Ausstellung "Nude Visions":Nackt im Stadtmuseum

Marilyn Monroe, Uschi Obermaier und Achselhaare unter dem Abendkleid: Die Ausstellung "Nude Visions" im Stadtmuseum München zeigt Aktfotografien aus 150 Jahren.

Nina Berendonk

Am Anfang der Ausstellung steht ein Film. Eine junge Frau posiert nackt und mit unnatürlich durchgedrücktem Rücken auf bunten Seidenkissen, dirigiert von den genuschelten Anweisungen des langhaarigen Fotografen und seines nicht minder zauseligen Assistenten: "Bleib mal so."

Ausstellung "Nude Visions": Nackte Tatsachen: Guido Mangold fotografierte Uschi Obermaier 1968 in Kamerun.

Nackte Tatsachen: Guido Mangold fotografierte Uschi Obermaier 1968 in Kamerun.

(Foto: Foto: Münchner Stadtmuseum)

Der Studioblitz löst mit einem Knall aus, der Fotograf neigt sich mit der Stylistin und der Redakteurin über den Probeabzug; im Hintergrund liegt unbeachtet das Modell und zupft sich die langen Locken zurecht.

Harun Farockis 16-mm-Streifen ("Ein Bild", 1983), der auf ebenso unbeteiligte wie entlarvende Weise vorführt, wie wenig es bei einem Erotik-Fotoshooting um Erotik geht, eröffnet die Schau "Nude Visions - 150 Jahre Körperbilder in der Fotografie".

Um Erotik geht es nicht

Zum ersten Mal seit einer Aufsehen erregenden Ausstellung im Jahr 1985 hat das Stadtmuseum wieder einen Teil seiner Aktfotografien aus dem Archiv geholt - außer dem Farocki-Film stammen alle 190 ausgestellten Körperbilder, Mappenwerke und Beispiele aus der Bibliothek aus den Beständen des Hauses am Jakobsplatz. Dort, so erzählen die Ausstellungsmacher Ulrich Pohlmann und Rudolf Scheutle mit gewissem Stolz, lagerten noch etwa zweimal so viel.

"Ohne Zweifel vermag nichts den Blick so auf sich zu lenken wie der nackte menschliche Körper" - diese Aussage trifft heute noch ebenso zu wie Mitte der achtziger Jahre. Und doch gibt es inzwischen große Unterschiede in der Rezeption, erzählt der Umgang mit Nacktheit unglaublich viel über eine Zeit, über die herrschenden Vorstellungen von Kunst, Moral und natürlich über Körperwahrnehmung.

Ein Wechselspiel, das die in sieben geschickt gehängte Kapitel unterteilte Ausstellung sehr nachvollziehbar zeigt. Im gut gemachten Katalog (Kehrer Verlag) findet sich zum Beispiel ein Ausschnitt aus der Zeitschrift Quick von 1985, dem Jahr der ersten Aktfoto-Ausstellung. Das doppelseitige Foto mit der Zeile "Nackt im Stadtmuseum" zeigt ein unbekleidetes Paar, das sich gegenseitig vor einem der damaligen Exponate fotografiert und sich damit gewissermaßen selbst zum Kunst-Happening stilisiert.

Um die beiden drängen sich andere Münchner Museumsbesucher, in ihren Gesichtern spiegelt sich verlegenes Staunen, aber auch der vergebliche Versuch, die Augen von der ungewohnten öffentlichen Nacktheit zu wenden. Die andere Geschichte aus dem Jahre 2009 geht dagegen so: Er habe seiner jugendlichen Tochter die Ausstellung gezeigt, erzählt Kurator Pohlmann eher nebenbei. Später nach ihrem Eindruck gefragt, habe sie geantwortet: "Gut. Aber auch ganz schön eklig."

Sex an jeder Straßenecke

Dabei sieht man bei "Nude Visions" außer einer wunderbar ironischen Arbeit von Timm Ulrichs, für die er Kunstwerke in Porno-Filmsets abfotografierte, kein explizites Material. Aber dafür eben jede Menge Körper, wie sie nun mal ohne Photo-Shop aussehen: mit Körperbehaarung, Pigmentflecken, Augenringen und Hautwülsten.

Herlinde Koelbls Fotografie "Nina" etwa, die den von abertausend Falten zerfurchten Bauch und Busen einer alten Frau zeigt, Josef Breitenbachs Nahaufnahme einer gerade von wenigen Haaren bedeckten Mädchen-Scham oder Jürgen Tellers Serie "Kristen McMenamy" mit dem geschundenen Körper des damaligen Topmodels ganz nah vor der Linse - das sind Dinge, die es bei "Germany's Next Top Model" und in den auf Hochglanz retuschierten Modemagazinen so nicht zu sehen gibt.

"Nude Vision" fasst neben einem spannenden Rückblick auf die Entwicklung der Aktfotografie intelligent in Bilder, was Charlotte Roche schon mit ihren "Feuchtgebieten" versucht hat: eine Zeit zu protokollieren und zu hinterfragen, in der einem der Sex an jeder Straßenecke ins Gesicht springt, es aber ein Affront ist, wenn eine Frau Achselhaare zum Abendkleid trägt.

Die Ausstellung "Nude Visions - 150 Jahre Körperbilder in der Fotografie" ist bis zum 13. September im Münchner Stadtmuseum, St. Jakobs-Platz 1, zu sehen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: