Waffen:Italienischer Zoll findet Rakete bei Rechtsextremem

Polizisten beschlagnahmen Rakete in Italien

Kein ganz alltäglicher Fund: Polizisten präsentieren eine Luft-Luft-Rakete vom Typ Matra Super 530F, beschlagnahmt in einem Kleinflugzeug-Hangar im lombardischen Kurort Rivanazzano Terme.

(Foto: Tino Romano/dpa)
  • Der 60-jährige Fabio Del Bergiolo ist Mitglied von Forza Nuova, einer rechtsextremistischen und offen neofaschistischen Partei.
  • Innenminister Matteo Salvini reagierte ungewöhnlich langsam und behauptet dann auf Twitter, der Hinweis komme von ihm. Eine ukrainische Gruppe trachte ihm nach dem Leben.
  • Die Staatspolizei teilte mit, sie habe keine Hinweise für ein geplantes Attentat auf Salvini gefunden.

Von Oliver Meiler, Rom

Manche Nachrichten sind so abenteuerlich und skurril, voll mit Figuren aus der Zwischenwelt, schummerigen Agenten und Tangenten in die Weltpolitik, dass sie leicht fiktiv wirken könnten. Wie entlehnt aus diesen Thrillern, die man im Sommer unter dem Sonnenschirm am Strand in zerfledderten Wälzern liest. In Italien wird gerade eine solche Geschichte verhandelt, aber ganz real. Es ist alles drin. Sogar Matteo Salvini, der Innenminister, tritt darin auf, wenn auch spät und in einer zumindest fragwürdigen Rolle.

In Rivanazzano Terme, einem kleinen Ort im Norden Italiens, hat die Polizei eine richtig große Rakete beschlagnahmt. Eine Matra Super 530F, französische Fertigung, 250 Kilogramm schwer, dreieinhalb Meter lang. Eine sogenannte Luft-Luft-Rakete für die Mittelstrecke. Montiert auf einen Kampfjet, kann sie ein Flugzeug aus der Luft holen, zielgenau gelenkt mit einem eingebauten Leitsystem. Sie stand im Hangar einer Firma mit dem unverfänglichen Namen Star Air Services. Die repariert und verkauft eigentlich Klein- und Ultraleichtflugzeuge. Der Flugplatz von Voghera ist nicht weit.

"Eine solche Operation hat es in Italien noch nicht oft gegeben"

Wie die Firma, die von einem Schweizer und seinem italienischen Geschäftspartner geführt wird, an diese Rakete kam, ist noch Gegenstand von Ermittlungen. Früher stand sie einmal im Inventar der Streitkräfte von Katar, das sie aber bereits 1994 weiterverkaufte an ein "befreundetes Land", dessen Namen zu diesem Zeitpunkt der Untersuchungen nicht veröffentlicht werden soll. Der zuständige Turiner Polizeichef ließ schon mal ausrichten: "Eine solche Operation hat es in Italien noch nicht oft gegeben."

Die Geschäftsführer der Star Air Services, 42 und 51 Jahre alt, stehen unter Hausarrest. Sie sind angeklagt für den "Besitz einer Kriegswaffe des Typs Luft-Luft-Rakete". Ihrem Anwalt ist es wichtig, dass niemand denkt, seine Mandanten hätten politische Verbindungen zu den düsteren Kreisen, die in diesem Fall besonders prominent aufscheinen.

Den Hinweis auf den Hangar in Rivanazzano hatte die Polizei von einem früheren Mailänder Zollbeamten erhalten: Fabio Del Bergiolo, 60 Jahre alt, er ist die Hauptfigur dieser Geschichte. Del Bergiolo ist Mitglied von Forza Nuova, einer rechtsextremistischen und offen neofaschistischen Partei. 2001 bewarb er sich für einen Sitz im italienischen Senat, hatte aber keine Chance. Forza Nuova gewinnt selten mehr als 0,5 Prozent der Stimmen, bei den jüngsten Europawahlen waren es gar nur 0,15 Prozent.

Als Del Bergiolo seinerzeit am Mailänder Flughafen Malpensa arbeitete, war er in einen Betrugsfall verwickelt. Vier Jahre saß er dafür im Gefängnis. Seit er draußen ist, lebt er wieder bei seiner Mutter. Neulich kam die Polizei dort vorbei, in einem Städtchen namens Gallarate, weil sie bei einer Großermittlung auf eine fast unglaubliche Fährte gestoßen war. Del Bergiolo hatte auf Whatsapp einem Mittler die Matra Super 530F zum Kauf angeboten. Verhandlungspreis: etwa eine halbe Million Euro. Del Bergiolo schickte ein Foto der Rakete.

