Ein Präsidentenamt allein reicht für die Zeitenwende nicht aus. Um die Ukraine umzukrempeln braucht Wolodimir Selenskij auch eine kraftvolle Machtbasis im Parlament. Die sollte ihm die Wahl nun verschafft haben. Das Land steht vor aufregenden Monaten, denn die Oberste Rada dürfte künftig zu einem großen Teil gefüllt sein mit unbedarften und vor allem unerfahrenen Abgeordneten. Die Sehnsucht nach jungen Gesichtern ist enorm; sie ist Sinnbild für den Wunsch, die alte, zum Teil autoritäre politische Elite auszutauschen und Platz zu schaffen für konsequenten Reformwillen.
In der Wechselstimmung spiegeln sich vor allem enttäuschte Hoffnungen jener Ukrainer, die sich nach dem Maidan einen spürbar besseren Lebensstandard erhofften. Sie zeigt auch, wie lebhaft die Demokratie in der Ukraine doch geworden ist, dass es einen Wettbewerb politischer Parteien gibt, selbst wenn deren Programme locker auf ein Blatt Papier passen.
Bei allem Erfolg für das Selenskij-Lager birgt die Abstimmung ein Risiko: Derart hoch sind die Erwartungen, dass neuerliche Enttäuschungen kaum ausbleiben werden. Frieden in der Ostukraine ist ohne Moskau nicht zu machen, der Kampf gegen Korruption wird Jahre dauern, nicht Monate. Und für erheblich mehr Wohlstand braucht es vor allem auch mehr Geduld.