Am Kiosk:"Mit Herz fürs Holz und Hirn unter der Borke"

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(Foto: 33% Das Waldmagazin)

Wieder entdeckt ein Magazin den Wald. Aber hilft die Kraft der Bäume der Branche?

Von Titus Arnu

Das Gefühl, ganz allein mitten im Wald zu stehen, muss nicht beängstigend sein. Im Gegenteil, es kann auch sehr beruhigend wirken. Knarrende Stämme, rauschende Blätter, der Geruch nach Moos und modernden Blättern, das Kreischen von Eichelhähern - viele Menschen empfinden diesen Geruchs- und Geräuschmix wie eine Meditation, ein Gegenmodell zu unserer informationsüberfluteten Welt. In gehobenen Wellnesshotels ist "Waldbaden" gerade schwer in Mode, der Trend kommt aus Japan und soll zu einem gesünderen Leben beitragen. Die Sehnsucht nach Ruhe und Naturverbundenheit unter Baumkronen scheint jedenfalls tief in der Psyche des Menschen verwurzelt zu sein. Im Duden steht ein schönes deutsches Wort dafür: Waldeinsamkeit.

Früher suchte man Brennholz, Beeren, Wild und Pilze in der Waldeinsamkeit, heute eher Seelenfrieden und den Sinn des Lebens. Lange war der Wald das Revier von Förstern, Jägern und Räubern, neuerdings haben Achtsamkeitstrainer und Bestsellerautoren ihn in Beschlag genommen. Bücher wie "Sehnsucht Wald" von Andreas Kieling und "Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben standen monatelang auf den Bestsellerlisten. Nun hat auch der Zeitschriftenmarkt die heilende Kraft des Waldes entdeckt - und versucht, einen kleinen Teil der medialen Holzernte einzufahren. In Zeiten von "Fridays for Future" und Debatten über Klimapolitik ist der Wald eben ein großes Thema, nicht nur wellnessmäßig, sondern auch wirtschaftlich und wissenschaftlich.

Das Interesse des Publikums wächst schnell und kräftig wie Ahornschösslinge - was spricht also dagegen, den Trend auf den journalistischen Blätterwald auszudehnen? Der schreibende Förster Peter Wohlleben gibt bei Gruner + Jahr ein Waldmagazin unter seinem Namen heraus, Wohllebens Welt. Der Leser erfährt darin unter anderem, weshalb der Totengräber-Käfer verendete Mäuse und Vögel unter die Erde bringt, wie aus einer Eichel ein tonnenschwerer Baum wird und warum Moose so super sind.

Wohlleben ist Titelfigur, Chefreporter, Kommentator, Reiseleiter, Naturphilosoph und Gesundheitsratgeber in Personalunion. Über den medizinischen Effekt eines Waldspaziergangs schreibt er: "Sobald wir einen Forst betreten, schlägt unser Herz ruhiger, der Blutdruck sinkt, im Körper zirkulieren weniger Stresshormone." Das erste Heft erschien im Frühjahr in einer Startauflage von 110 000 Exemplaren. Magazine, die sich mit Naturthemen befassen, gedeihen in Deutschland traditionell recht gut - angefangen vom Klassiker Natur über Geo bis Walden. Wer am Bahnhofskiosk einen Blick auf das Zeitschriftenregal wirft und die Abteilung "Garten und Natur" anschaut, sieht vor lauter Bäumen beinahe den Wald nicht. Eine breite Palette an Lebensart-Magazinen huldigt der Lust am Marmeladeneinkochen, Rosenschneiden und Blumenpflücken, esoterische Zeitschriften beschäftigen sich mit Schamanismus und bewusstseinserweiternden Pflanzen, dazu gibt es noch einige Fachpublikationen über Holz-, Landwirtschafts- und Jagdthemen.

In Österreich existiert bereits ein ansprechend gestaltetes und journalistisch hochwertiges Magazin mit dem Namen Wald, das vierteljährlich erscheint, herausgegeben von den Österreichischen Bundesforsten. Wozu also noch ein weiteres Magazin nur über den Wald?

Fünf Idealisten arbeiten nebenberuflich und ohne großen Verlag an dem neuen Heft

"Wälder stecken voller Themen und Geschichten", schreibt Britta Mentzel, Chefredakteurin des neuen Magazins 33 %, das sich an "Menschen mit Herz fürs Holz und Hirn unter der Borke" wendet. Der Titel klingt erst einmal etwas unsinnlich, aber ergibt Sinn, wenn man in das Heft hineinliest, von dem gerade eine Nullnummer gedruckt wurde. Nur noch etwa ein Drittel der Landmasse unserer Erde ist mit Wald bedeckt, "ein erschreckend niedriger Prozentsatz", findet Britta Mentzel.

Die freie Journalistin und Buchautorin aus Glonn im Osten von München hat sich mit befreundeten Grafikerinnen und Schreibern zusammengetan für das kreative Aufforstungsprojekt. In der Probeausgabe geht es unter anderem um Braunbären in slowenischen Wäldern, Fahrräder aus Bambus und die Buchenwälder des Jasmund-Nationalparks auf Rügen. Als "Stammgast" schreibt Reiseautor Stefan Nink über seine Begegnung mit einem Fuchs in Potsdam.

Die 33 %-Redaktion arbeitet nebenberuflich am Magazin, es handelt sich um ein kleines ambitioniertes Team von fünf Idealisten ohne großen Verlag oder Geldgeber im Hintergrund. Über eine Crowdfunding-Plattform sammelt die Redaktion gerade finanzielle Mittel, die helfen sollen, dass die Saat auch aufgeht und zu einem ordentlichen Wäldchen heranwächst, das wenigstens einen kleinen Ertrag abwirft.

Das könnte sich durchaus lohnen, denn 33 % ist sehr hübsch gemacht, mit hochwertigen Illustrationen und hohem journalistischem und künstlerischem Anspruch. Die letzte Seite heißt "Waldrand" und ist eine Spielwiese für Lyriker wie den Ostberliner Tom Schulz, der in der ersten Ausgabe auf poetische Art "Alleinstellungsmerkmale unter Apfelbäumen" besingt.

Bleibt nur die unromantische Frage, ob es nicht widersinnig ist, ein klassisches Printmagazin zu drucken, wenn man sich auf die Papierfahnen geschrieben hat, den Wald zu schützen?

33 % hat sich hundertprozentig gegen diese Kritik abgesichert: Das Heft wird in einer Druckerei hergestellt, die biologische Druckfarben nutzt und garantiert, dass ihr Papier ausschließlich aus vorbildlich bewirtschafteten Wäldern, nun ja, stammt.

© SZ vom 18.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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