Ausstellung:Das Wesentliche im doppelten Sinn

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Der Künstlerverbund im Haus der Kunst hat bei seiner 4. Biennale unter dem Titel "The Big Sleep" eine fulminante Schau zusammengestellt. Zu der gehören auch Arbeiten von James Turrell und Paul McCarthy

Von Evelyn Vogel

Es brodelt unter der Oberfläche. Angeregt von den Schallwellen einer John-Cage-Komposition zittert und vibriert es auf dieser Fläche derart, dass alles, was die große silbrige Platte von Magdalena Jetelová einfängt, nur in wackligen und zackigen Bildern widergespiegelt wird. Lichtverläufe scheinen sich zu Neonschriftskulpturen zu verschlingen, Lichtausschnitte tanzen einen seltsam verschobenen Breakdance. Und geht der Betrachter nur nahe genug ran, erschrickt er über sein eigenes Spiegelbild, das ihm verwackelt und verzerrt entgegentritt. Nur die Schrift, die direkt auf dem silbrigen Objekt aufgebracht ist, verkündet ungerührt ihre Botschaft: "essential is no more visible" - das Wesentliche bleibt unsichtbar.

Von der Bewegung zum Stillstand: Laurie Palmers Riesenskulptur "Hole" aus recyceltem Holz. (Foto: Florian Holzherr)

Um das Wesentliche geht es bei dieser vierten Biennale der Künstler, ausgerichtet vom Künstlerverbund im Haus der Kunst, der damit sein 70-jähriges Bestehen feiert. Gemeint ist das Wesentliche im doppelten Sinn. Formal, weil sich die Künstlervereinigung, die von 1949 bis 2013 unter dem Namen "Ausstellungsleitung" alljährlich die "Große Kunstausstellung" organisierte, nach dem erzwungenen Ende dieser Tradition neu erfinden musste und das in den letzten Jahren fulminant tat. Inhaltlich, weil fast alle Arbeiten sich mit dem beschäftigen, was unter der Oberfläche liegt und den Kern ausmacht. Weil alle Sinnsuche von Äußerlichkeiten und der Hyperaktivität der modernen Gesellschaft dominiert wird.

Dagmar Pachtners Objektfoto "Mumie I". (Foto: Dagmar Pachtner, VG Bild-Kunst, Bonn 2019)

Das geht so weit, dass hier mit einigen Arbeiten Tiefenpsychologie betrieben wird. Dass der Titel der Ausstellung "The Big Sleep" allerhand Assoziationen weckt - vor allem mit dem gleichnamigen Buch und Film -, ist eher irreführend. Denn es geht nicht um Sex and Crime. Höchstens kreuzen sich die Gedankenbahnen im Hinblick auf doppeltes Spiel und falsche Fährten. Aber auch das ist, nun ja, ein bisschen an den Haaren herbeigezogen.

Konzentrieren wir uns also auf das, was die Künstler aus Deutschland mit ihren Gästen aus den USA, kuratiert von Cornelia Oßwald-Hoffmann und Peter Gregorio, für die Biennale im Haus der Kunst entwickelt haben. Und viele der Arbeiten sind tatsächlich in engem Zusammenhang mit dem Ausstellungsort entstanden.

Bepflanztes Modell vom Haus der Kunst, von Paul McCarthy. (Foto: Biennale der Künstler)

Mit am augenfälligsten wird das bei der Arbeit von Paul McCarthy, der zusammen mit James Turrell zu den bekanntesten Gastkünstlern in dieser Schau zählt. Sein mit Geranien bepflanztes Riesenmodell vom Haus der Kunst geht zurück auf seine Ausstellung "Lala Land - Parodie Paradies", mit der er 2005 die Ausstellungshalle überzog. Auch Vera Lossau bezieht sich mit ihrer aktuellen Arbeiten "I lost an eye, but it does not matter" auf die konkrete Örtlichkeit. Sie erinnert mit einer Objektskulptur in Form eines Basketballkorbs mit zwei Bällen daran, dass in diesen Hallen die Amerikaner nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur Musik, sondern auch Basketball spielten. Und Susanne Pittroff hat ihren Kabelsalat mit dem Titel "Trust Me" ganz bewusst in Form einer Abrissbirne gestaltet, um auf die bevorstehende Umgestaltung des Ausstellungshauses - Stichwort "Generalsanierung" - hinzuweisen. Und wo wir gerade bei gewaltsamer Zerstörung sind: Die Großplastik "Hole" von Laurie Palmer erinnert an die Vernichtung von Menschengemachtem durch Tornados.

Marylin Minters Foto in 3D-Anmutung "Cuntrol". (Foto: Marylin Minter)

Mehr die Ebene des Unterbewusstseins sprechen andere Künstler in ihren Arbeiten an, beispielsweise Marylin Minter mit "Cuntrol". In ihrer Serie, die wie hinter Schlieren, durch den Druck und bei entsprechender Beleuchtung zugleich aber auch sehr haptisch wirkt, hat sie Frauen unter der Dusche fotografiert - was einen natürlich sofort an den Film "Psycho" erinnert. Ähnlich psychotische Bildmomente zeigen beispielsweise Leslie Thornton in ihrer Videosequenz "So Much Much" oder Peter Gregorio in seiner lebenslang wachsenden Arbeit "Super-Intelligent-Entity-Anomaly", die sich auf der zerknitterten Papierwand im Hauptraum gegen alle Konkurrenz gut behauptet.

Und das mit dem sich behaupten ist nicht ganz einfach in dieser Ausstellung, die mit nicht weniger als 32 künstlerischen Positionen den gesamten maroden Westflügel bespielt. Mitunter müssen die Besucher auch einfach mal ganz still sein, um zu hören, was nicht zu sehen ist, so bei Tanja Hemm, die mit der titelgebenden Sound-Arbeit "The Big Sleep" aufwartet.

Und bei Michael Sailstorfer - noch so ein Schwergewicht in der Ausstellung - darf man nicht auf das blicken, was man auf Augenhöhe erwartet, sondern den Blick nach oben richten. Dort thronen seine "Solarkatzen" unterm Dach und sonnen sich. Dass dafür mühevoll die dunkle Verschattungsschicht vom Glasdach gekratzt werden musste - geschenkt.

Bald wird es im Haus der Kunst selbst ja auch darum gehen, was das Haus im Kern ausmacht. Wenn die Generalsanierung endlich beginnt. Wird das Haus eines der Künste bleiben oder in der Versenkung verschwinden? Gebrodelt hat es unter der Oberfläche und auf derselben nun genug. Es wird Zeit, dass der Kern zutage tritt.

The Big Sleep , 4. Biennale der Künstler des Künstlerverbunds im Haus der Kunst München, Gastland USA, Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, bis 8. September, tägl. 10-20 Uhr, Do 10-22 Uhr, Katalogpräsentation: Samstag, 7. Sept., 18 Uhr

© SZ vom 19.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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