Pflegefall in der Familie:Darlehen sollen Pflege erleichtern - werden aber kaum beantragt

Fachleute beklagen zu geringes Taschengeld im Heim

Die Pflege eines Angehörigen ist häufig sehr zeitintensiv - manchmal sogar ein Vollzeitjob.

(Foto: dpa)
  • Seit 2015 haben nur insgesamt 921 Personen ein sogenanntes Pflege-Darlehen beantragt, das die Betreuung Angehöriger finanziell erleichtern soll.
  • Obwohl das Instrument offensichtlich nicht bei den Menschen ankommt, plant die Regierung keine Gesetzesänderung.
  • "Die Gelder kommen nicht bei denjenigen an, für die sie gedacht sind", kritisiert Nicole Bauer, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Wenn ein Familienmitglied zum Pflegefall wird, bricht der sorgsam und auf Kante organisierte Alltag der Angehörigen oft erst einmal vollständig zusammen. Weil viel zu regeln ist, wenn die Mutter oder der Großvater es nicht mehr alleine schaffen, haben Familienmitglieder seit einigen Jahren nicht nur Anspruch auf bis zu zehn Tage Auszeit vom Job, samt Pflegeunterstützungsgeld. Sie können ihrem Arbeitsplatz auch länger fern bleiben oder ihre Arbeitszeit verringern, dank Pflegezeit oder Familienpflegezeit.

Damit sie sich das leisten können, sieht das Anfang 2015 in Kraft getretene Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf die Möglichkeit eines zinslosen Darlehens vor. Dieses Instrument scheint nicht sonderlich gut anzukommen, das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Abgeordneten Nicole Bauer und Nicole Westig.

So haben seit 2015 insgesamt erst 921 Personen ein solches Darlehen beantragt; 562 Frauen und 359 Männer. 2018 etwa waren es 208 Antragsteller gewesen, 2019 bislang 87. Die Inanspruchnahme sei hinter den ursprünglich getroffenen Annahmen zurückgeblieben, schreibt Stefan Zierke, Parlamententarischer Staatssekretär von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) in seiner Antwort an die FDP-Politikerinnen. In der Tat lässt sich im Gesetzentwurf nachlesen, dass die Regierung von 2015 bis 2018 mit gut 9700 Antragstellern gerechnet hatte - also mehr als zehn Mal so vielen, wie es nun geworden sind.

Die genaue Zahl aller Arbeitnehmer, die sich wegen eines Pflegefalls haben freistellen lassen, ist nicht bekannt, weil die Inanspruchnahme nicht meldepflichtig ist. Dass sie aber deutlich höher sein muss als die Zahl derjenigen, die ein Darlehen zur Überbrückung dieser Auszeit nutzen, weiß man sehr wohl. Denn eine repräsentative Befragung im Jahr 2016 ergab, dass es seit Einführung des Gesetzes mindestens 70 000 pflegende Angehörige mit Freistellung vom Beruf gegeben hat. Und für 2017 gibt es eine Schätzung auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes, die von 82 000 ausgeht. Die gesetzlich möglichen Auszeiten werden demnach deutlich reger in Anspruch genommen als die Darlehen.

"Die Gelder kommen nicht bei denjenigen an, für die sie gedacht sind"

Geändert werden soll aber offenbar trotzdem nichts. Die Gründe für die Nichtinanspruchnahme könnten vielschichtig sein und davon abhängen, ob der Lohnausfall auch in anderer Form abgefedert werden könne, heißt es in der Regierungsantwort. "Die Bundesregierung beabsichtigt derzeit keine Gesetzesänderung." Auftrieb allerdings könnte das Thema durch den ersten Bericht des unabhängigen Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf bekommen, den Giffey Ende Juni in Empfang genommen hat. Der Bericht müsse nun zunächst geprüft werden, teilte ihr Sprecher mit, die Prüfung dauere noch; wie lange, könne man nicht sagen.

Nicole Bauer, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, stellt dem bisherigen Gesetz einstweilen ein schlechtes Zeugnis aus. Es verfehle sein Ziel, sagte sie der SZ. "Die Gelder kommen nicht bei denjenigen an, für die sie gedacht sind." Die geringe Inanspruchnahme der Darlehen sei zwar bekannt, trotzdem ziehe die Bundesregierung keine Konsequenzen. "Das Gesetz geht offensichtlich an den Bedürfnissen der Menschen vorbei." Die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Nicole Westig, fordert neue Maßnahmen zur Unterstützung pflegender Angehöriger, etwa mehr Angebote zur Kurzzeitpflege und die Nutzung digitaler Möglichkeiten zur Pflege in der häuslichen Umgebung.

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