Königsdorf:Das fast olympische Dorf

Königsdorf Olympisches Dorf, Olympia 1972, Olympische Spiele 1972

Königsdorfer Bürger nähten 1969 sich ganz sportbegeistert schon mal eine olympische Fahne, als sich die Nachricht verbreitete, dass die Ruderstrecke im dortigen Filz gebaut werden sollte.

(Foto: Archiv Werner Beier/OH)

Die kleine Kommune sollte vor 50 Jahren Austragungsort für den bekanntesten Sportwettbewerb der Welt werden. Ein Krimi um Geld und Politik.

Von Claudia Koestler

Der viel zitierte olympische Gedanke von "dabei sein ist alles"trifft in Königsdorf bis heute die Bürger direkt ins Herz. Denn die Gemeinde zwischen Bad Tölz und Wolfratshausen wollte vor einem halben Jahrhundert nicht nur dabei, sondern sogar mittendrin sein, und zwar bei den Olympischen Sommerspielen 1972. Kein verwegener Traum, denn lange sah es tatsächlich danach aus: Die Entscheidung für München als Austragungsort war schon gefallen, als es Ende der 1960er Jahre um die weiteren Veranstaltungsorte ging. Und da rückte Königsdorf in den Fokus der Weltöffentlichkeit: Dort, genauer gesagt im Königsdorfer Filz, sollte die Anlage für die Ruder- und Kanuwettbewerbe entstehen. Dass es letztlich anders ausging, Königsdorf als "zweiter Sieger" ein entscheidendes Rennen um Haaresbreite verlor und nicht zum Austragungsort der Olympischen Spiele wurde, erinnert an einen Kriminalfall - in dem Geld und Politik eine entscheidende Rolle spielten.

Bereits 1967 war Königsdorf als möglicher Standort ins Gespräch gekommen. Aufwendige geologische Bodenuntersuchungen wurden im Filz vorgenommen, hochrangige Sportfunktionäre stapften durchs Moos, um sich ein Bild zu verschaffen - darunter der damalige Präsident des Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympischen Komitees, Willi Daume, und der Präsident des Weltruderverbandes, Thomas Keller. Zahlreiche Sitzungen wurden abgehalten, Rundfunk und Fernsehen berichteten, die Begeisterung auf allen Seiten war groß: Hier schien man den idealen Ort für die Regattastrecke gefunden zu haben, waren sich die Funktionäre und Königsdorfer bald einig. Und so fiel am Abend des 17. Januar 1969 die Entscheidung des Organisationskomitees, dass die Ruder- und Kanuwettbewerbe in Königsdorf ausgetragen werden sollen.

Durch das Dorf schwappte eine Welle des Jubels und der Begeisterung. Bäuerinnen nähten eine Fahne mit den Olympischen Ringen, die Männer zogen sie am Maibaum in der Dorfmitte auf. In den Wirtshäusern stießen die Königsdorfer auf die Entscheidung an. Der Faschingszug wenige Wochen später stand ganz im olympischen Fieber: Bürger ließen sich im "Moosflitzer" rudernd durch die Hauptstraße ziehen. Ausschlaggebend für die Entscheidung zugunsten Königsdorfs für das etwa 37 Millionen D-Mark teure Projekt war dem damaligen Olympia-Pressesprecher Hans "Johnny" Klein zufolge die spätere Verwendung gewesen. "Die Lage in der herrlichen Landschaft des bayerischen Voralpenlandes garantiere die Attraktivität des Geländes als späteres süddeutsches Ruder-Trainingszentrum", zitierte ihn ein Zeitungsbericht. Außerdem hätte der damalige Landkreis Wolfratshausen vorgehabt, dort ein großes Sportzentrum entstehen zu lassen. Ein weiterer entscheidender Pluspunkt: Königsdorfs Nähe zu München, was dem Motto "Olympia der kurzen Wege" entsprochen hätte, und die gute Verkehrsanbindung.

