Politikerpromotionen:"Der Doktor hat an Bedeutung verloren"

Anklage wegen Handels mit erfundenen Doktortiteln

Erst die Promotion, dann die Politik - ist das ein typischer Karriereweg?

(Foto: dpa)

Franziska Giffey darf ihren Titel behalten - aber nützt ihr und anderen Politikern der akademische Grad überhaupt etwas? Auf die Wähler, erklärt Elitenforscher Heinrich Best, macht er eher wenig Eindruck.

Interview von Bernd Kramer

Die Freie Universität Berin hat entschieden: Franziska Giffey (SPD) darf ihren Doktorgrad behalten. Die Familienministerin war der jüngste Fall in einer Reihe von Politikern, die in den vergangenen Jahren mit ihrer Promotion ins Gerede kamen. Wie wichtig ist ein Doktor, um in Spitzenämter zu kommen? Der Elitenforscher Heinrich Best von der Uni Jena hat die Geschichte der Politikerpromotionen untersucht und sagt: Der aklademische Grad ist heute weit weniger bedeutsam als es die Plagiatsfälle nahelegen - und den Wählerinnen und Wählern wahrscheinlich ziemlich egal.

SZ: Herr Professor Doktor Best, Sie haben 1977 promoviert. Haben Sie jemals überlegt, ob Sie mit dem schönen Titel nicht auch in die Politik gehen könnten?

Heinrich Best: Nein, gar nicht. Lässt man einmal außer Acht, dass ich mir als Kind keinen tolleren Beruf vorstellen konnte als den des Försters, dann war für mich immer klar, dass ich die wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollte. Das war der Hintergedanke meiner Promotion.

Aber der Doktor hätte Ihren Einstieg in die Politik sicher befördert.

In Deutschland war der Doktor lange Zeit das Äquivalent des Adelstitels. Mit dem Doktor konnte man als Bürgerlicher dem Adel etwas entgegensetzen, und anders als ein Adelsrang wird einem der Doktor nicht in die Wiege gelegt. Man braucht Sitzfleisch, man muss ihn sich erarbeiten, er ist leistungsbasiert und unterstreicht damit als Titel sogar noch bürgerliche Tugenden. Im Konkurrenzkampf um die Macht hatte der Doktortitel sicher lange eine förderliche Wirkung.

Hatte?

Der Doktor hat an Bedeutung verloren. Zumindest die langfristigen Daten legen das nahe. Ich habe dazu die deutsche Parlamentsgeschichte vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart untersucht. Die Frankfurter Nationalversammlung von 1848 war ein Doktoren- und Professorenparlament. Der Anteil der Promovierten lag bei 38 Prozent, ein historischer Spitzenwert. Die andere große Bevölkerungsgruppe, die in diesem ersten deutschen Parlament vertreten war, war der Adel. Mit der Zeit sinkt der Anteil des Adels innerhalb des politischen Spitzenpersonals und auch der Anteil der Promovierten. Man musste als Politiker nicht mehr unbedingt die Fürsten und Freiherren ausstechen. In der Weimarer Zeit rückten über die Arbeiterparteien außerdem Menschen in politische Funktionen, die keinen akademischen Hintergrund hatten.

Und so ging es bis heute weiter?

Die Nachkriegszeit schließt zwar, was die Rekrutierung politischer Eliten anbetrifft, eher an die Kaiserzeit an als an die Weimer Republik: Im Bundestag saßen zunächst wieder viele Doktoren. Aber ab den 90er Jahren ist der Anteil der Promovierten im Parlament wieder deutlich gesunken.

Woran liegt das?

Erst einmal: Verglichen mit der Bevölkerung, ist der Promoviertenanteil unter Spitzenpolitikern natürlich immer noch hoch. Aber die traditionellen Statusmerkmale spielen bei der Rekrutierung nicht mehr die gleiche Rolle wie früher. Heute sind andere symbolische Kriterien wichtiger bei der Besetzung politischer Positionen, denken Sie an das Geschlecht. Früher war es vor allem in den bürgerlichen Parteien bei der Kandidatenaufstellung ein unausgesprochener Pluspunkt, wenn ein Politiker promoviert war. Inzwischen ist eine proportionale Geschlechterrepräsentation ein Ziel, das sogar ganz explizit durch Quoten geregelt wird. Die Promotion tritt durch solche Entwicklungen in den Hintergrund. Und die Doktorgrade verteilen sich auch sehr unterschiedlich auf die Parteien, das trägt zu diesem Trend bei.

Union und FDP mit vielen Doktoren haben weniger Mandate als in den 50ern.

