zum Verdruss der Karlsfelder. Die Polizei Dachau hat Ermittlungen gegen die Raser aufgenommen.

Mitte Juni schreckten Anwohner der Neuen Mitte aus dem Schlaf, weil einige aus der Szene sich im Wendehammer der Pfarrer-Mühlhauser-Straße trafen. "Ein beliebter Pausenort", schreibt ein erzürnter Facebooknutzer im Infokreis Karlsfeld. Dort machten die "Racing-Heroes" ihre Kickdowns, um ihre "getunten Boliden warm zu halten", rauchten und "exen" ihre Biere. Doch damit nicht genug, es gab auch mindestens ein Rennen an jenem Abend. Zwei Audis, die gegeneinander antraten. Die Anwohner notierten die Kennzeichen und erstatteten Anzeige bei der Polizei. Seither fahnden die Beamten unter den Familienangehörigen nach den Fahrern.

Wer ein illegales Rennen auf der Straße fährt, muss mit bis zu zwei Jahren Gefängnis rechnen. Seit 2017 gibt es einen eigenen Straftatbestand dafür und auch schon die ersten Verurteilten. Dennoch ist es für die Polizei schwierig, die Täter ausfindig zu machen. "Der Halter hat ein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn er etwa der Vater des Verdächtigen ist", erklärt Günther Findl von der Dachauer Inspektion. "Wir müssen ihn belehren, sonst bringt die Aussage vor Gericht nichts." Das andere Problem ist, dass die Polizei praktisch immer zu spät kommt. Denn die illegalen Rennen dauern nur wenige Minuten. Kurz nach der Alarmierung sind sie schon wieder vorbei, von den Tätern keine Spur mehr.

Im Netz tobt unterdessen der Hass gegen die Raser und ihre nächtlichen Ruhestörungen. Manche würden am liebsten Lärmschutzwände an der Münchner Straße hochziehen. "Dann könnten wir wieder unsere Terrasse nutzen", heißt es. Das sei momentan nur Sonntagfrüh möglich. Zwei weitere Anwohner beklagen, dass man die getunten Boliden auch durch das geschlossene Schlafzimmerfenster höre. "Karlsfeld muss sich dafür einsetzen, dass sich etwas ändert", fordert ein anderer. "Bevor eine dieser Phallus-Verlängerungsobjekte mit 350 PS in einer Gruppe Menschen oder in eine der vielen Tankstellen auf der Münchner Straße knallt."

Als Mittel schlägt er Temposchwellen und plötzliche Schlaglöcher vor, die bei Geschwindigkeitsüberschreitungen zum echten Hindernis werden. Eine Anwohnerin plädiert für mehrere Blitzer, die nach dem Zufallsprinzip geschaltet werden. Andere gehen sogar noch einen Schritt weiter, einer fordert eine Dauervideoüberwachung. Die Diskussion wird immer reger. Fast 50 Einträge gibt es bereits auf Facebook. Gelegentlich muss Administrator Bernd Wanka, der sich um die Gruppe kümmert, auf die Netiquette aufmerksam machen. Der Ruf nach Polizei und Gemeinde wird bei den Diskussionsteilnehmern immer lauter. Einer schlägt schließlich eine "chaotische Ampelschaltung" vor. "Die Hemmschwelle eine rote Ampel zu überfahren ist deutlich höher, als die Geschwindigkeit zu überschreiten", erklärt er. Deshalb sollte man in der Nacht die Ampeln nicht mehr aufeinander abstimmen, sondern individuell Rotlicht geben lassen. Ein Nutzer fordert indes schlicht Polizeipräsenz.

Doch die meisten Ideen der lärmgeplagten Karlsfelder sind schlicht nicht erlaubt. So dürfen Temposchwellen und ähnliches nur an verkehrsberuhigten Straßen angebracht werden und der Datenschutz steht einer Dauervideoüberwachung entgegen. Andere Forderungen sind impraktikabel oder sinnlos. So werden Blitzerstandorte per Whatsapp-Warnung weitergegeben und keiner fährt an der entsprechenden Stelle mehr zu schnell.

Ganz so schlimm wie noch vor zwei Jahren, als die Shisha-Bar an der Münchner Straße ein beliebter Treffpunkt der Szene war, sei es in diesem Jahr nicht, sagt Bernd Wanka. Als Verkehrsreferent und CSU-Gemeinderat setzt er sich schon lange mit dem Problem auseinander. Damals habe er sich sogar mit ein paar Anwohnern auf die Lauer gelegt, weil die Polizei Handyfilmchen und Kennzeichen verlange, bevor sie überhaupt tätig werde, so Wanka. "Die Gemeinde darf nichts tun." Zwar habe die Verwaltung ein Geschwindigkeitsmessgerät an der Münchner Straße installiert, es dokumentiert jedoch nur die Verstöße. Jemanden dafür zur Rechenschaft ziehen, darf nur die Polizei. Das Gerät beweise auch, dass es einzelne Fahrer gibt, die mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 Kilometern pro Stunde durch Karlsfeld fahren - 50 sind erlaubt. "Ganz brutal ist es nicht, aber ein paar Ausreißer gibt es schon", sagt Günther Rustler vom Ordnungsamt. Die Autoposer seien heuer eher das Problem.

Mit getunten Auspuffanlagen oder durch Ausschalten der Schalldämpfer lasse sich jede Menge Lärm machen. "Manchmal haben die Autos einen Dezibelwert, bei dem man nicht mal einen Rasenmäher daneben hören kann", sagt Polizist Günther Findl. Die Spuren der Poser sind auf der Hochstraße deutlich sichtbar: viele schwarze Kreise. Denn der Reifenabrieb ist enorm, wenn die so genannten Donuts oder Slides gefahren werden. Neulich habe der Sicherheitsdienst von MAN einen Autoposer vom Parkplatz verwiesen: Er fuhr gegen 23 Uhr "wie verrückt Pirouetten", erzählt Wanka. "Der Staat müsste diesen Leuten den Führerschein oder das Auto zwicken, dann hört das Imponiergehabe auf." Doch der Polizeichef zucke nur mit den Schultern und sagt, er habe keine Kapazitäten. Dabei müsste es eine kleine Einheit zum Beispiel für Fürstenfeldbruck und Dachau geben, die eine gewisse Zeit hinter Rasern und Autoposern her sind, fordert Wanka. In Rosenheim habe die Polizei das getan. Dort seien viele Autos abgeschleppt und stillgelegt worden, weil sie so sehr getunt waren, dass sie nicht mehr den Bestimmungen entsprachen. In Köln hat man sogar 235 Autos aus dem Verkehr gezogen. Wanka sagt: "Das hat was gebracht."

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