Verlagsgeschichte:Im Reich der Dame Kobold

Lesezeit: 4 min

Minidramen in Serie: Ein Jubiläumsband zum fünfzigjährigen Bestehen des Verlags der Autoren. Und die Erinnerungen des Gründungsverlegers Karlheinz Braun.

Von Helmut Böttiger

Die intellektuelle Szene, ja die gesamte damalige "Gelehrtenrepublik" hielt den Atem an. Ende der Sechzigerjahre, auf dem Höhepunkt der antiautoritären Revolte, kam es im Suhrkamp-Verlag zu einem Aufstand der Lektoren. Sie forderten Gleichberechtigung und Vergesellschaftung. Gerade in diesem Verlag schien das naheliegend zu sein. Er hatte sich im Vorfeld der 68er-Bewegung zum Wortführer entwickelt, vor allem durch seine analytische und essayistische Reihe Edition Suhrkamp. Aber auch als Literaturverlag war Suhrkamp maßgeblich geworden. Verlagschef Siegfried Unseld, der wie Uli Hoeneß, der spätere Boss von Bayern München, aus Ulm stammte und eine ähnliche Unternehmerchuzpe an den Tag legte, konnte den Angriff der Lektoren zwar mühsam abwehren, doch einige der namhaftesten unter ihnen, darunter Walter Boehlich, gründeten daraufhin 1969 einen eigenen Theaterverlag, den Verlag der Autoren, der tatsächlich den Autoren und Mitarbeitern gehören sollte.

Dieser Verlag, der auch nach fünfzig Jahren immer noch nach denselben Gesetzen arbeitet, schenkt sich jetzt eine großformatige Jubiläumsschrift, die auf die Geschichte zurückblickt und sie in charakteristischer Weise aufarbeitet: man ging ins Archiv. Marion Victor, die langjährige Geschäftsführerin des Verlags, und Wolfgang Schopf, der Leiter des Literaturarchivs der Frankfurter Universität, sind so tief in die Keller hinabgestiegen, wie es eben ging. Dabei haben sie in den Materialien, die sich unversehens im Lauf der Jahre angesammelt haben, vieles entdeckt, was mittlerweile eine literaturgeschichtliche Aura entfaltet. Karlheinz Braun, einer der beiden ersten Geschäftsführer, hatte im Suhrkamp-Verlag den Theaterverlag geleitet.

Da die Gründung eher Hals über Kopf erfolgte, gab es im Frühsommer 1969 im neuen Verlag noch keinen einzigen Text. Braun hatte französische Komödien aus dem 19. Jahrhundert als Vermarktungschance erkannt und erteilte dem durch seine Verschmitztheit aufgefallenen Verlagsmitbegründer Urs Widmer deshalb gleich den Auftrag, ein entsprechendes Stück von Eugène Labiche ("Das Glück zu dritt") zu übersetzen. Die Tantiemen der ersten Inszenierung liefen im Oktober ein, mittlerweile hatte der Verlag bereits dreißig Stücke im Programm.

Als zeitgeschichtliche Quelle sind die "Herzstücke" von Karlheinz Braun eine Fundgrube

Die Herausgeber der "Fundus"-Recherche lassen die Dokumente sprechen, die sie zusammengetragen haben: Fotos, Faksimiles, Zitate. Dadurch ergibt sich ein direkter atmosphärischer Einblick in die Jahre zwischen 1969 und 2019, ein Gefühl für die Veränderungen der Kulturgeschichte. Unter den ersten Verlagsgesellschaftern, die auf einem transparenten, mit einer Schreibmaschine notdürftig beschriebenen Blatt festgehalten sind, fallen Namen auf wie Heinrich Böll, Rainer Werner Fassbinder, Peter Handke oder Heiner Müller.

Als ersten Abdruck in der tonangebenden Zeitschrift Theater heute konnte der Verlag im Oktober 1969 "Das Kaffeehaus" unterbringen, die Bearbeitung eines Goldoni-Stücks durch Fassbinder. Beeindruckend ist die sofort einsetzende internationale Zusammenarbeit, auch mit der DDR und dem dortigen Henschelverlag (Fritz Rudolf Fries übersetzte "Dame Kobold" von Calderón).