Ja. Und ein ganz interessanter Fall sind in diesem Zusammenhang die Grünen. Die Grünen waren im Bundestag bisher die Partei mit einem der höchsten Akademikeranteile. Und gleichzeitig war der Anteil der Promovierten deutlich unterdurchschnittlich, zumindest in dem von uns untersuchten Zeitraum von Anfang der 90er Jahre bis in die 2000er. Die Grünen stehen unter allen Parteien besonders für den Wertewandel, der ja auch dadurch ausgelöst wurde, dass breitere Schichten der Bevölkerung akademische Bildung und Wohlstand erlangten. Damit wurden postmaterialistische Werte wie Selbstverwirklichung und demokratische Teilhabe wichtiger als zum Beispiel Sicherheit und Status. Im Selbstverständnis der Postmaterialisten spielt ein nach außen getragener Doktortitel daher keine so eine große Rolle; womöglich würde es die Grünen sogar Stimmen kosten, wenn ihre Kandidaten dünkelhaft mit ihrem Titel auftreten. Der Aufstieg der Grünen hat dazu beigetragen, dass der Promoviertenanteil im Bundestag zurückgegangen ist.

KomRex; Heinrich Best

Heinrich Best ist Elitenforscher und lehrt an der Universität Jena.

(Foto: Jan-Peter Kasper/FSU Jena)

Wenn es einen solchen Kulturwandel gab, scheint er aber gestoppt zu sein. Im Moment sind die Grünen die Fraktion im Bundestag, in der verhältnismäßig die meisten Doktoren sitzen.

Ja, das zeigen auch unsere aktuellen Daten. Über die Gründe für diesen Wandel können wir nur mutmaßen. Wahrscheinlich liegt es daran, die grüne Parteielite inzwischen im gehobenen bürgerlichen Milieu verankert ist.

Haben nach ihrem Marsch durch die Institutionen vielleicht inzwischen auch die Grünen erkannt, dass man mit dem Doktorgrad Eindruck bei Wählerinnen und Wählern machen kann?

Die erste zentrale Hürde, die ein Politiker in seiner Karriere nehmen muss, ist die Partei. In den bürgerlichen Parteien mag es bei der Kandidatenaufstellung noch eine gewisse Rolle spielen, ob jemand promoviert ist oder nicht. Vielleicht ist das parteiintern inzwischen auch bei den Grünen so. Aber ob sich dann auch Wähler davon beeindrucken lassen? Ich glaube eher nicht. Die empirischen Studien zum Thema sprechen nicht dafür, dass ein Doktor auf dem Wahlzettel nennenswert zusätzlich Stimmen bringt. Andere Eigenschaften der Kandidaten dürften wichtiger sein als ihre Promoviertheit.

Aber immerhin die Politikerinnen und Politiker selbst legen innerhalb ihres Berufstandes großen Wert auf die Promotion. Zumindest vermitteln die Plagiatsaffären der vergangenen Jahre den Eindruck, dass es in der Politik einen großen Doktordrang gibt. Wie passt das mit Ihren Ergebnissen zusammen?

Ich glaube, dafür gibt es eine simple Erklärung: Technisch ist es heute unendlich viel leichter, Plagiate nachzuweisen. Und es gibt in vielen Fällen auch parteipolitische Interessen, die Öffentlichkeit zu alarmieren, wenn gegen einen prominenten Politiker irgendwo Schummelvorwürfe auftauchen. Das heißt nicht, dass der Doktor in der Politik bedeutender geworden wäre. Bei Guttenberg dürfte vielen Wählerinnen und Wählern bis zum Plagiatsskandal kaum Notiz von dem Titel genommen haben. Bei Giffey ist es sicher nicht anders.

Die Plagiatsaffäre von Franziska Giffey machte weit weniger Wirbel als die Schummeleien konservativer und liberaler Politiker. Liegt das daran, dass sie eine Sozialdemokratin ist?

Das glaube ich nicht. Für eine postmaterialistische Partei wie die Grünen mag eine Promotion nicht so wichtig sein, bei traditionellen Parteien ist die Achtung des Titels größer. Da unterscheidet sich die SPD wahrscheinlich gar nicht so sehr von der Union. Die Doctores spielten in der Arbeiterbewegung als Vorbilder und Aufstiegsfiguren von Anbeginn eine prominente Rolle. Einer der Allerersten in der Arbeiterbewegung, der mit höchsten akademischen Weihen versehen war, war Dr. Karl Marx.

Der war aber auch einer der vielen eher zweifelhaften Promovierten im 19. Jahrhundert. Den Doktor bekam er per Post von der Uni Jena, obwohl er persönlich nie vor Ort war. Er hat eine kleine Abhandlung eingeschickt, auf Deutsch. An seiner Uni in Berlin hätte er eine Doktorarbeit in Latein einreichen und mündlich verteidigen müssen.

Da will ich meine eigene Universität nicht groß in Schutz nehmen: Jena war zu der Zeit berüchtigt, was die Leichtigkeit des Promovierens angeht. Nach Hinterlegung einer Gebühr konnte man sich den Titel abholen. Marx dürfte die Uni bewusst gewählt haben, um das schnell hinter sich zu bringen. Aber zumindest war die Promotion kein Plagiat.

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