Hörspiele:Flucht aus der Realität

Kann man dem Tod ein Schnippchen schlagen? Einen Versuch ist es allemal wert. Und wo ginge das besser als im Theater, dem Reich der Illusion. In drei aktuellen Hörspielen suchen die Figuren nach einem besseren Leben in alternativen Welten.

Von Stefan Fischer

Das richtige Leben im Falschen zu führen - das kann nicht gut gehen. Und doch ist die Verlockung riesig, wenn die Realität so niederschmetternd ist, dass alles in einer anderen Welt nur besser werden kann. Welcher Ort wäre für die Errichtung einer alternativen Lebenswelt besser geeignet als die Theaterbühne? Den Menschen etwas vorzumachen, eine Illusion zu entwickeln, die jedem glaubhaft erscheint, auch den Darstellern selbst, ist das nicht das Wesen von Theater?

Gleich drei neue Hörspiele schlüpfen durch den Bühneneingang in die parallele Realität des Theaters und erproben dort, wohin und wieweit ihre Versuche führen, die Gegenwart mit einer Erfindung auszutricksen. Der Autor und Regisseur Noam Brusilovsky ist aktuell der umtriebigste Reiseleiter des Hörspiels, er begleitet seine Protagonisten auf Abenteuer in fremde Welten - in We love Israel Deutsche in seine Heimat, in Broken German, wofür er 2017 den Deutschen Hörspielpreis bekommen hat, einen Israeli nach Berlin. Stets geht es um die Wahrnehmung der eigenen Identität, das gilt nun auch für Der Tod des Iwan Iljitsch - Sterben in Bern. Eine Novelle von Tolstoi, auf der Bühne inszeniert von einem fiktiven Regisseur, der sein eigenes Todkranksein thematisiert - sich in dem, was die Schauspieler imaginieren, aber nicht wiederentdeckt. Brusilovsky selbst spiegelt sich in dieser Figur.

Eine komplizierte Konstruktion, aber dem Tod ist so leicht kein Schnippchen zu schlagen. Wer ihm einen Schritt voraus sein will, muss fintenreich sein. Letztlich kommen die Figuren des Hörspiels jedoch an den Punkt, dass sie sich fragen müssen, ob nicht doch ihr tatsächliches Leben das entscheidende ist und sie dort, außerhalb der Bühne, schleunigst etwas ändern müssen. Weil sie eben doch kein Ersatzleben haben.

Weniger existenziell ist Tina Saums Hörspiel Sagen wir: Ein Mann geht die Straße entlang. Dieser Mann ist der Schauspieler Vladislav Grakovskiy, der auf der Bühne tatsächlich zu einer neuen Identität gefunden hat. Nachdem er lange auf seine Papiere warten musste, um aus Usbekistan ausreisen zu dürfen. Aber ist das tatsächlich seine eigene Geschichte, die er hier erzählt? Das Stück gibt darauf keine Antwort, überlässt es dem Hörer zu entscheiden, was hier Illusion ist, was Realität und was höhere Wahrheit.

Auch in Jule, Julia, Julischka von Frank Witzel spielen Jule Böwe, Julia Riedler und Julischka Eichel drei Figuren, die so heißen wie sie, aber nicht identisch mit ihnen sind. Der furiose Streit, den das Trio ausficht, führt hart an der Grenze entlang zwischen Person und Figur, zwischen realem und erträumtem Ich. Wobei alle drei Frauen - oder sind es nur drei Seiten eines Charakters? - weitaus glücklicher in ihren Rollen sind.

Der Tod des Iwan Iljitsch - Sterben in Bern, DLF, Samstag, 20.05 Uhr und SWR 2, Sonntag, 18.20 Uhr. Jule, Julia, Julischka, HR 2, Sonntag, 14.04 Uhr. Sagen wir: Ein Mann geht die Straße entlang, SWR 2, Donnerstag, 22.03 Uhr.

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