Als die Polizei in der Wohnung der Mutter vorbeischaute, fand sie da, unter dem Bett des Sohns, ein Arsenal moderner und älterer Waffen, 40 insgesamt, dazu 800 Kugeln Munition. Im Zimmer standen und hingen auch etliche Devotionalien aus dem Dritten Reich herum, sie wurden alle fotografiert und der Presse weitergereicht. Schilder mit Hakenkreuzen waren dabei, eine Tafel mit dem Spruch: Unser Gruß ist "Heil Hitler!" Auf dem Nachttisch hatte er ein Foto, das Hitler zusammen mit Benito Mussolini zeigte.

Del Bergiolo gestand schnell, es gab ja auch wenig zu leugnen, und er nannte den Ermittlern die Adresse des Hangars. Zentral aber ist, wie die Untersuchungen in den neofaschistischen Kreisen überhaupt erst begannen. Vor einem Jahr war das. Da behauptete ein früherer Agent des KGB gegenüber italienischen Geheimdienstlern, er habe gehört, ukrainische Nationalisten, die im Krieg in der Ostukraine gegen pro-russische Separatisten kämpften, würden ein Attentat auf Matteo Salvini planen. Warum? Das konnte er nicht sagen. Etwa weil Salvini dem Kreml nahesteht?

Den Ermittlungsauftrag erhielt die Turiner "Digos", so nennen die Italiener die Abteilung ihrer Staatspolizei, die sich mit politischer Gewalt beschäftigt, mit Terrorismus und Extremismus. Der russische Informant, so erfuhr man aus Moskau, war tatsächlich mal beim KGB gewesen - nur kurz, in den 1980er-Jahren. Die Ermittler entschieden, die Telefone von italienischen Rechtsextremisten abzuhören, die im Donbass mitgekämpft hatten. Es gab welche auf beiden Seiten, pro-russische und pro-ukrainische, etliche hatten noch Kontakte zu alten Waffenbrüdern.

Salvinis Erklärung: Ukrainische Nationalisten hätten ihm nach dem Leben getrachtet

Monatelang hörte die Polizei mit, doch nichts nährte die These des Attentats. Dann stießen die Fahnder auf das Foto auf Whatsapp, auf den illegalen Waffenhändler Del Bergiolo von Forza Nuova, und die Ermittlungen zweigten in eine ganz andere Richtung ab. Mit der Ostukraine und den angeblichen Attentatsplänen gegen Salvini hatten sie nichts mehr zu tun. Sagt die "Digos".

Am Montagmorgen nun, als die Polizei Del Bergiolos Arsenal und den Hangar der Star Air Services ausgehoben hatte und den Fund den Medien präsentierte, sorgte das allenthalben für Verwunderung und Sorge. Die italienische Regierung aber reagierte stundenlang nicht. Normalerweise dauert es jeweils nur ein paar Minuten, bis die beiden Vizepremiers Salvini und Luigi Di Maio sich per Twitter auf die Schultern klopfen, nach dem Motto: Schaut, Italiener, wir passen auf euch auf! Diesmal nicht. Und die Medien fragten schon: Was ist los? Ist eine Matra Super 530F in einem privaten Unterstand im Norden Italiens etwa keinen Tweet wert?

Erst am Nachmittag trat Salvini vor ein Mikrofon, in Genua. Die Rakete? "Ich habe den Hinweis dazu gegeben", sagte er. "Es gab eine detaillierte Bedrohung, eine ukrainische Gruppe trachtete mir nach dem Leben." Er erhalte jeden Tag Todesdrohungen. "Ich bin froh, dass ich mit meinem Hinweis helfen konnte."

Es sah jetzt so aus, als hätten ukrainische Nationalisten geplant, Salvini mit einer Luft-Luft-Rakete zu töten, was aber gerade noch habe verhindert werden können. Die "Digos" dementierte umgehend. Sie habe keine Hinweise gefunden für ein geplantes Attentat mit ukrainischem Hintergrund, in einem ganzen Jahr nicht.

Und dass italienische Rechtsextremisten dem sehr rechten Innenminister Böses wünschen, ist eine ziemlich abwegige Arbeitsthese. Seine politischen Gegner werfen Salvini vor, er versuche nur, von der Affäre um eine mögliche russische Finanzierung seiner Lega abzulenken. Von "Moscopoli" also. Offen bleiben unterdessen die zwei wirklich wichtigen, finsteren Frage in dieser Geschichte: Wie kommt eine große, offenbar gefechtstüchtige Rakete in einen Hangar im kleinen Rivanazzano? Und wer war daran wohl interessiert?

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