Biologie:Wie Pflanzen sich verteidigen

Ebola-Forschung, Planatage, Wirkstoff, der aus einer Tabakpflanze gewonnen wird, USA

Tabakpflanzen verteidigen sich ganz anders als andere Gewächse.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

Das Immunsystem verschiedener Gewächse funktioniert ganz unterschiedlich. Diese neue Erkenntnis könnte weitreichende Auswirkungen auf die Pflanzenforschung haben.

Von Tobias Herrmann

Verschiedene Pflanzen können verschiedene Immunsysteme haben. Diese Erkenntnis, die für den Laien auf den ersten Blick nicht sonderlich überraschend klingen mag, verursacht bei Pflanzenforschern gerade Erstaunen. Denn bisher war in der Wissenschaft allgemeiner Konsens, dass das Immunsystem aller Pflanzen weitestgehend identisch ist. Grund dafür ist vermutlich, dass bisherige Studien zur pflanzlichen Immunantwort meist mit der gleichen Modellpflanze durchgeführt wurden: der Ackerschmalwand, lateinisch Arabidopsis thaliana.

Ein Forscherteam der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg um Johannes Stuttmann hat mit diesem Dogma nun gebrochen und das Immunsystem der Tabakpflanze Nicotiana benthamiana untersucht. Wie die Biologen in der Fachzeitschrift The Plant Cell berichten, stellten sie dabei auf molekularer Ebene zum Teil fundamentale Unterschiede fest. Die Ergebnisse ihrer Studie legen nahe, dass Erkenntnisse, die durch Experimente mit nur einer Pflanzenart gewonnen wurden, kritischer betrachtet werden sollten.

Anders als Menschen und Tiere besitzen Pflanzen kein adaptives, also erworbenes Immunsystem, sondern müssen mit einer angeboren Immunabwehr auskommen, die zudem noch relativ simpel aufgebaut ist - und auf den ersten Blick bei allen Pflanzenarten gleich funktioniert: Eine Schlüsselrolle spielen dabei Rezeptorproteine. Dabei handelt es sich um besondere Moleküle, die auf der Oberfläche von Pflanzen sitzen und Parasiten zuverlässig erkennen und abwehren können. Sollte es ein Schädling doch einmal ins Innere der Pflanze schaffen, erwarten ihn dort weitere Proteine, die den Eindringling als Gefahr identifizieren und eine schnelle Immunantwort auslösen.

Die pflanzlichen Immunsysteme unterscheiden sich offenbar stärker als bislang vermutet

Doch wo liegt jetzt der Unterschied zwischen Ackerschmalwand und Tabakpflanze? Dazu muss man sich die molekularen Prozesse genauer ansehen. Stuttmann und sein Team analysierten eine spezielle Rezeptorart, die sogenannten TNL-Rezeptoren. Diese befinden sich im Zellinneren und benötigen, um korrekt zu funktionieren, einen bestimmten Proteinkomplex - vergleichbar mit einem Auto, das ohne passenden Autoschlüssel nicht gestartet werden kann. Die Forscher fragten sich, ob das Immunsystem beider Pflanzen auf den gleichen Genen basiert, und tauschten einige Gene in beiden Arten aus. Zusätzlich deaktivierten sie mit Hilfe der Genschere CRISPR/Cas9 mehrere Gene in der Tabakpflanze. Anschließend überprüften sie, ob das Immunsystem der behandelten Pflanzen noch intakt ist. Dabei stellten die Biologen fest, dass der TNL-Rezeptor aus der Tabakpflanze auch in Arabidopsis funktionierte, der dazugehörige Proteinkomplex aber wirkungslos blieb. Daraus folgerten die Forscher, dass in Tabakpflanzen ein anderer Proteinkomplex verwendet wird als in Arabidopsis.

"Die Signalwege für Immunreaktionen in verschiedenen Pflanzen sind offenbar unterschiedlich", schließt Stuttmann. Diese Erkenntnis überraschte die Wissenschaftler, ging man doch bisher davon aus, dass molekulare Abwehrprozesse in Pflanzen weitgehend gleich ablaufen. Zumal die beteiligten Proteine im Laufe der Evolution nahezu unverändert blieben.

"Die weitläufige Meinung, dass man Erkenntnisse aus Arabidopsis thaliana so einfach auf andere Spezies übertragen kann, erweist sich häufig als falsch", sagt Johannes Stuttmann. Er plädiert deswegen dafür, Arabidopsis nicht länger als Goldstandard in der Pflanzenforschung anzusehen, sondern sich stattdessen vermehrt anderen Modellorganismen zuzuwenden - wie beispielsweise der Tabakpflanze Nicotiana benthamiana.

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