Jugendtheater:Dem Zufall verfallen

Leonce und Lena

Der melancholisch gestimmte Prinz Leonce (Vincent Tandler) trennt sich von seiner ehemaligen Geliebten Rosetta (Bhale Maas).

(Foto: Christoph Maas)

Der Jugendclub des Hofspielhauses nimmt sich Georg Büchners Lustspiel "Leonce und Lena" vor. Entstanden ist ein Zwitterding aus Original und Social-Media-Parodie

Von Barbara Hordych

Zunächst einmal hat Christiane Bremmer, Leiterin des Hofspielhauses, dem Premierenpublikum etwas Grundsätzliches mitzuteilen: Georg Büchner sei ja unfassbar früh, bereits mit 23 Jahren, gestorben. "Kaum zu glauben, was er bis dahin alles geleistet hat - als Jurist, Revolutionär und Dichter", sagt Bremmer. Aufgrund seines Alters sei er auch so eine spannende Figur für die elf Darsteller ihres "Jugendclubs", die sich ein Jahr lang mit Büchners Lustspiel "Leonce und Lena" beschäftigt hätten. Herausgekommen ist ein Stück, das als eine Art Zwitterding zwischen dem originalen Text und einer witzigen Social-Media-Parodie hin- und herspringt. Die Textfassung hat Regisseur Sascha Fersch erstellt, "streng redigiert von den Darstellern, mit besonderem Augenmerk auf die Authentizität der Jugendsprache", wird Fersch später in der Pause erzählen.

Aber jetzt hat der melancholisch gestimmte Leonce seinen großen Auftritt, schön versonnen verkörpert von Vincent Tandler, der bereits in den vergangenen Jugendclub-Produktionen mitwirkte. Überdimensionierte Spielkarten lässt er über das Treppengeländer des Lofts nach unten ins Foyer segeln, während er von seinem Faible für das Wetten spricht und über den Müßiggang reflektiert: "Was die Leute nicht alles aus Langeweile treiben! Sie studieren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich aus Langeweile." So weit, so Büchner. Doch mit dem Auftauchen seiner beiden Freunde Toni und Valerio - herrlich ruppig: Selma Ahrens und Stella Achter - wird direkt ein anderer Ton angeschlagen. Man tauscht sich über die Dating-App Tinder aus, gibt sich gegenseitig sachkundige Ratschläge etwa derart, bloß das Fragezeichen hinter der Frage "Bock auf Sex" nicht zu vergessen, "sonst ist es Nötigung".

Weniger Sex, dafür die Verheiratung seines Sohnes Leonce hat hingegen Gregor Kretschmer als stark von sich eingenommener König Peter im Sinn. Im Bademantel und mit Krone mustert er gravitätisch den "schlanken Volkskörper", der in Gestalt der Zuschauer vor ihm sitzt. Doch was will dieses Volk? Steuererhöhungen? Die Todesstrafe für alle? Nein - "Maoam". Und schon regnet es Kaubonbons auf die Zuschauer nieder.

Ähnlich wie Leonce hadert auch Prinzessin Lena (Annika Bachl) mit ihrer Rolle bei Hofe und den Plänen ihrer Eltern, sie mit einem unbekannten Prinzen zu verheiraten. Sie betritt in einem opulenten weißen Brautkleid die Szene, das hinten nie ganz geschlossen ist. Oder immer schon halb geöffnet, je nach Perspektive. Leicht aufgelöst wie ihre Erscheinung ist auch ihre Gemütsverfassung angesichts der bevorstehenden Verheiratung. Deren Vor- und Nachteile diskutiert sie nicht wie bei Büchner mit ihrer Gouvernante, sondern mit ihren "Girls" Luna, Lana und Lina. Ein schöner dramaturgischer Kniff von Sascha Fersch und seiner Co-Regisseurin, der Schauspielerin Sandra Seefried. "Hey, bist du nicht ein wenig overdressed?" mokiert sich das eine Girl, gruftimäßig ganz in schwarz gekleidet, mit skeptischem Blick auf Lenas Outfit. "Oder machst du beim Bachelor mit?", legt sie nach. "Der kann dir save ein gutes Leben bieten", überlegt das zweite Girl, gespielt von Paula Brammer, der Tochter der Hausherrin Christiane Brammer. Während die Dritte im Bunde ihr die Vorteile eines emanzipierten Lebens vor Augen stellt: "Oder du studierst BWL, arbeitest bei BMW und kaufst dir ein Reihenhaus in Fürstenfeldbruck!".

Nein, diese Optionen überzeugen weder das amüsierte Publikum, noch die Prinzessin selbst. Stattdessen nimmt sie, nach einem letzten gemeinsamen Selfie am heimischen Hof, lieber mitsamt ihren Girls Reißaus. Zunächst zur allseitigen Belustigung aufs "Hofspielörtchen", dann aber weiter in Richtung Italien. Exakt dort trifft sie auf ihren Seelenverwandten, den ebenfalls vor seinen königlichen Verpflichtungen ausgebüchsten Leonce. Noch schwärmt er freilich seinen Kameraden von seiner "Traumfrau" vor, die "unkompliziert, aber geheimnisvoll" und "gut gekleidet, aber keine Lust auf Shoppen" haben solle. Valerio ist nur mäßig angetan von der Abenteuerreise seines Dienstherrn. "Ich könnte zu Hause im Bett liegen und Sonnenuntergänge auf Youtube gucken, stattdessen muss ich hier qualvoll analog sterben", beklagt er sich. Gerade hat es den Anschein, als kippe die Vorstellung komplett ins Flapsige, da nimmt sie eine Wendung ins Poetische. Entlarven sich Leonce und seine Lena, all den modernen, witzigen Sprachbildern zum Trotz, mit den originalen Zeilen als unerwartet gefühlvoll. "Für müde Füße ist jeder Weg zu lang" stellt der irrende Königssohn fest, und Lena ergänzt: "Und für müde Augen jedes Licht zu scharf und müde Lippen jeder Hauch zu schwer und müde Ohren jedes Wort zu viel." Deutliches Gefallen aneinander finden hier nicht nur die Hoheiten, "die durch den Zufall einander zugefallen sind" und sich zu guter Letzt dann doch wie geplant verheiraten, sondern auch die Zuschauer an dieser Inszenierung.

Leonce und Lena, Donnerstag, 18. Juli, 20 Uhr, Hofspielhaus, Falkenturmstraße 5

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