Es finden sich längst vergessene handschriftliche Zeilen des jungen Peter Handke, den Karlheinz Braun zu einem neuen "Experiment" überreden wollte. Der unberechenbare Kärntner wollte jedoch unbedingt seinen "Ritt über den Bodensee" zu Ende schreiben, und natürlich wurde das zu einem der ersten großen Erfolge des Verlags der Autoren. Die ersten Jahre waren überhaupt die prickelndsten: Für die Theatersaison Herbst/Winter 1970 wurden bereits 40 Ur- und Erstaufführungen mit deutschen Theatern abgeschlossen. 1971 kam der Filmverlag der Autoren dazu, der mit Wim Wenders und wieder Peter Handke durchaus gleich Furore machte. Auch die Zusammenarbeit mit dem Verlag Klaus Wagenbach, der in seinen damals kultartig aufgenommenen "Quartheften" Theaterstücke in Koproduktion mit dem Verlag der Autoren veröffentlichte, war ganz auf der Höhe der Zeit. Es gibt viel Farbe in diesem Verlagsrückblick, viele Zitate und natürlich auch viel Theaterdonner. Indirekt teilt sich allerdings auch der Bedeutungsverlust des Theaters mit, der im Verlauf der Jahrzehnte im Kulturleben der Bundesrepublik zu verzeichnen ist.

Daran laboriert in seiner Weise auch Karlheinz Braun, der parallel zum "Fundus"-Band des Verlags der Autoren unter dem Titel "Herzstücke" einen eigenen, dickleibigen Band mit Erinnerungen im Schöffling-Verlag veröffentlicht hat. Es ist kein durchgeschriebenes Buch, sondern eine Sammlung von Porträts, Gedankensplittern und Theaterbildern, die immer wieder neu ansetzen und sich zum Teil auch überschneiden.

Brauns Stil ist zum Teil etwas buchhalterhaft. Wenn er etwa notiert, dass er Anfang der Fünfzigerjahre als Sohn eines Gebrauchtwagenhändlers eine Zeit als Austauschschüler in Versailles in der Familie des Präsidenten der Banque de France verbrachte, angereichert durch einen Sommer im Familienschloss an der Loire, dann würde man darüber gern mehr erfahren: über die unterschiedlichen sozialen Sphären, über die eigene Wahrnehmung, über deutsch-französische Verständigungen. Autobiografisches interessiert Braun aber programmatisch nicht.

Den "Aufgaben des revolutionären Sozialismus" wollte Botho Strauß die ästhetische Praxis angleichen

Als zeitgeschichtliche Quelle sind diese "Herzstücke" aber eine Fundgrube. Das Frankfurter Theater der Fünfzigerjahre, mit dem wagemutigen Brecht-Regisseur Harry Buckwitz und der Gründung des Studententheaters, der "neuen bühne", die im Januar 1957 gleich die Uraufführung des Stücks "Hochwasser" des noch nicht vollständig bekannten Günter Grass zuwege brachte, mit dem Suhrkamp-Verlag der Sechzigerjahre und der zeitpolitisch hoch aufgeladenen Erfahrung mit dem Verlag der Autoren. Braun wuchs wie organisch in das damals interessanteste Theatermilieu hinein, er kann aus erster Hand die bestimmende Szene mit Max Frisch, Peter Weiss oder Botho Strauß analysieren. Er war immer ganz nah dran. Das führt oft, zum Beispiel in den Abschnitten über den jungen Peter Handke, zu erhellenden Skizzen über die Genese eines Popautors, die "Publikumsbeschimpfung" als 68er-Ereignis (das auch das Cover ziert), die unerhörte Bedeutung des Theaters als gesellschaftspolitischer Brandherd.

Max Frisch reagierte 1959 auf Brauns Dissertation über ihn: "Mein Glückwunsch gilt uns beiden." Botho Strauß, einer der wichtigsten Gesellschafter des Verlags der Autoren überhaupt, wird mit bestechenden frühen Sätzen zitiert: Es habe sich "in unserem Land eine politische Avantgarde herangebildet", die "Aufgaben und Praxis des revolutionären Sozialismus" verfolge, und es gehe darum, das in eine entsprechende ästhetische Praxis zu überführen.

Mehrfach erwähnt Braun Strauß' Augenmerk auf finanzielle Belange: "Als er einen angeblichen Fehler in der Abrechnung anmahnte, befürchtete er, dass die Buchhandlung absichtlich bittere Späße mit ihm mache. Er achte immer auf Geld, ließ er mich wissen." Das zentrale "Herzstück", das Minidrama schlechthin, zielt aber auf Heiner Müller, und zwar in der nächtlichen Bochumer Kantine lange vor unserer Zeit. Dieses Buch ist jetzt schon Theatergeschichte.

Wolfgang Schopf / Marion Victor (Hg.) : Fundus. Das Buch vom Verlag der Autoren 1969 - 2019. Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 2019. 301 Seiten, 39 Euro.

Karlheinz Braun: Herzstücke. Leben mit Autoren. Verlag Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2019. 675 Seiten, 32 Euro.

© SZ vom 16.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: