Ausstellung:Dreißig Sekunden für die Ewigkeit

"Schilder einer Ausstellung": Die Berliner Gemäldegalerie zeigt, wie die Beschriftung im Museum die Wahrnehmung von Kunst lenkt.

Von Johan Schloemann

Es ist beliebter denn je, ins Museum zu gehen. In Deutschland gibt es übers Jahr 114,4 Millionen Museumsbesuche, nach der jüngsten veröffentlichen Zählung des Instituts für Museumsforschung aus dem Jahr 2017. Aber was tun die Menschen vor dem einzelnen Kunstwerk, wenn sie nicht gerade ein Selfie machen?

Nach diversen Studien liegt die Verweildauer vor einem Gemälde im Schnitt bei weniger als einer halben Minute. Wenn man das weiß, dann ist die Frage, wie ein Bild im Museum beschriftet wird, keine Marginalie, sondern entscheidend für die Rezeption von Kunst. Einerseits bewundert man ja möglicherweise ein Meisterwerk von überzeitlichem Wert. Doch andererseits geht es um Sekunden.

Der Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell hat die Schilder in Museen als "Ersatz für die Betrachtung" bezeichnet: Sie träten an die Stelle der Kunst, "mit Überschriften, Anekdoten und der beruhigenden Bestätigung des Markennamens des berühmten Künstlers", schrieb Mitchell in seiner "Picture Theory" aus dem Jahr 1994. Und in der Tat, wer hat sich noch nicht dabei erwischt: Wir gehen in eine berühmte Gemäldesammlung, halsen uns zu viel auf einmal auf, und irgendwann klappern wir dann nur noch die Beschriftungen ab, auf der Suche nach bekannten Namen. Die Beschilderung der Kunst ist also ein drängendes Thema, gerade in der Sommersaison, in der massenhaft Kulturtouristen unterwegs sind.

Schilder einer Ausstellung

Und wer schaut noch die Bilder an? Beschriftungen in der Berliner Gemäldegalerie aus zwei Jahrhunderten.

(Foto: Svenja Janzen/SMB, Gemäldegalerie)

In den letzten Jahrzehnten hatten die Museen darauf mit einer Welle des Purismus reagiert. Die Schilder wurden möglichst gut versteckt und knapp gehalten - nichts sollte vom individuellen Zugang zum Bild an der Wand ablenken. Die Kunstwerke, offen für verschiedene Interpretationen, sollten von jeder bevormundenden Didaktik befreit werden. Schaut doch erst mal auf die Kunst selbst!, das war die hehre Botschaft. Wer aber Erklärung und Belehrung braucht, so hoffte man, der kann sich an den Audioguide, die Handy-App, an kleine Broschüren oder eben auch an den anspruchsvollen Katalog halten.

Keine Erklärung neben dem Bild, und alle werden an den Audioguide verwiesen - dieser Purismus ist heute vorbei

Doch auch wenn es hier und da sehr gute Audioguides und digitale Vermittlung gibt - das Konzept ist nicht aufgegangen, jedenfalls nicht für alle Besucher. Mehr und mehr große Museen gehen wieder dazu über, kurze erklärende Texte direkt zum Bild zu hängen. Denn zu erklären gibt es ja wahrlich genug: Warum nennt man dieses Werk "manieristisch"? Wer ist noch mal Bathseba?

Auch als 1998 in Berlin die wiedervereinigte Gemäldegalerie am Kulturforum eröffnet wurde - in einem innen wunderbaren Museumsneubau, der aber städtebaulich seinerseits versteckt und schlecht beschildert ist -, entschied man sich für die puristische Lösung. Die Werk- und Künstlernamen verschwinden dezent in einer Sockelleiste unter den Bildern. Genau damit aber ist das Berliner Museum nun nicht mehr zufrieden; an die Sockelleisten sollen demnächst wieder kunsthistorisch informierende Texte angebracht werden, deutsch und englisch, gut lesbar, das Konzept ist gerade in Arbeit. Und darum wird jetzt in der Gemäldegalerie eine faszinierende kleine Ausstellung gezeigt, die sich mit der eigenen Geschichte der Bilderbeschriftung befasst.

Schilder einer Ausstellung

Der Zustand in der Berliner Gemäldegalerie um 1900: Künstler- und Werknamen waren auf zwei verschiedenen Schildern am Bilderrahmen befestigt. Das Bild zeigt Generaldirektor Wilhelm Bode (sitzend) mit dem Restaurator Alois Hauser (links) und dem Direktor Max J. Friedländer im Alten Museum.

(Foto: SMB, Zentralarchiv, Fotosammlung)

Die Depotverwalter haben in Berlin einige der alten Gemälde-Schilder aufgehoben, aber bisher hatte sie sich niemand genau angesehen. Bis nun die Kuratorin Svea Janzen begonnen hat, den Bestand zu ordnen. Als die Gemäldegalerie 1830 im Alten Museum von Karl Friedrich Schinkel eröffnete, hingen die Bilder eng zusammen und waren nur mit Katalognummern versehen; die Auflösung dazu fand man in einem Begleitbuch oder auf einem Wandplan in der Ecke des Raumes. So hielt man es damals auch in den Sammlungen in Dresden, Wien, London oder Paris.

Doch seit den 1870er Jahren schraubte man in Berlin Künstler und Werknamen in getrennten Schildern direkt an den Bilderrahmen an. Denn der zuständige Kronprinz hatte sich über das umständliche frühere System beschwert. Dies kostete den späteren Direktor Wilhelm Bode viel wissenschaftlichen Einsatz, denn viele Titel und Zuschreibungen waren falsch - auch heute müssen die Schilder flexibel austauschbar sein, weil neue Forschungsergebnisse die Beschriftung wieder ändern.

Schilder einer Ausstellung

Ein Blick in die Berliner Gemäldegalerie im Kaiser-Friedrich-Museum (dem heutigen Bode-Museum) vor dem Zweiten Weltkrieg, ca. 1933-1939: Die Messingschilder am Rahmen hatte man abgenommen, stattdessen hingen schwarze Schilder neben den Bildern. Die Namen jüdischer Stifter wurden entfernt.

(Foto: SMB, Zentralarchiv, Fotosammlung)

Dann aber wechselte man in Berlin wieder zu Wandschildern neben den Gemälden, auch weil immer mehr prominente Stifter zu würdigen waren. Im Nationalsozialismus wiederum, auch dies dokumentiert die kleine Ausstellung, wurden die jüdischen Stifternamen auf Geheiß der Museumsleitung gezielt und ordentlich weggeschnitten. An solchen Details sieht man: Es geht um kleine Texte von großer Bedeutung - kunst- und zeitgeschichtlich, aber auch für unsere Wahrnehmung von Kunst heute. Und sei sie nur ein paar Sekunden lang.

Schilder einer Ausstellung. Bildbeschriftungen der Gemäldegalerie von 1830 bis heute. Gemäldegalerie, Berlin, bis 29. September. Informationen: www.smb.museum

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