Doch olympischer Austragungsort zu werden, weckte offenbar landauf landab Begehrlichkeiten. Mehr als ein Dutzend Gemeinden hatten sich neben Königsdorf für die Ruderstrecke beworben, "um auch noch ein Stück vom großen olympischen Kuchen zu erwischen", wie der SZ-Reporter Rainer Nistl damals schrieb. Sogar "noch während der Pressekonferenz traf das Telegramm eines Immobilienhändlers ein, der ein geeignetes Gelände in der Nähe von Moosburg anpries", schrieb Nistl. An die Entscheidung waren natürlich Bedingungen geknüpft. Darunter, dass die Grundstückspreise nicht mehr steigen dürften. Daran hielten sich die Königsdorfer auch. "Es wurden notarielle Vorverträge unterzeichnet, alles schien in trockenen Tüchern", erzählt Alt-Bürgermeister Alfred Stangler.

Königsdorf Olympisches Dorf, Olympia 1972, Olympische Spiele 1972

Als im Januar 1969 die Entscheidung fiel, hissten die Bewohner die olympische Fahne am Maibaum.

(Foto: Archiv Werner Beier)

Doch plötzlich kam alles anders. Der Bau-, Finanz- und Verwaltungsausschuss der Olympiabaugesellschaft unterbreitete auf einmal Feldmochinger Grundeigentümern das Angebot, dort zu bauen, wenn sie den Preis für ihre Grundstücke senken würden. Diese reagierten prompt, senkten den Preis von 17 Millionen Mark mithilfe eines Kniffs auf unter zehn Millionen Mark: Sie inkludierten Staatsgrund. Stangler vermutet politisches Kalkül: "Franz Josef Strauß wollte den Norden von München stärken." Der war damals Vorsitzender des Aufsichtsrats der Olympia-Baugesellschaft. Für die Königsdorfer war das Angebot ein Skandal. In einer Erklärung wandten sich die Landräte von Wolfratshausen und Bad Tölz gegen die unerwartete Konkurrenz, der Bundestagsabgeordnete Georg Kahn-Ackermann schickte ein entsprechendes Telegramm am Strauß. Als verfassungswidrig bezeichnete der Förderkreis "Olympische Regattastrecke München - Königsdorf" gar das Angebot. Schließlich wäre der Bau in Königsdorf immer noch wesentlich billiger gekommen, um rund 13,2 Millionen Mark.

Hoffen und Bangen hieß es dann bis zum und am 18. April 1969, als endgültig die Entscheidung fiel. Um 17 Uhr wurde bekannt gegeben, dass Feldmoching den Zuschlag erhalten hat. "Wie in einem Kriminalroman, nur mit dem Unterschied, dass diesmal nicht die Gerechtigkeit, sondern das Unrecht gesiegt hat", wurde damals ein Königsdorfer zitiert. Im Dorf habe es nurmehr ein Thema gegeben: die "manipulierte" Vergabe und das "verwerfliche Katz- und Maus-Spiel".

Ihren Frust verarbeiteten die Königsdorfer recht sarkastisch: Sie veröffentlichten eine Zeitungsannonce im Stile einer Todesanzeige: "Nach dem Ratschluss der Olympischen Götter ist unser innigstgeliebtes Wunschkind und unsere große Hoffnung Regatta Strecke nach schmerzhaften, mit größter Geduld ertragenen Krämpfen im zarten Alter von kaum acht Monaten für immer von uns genommen worden." Unterzeichnet ist die Anzeige mit "Gemeinde Schliersee, enttäuschte Erbengemeinschaft im Namen aller sonstigen Interessenten". Auch wenn nicht bekannt ist, wer die Anzeige aufgab, Stangler vermutet dahinter jene enttäuschten Grundstücksbesitzer, die sich schon in anderen finanziellen Sphären schweben gesehen hatten.

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