Klassik:Dramatischer Kraftakt

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Pianist Alexej Novikov im Gemeindehaus Pöcking

Von Reinhard Palmer, Pöcking

Der Saal im evangelischen Gemeindehaus Pöcking ist akustisch gesehen nicht gerade eine Perle, das gilt auch für den Klang des Flügels. Zumindest, solange der Pianist Alexej Novikov auf Substanzfülle und Kraft setzte. Was er allerdings fast durchgehend tat.

Es lag schon mit am Programm, das nicht gerade ein zurückhaltendes, auch kein zartes Spiel erlaubte. Mozart, Beethoven, Prokofjew, in der Zugabe Rachmaninow: alles Schwergewichte, die es verstanden, große Wirkung zu erzeugen, insbesondere am Flügel. Mozart nicht generell, aber seine beiden c-Moll-Werke, die Fantasie KV 475 und die Sonate KV 457, die Mozart nachweislich als zusammenhängend ansah, bestechen mit ungewöhnlicher Dramatik und kommen Beethovens Pathos schon sehr nah.

In der Fantasie unterstrich Novikov Letzteres mit mäßigen Tempi, was bisweilen spannungsgeladene Intensivierungen geradezu monumental erscheinen ließ. Umso virtuoser brach der sechste, mit rasanten Zweiunddreißigsteln formulierte thematische Abschnitt hervor. Sanglichkeit blieb bei Novikov füllig, verzichtete auf berührende Zartheit, was durchaus dem improvisatorischen Impetus entgegenkam. In der Sonate nahm Novikov das rechte Pedal deutlich sparsamer zur Hilfe, was angemessene Transparenz mit sich brachte. So konnten auch schnelle Passagen pianistisch perlen, virtuos wirbelnde Momente verkamen nicht zu Brei.

Die vorwärts drängende Synkopierung und das expressive Hell-Dunkel des Schlusssatzes bereiteten bereits den Boden für Beethoven und das straffere Tempo der Sonate op. 10. Die dramatische Einleitung und die sogleich folgende lyrische Antwort steckten die Extreme im Ausdrucksspektrum dieser kraftvollen Sonate sogleich ab. Die Steigerung im Kontrastspiel ging leider mit einer gewissen Härte einher, die später in Prokofjews Sonate op. 83 schon recht unangenehme Züge annehmen sollte.

Andererseits gilt natürlich: Die Auslegung von Prokofjews Sonate lässt derart gewaltsames Hämmern zu. Novikov versöhnte dafür im zweiten Satz mit betörender Romantik.

Auch wenn sich der in Pöcking lebende ukrainische Pianist durchweg in den fülligen Registern bewegte, fehlte es nicht an Differenzierung. Wobei Novikov auch stets die spezifische Charakteristik des jeweiligen Komponisten sicher traf. So etwa in Prokofjews melancholisch zurückgenommenen Passagen des Kopfsatzes, die Novikov als versponnenes Sinnieren interpretierte. Schlüssig war auch seine Dramaturgie, vor allem im Aufbau der großen Höhepunkte, jeweils mit weiten, behutsamen Steigerungen herbeigeführt.

Der Applaus im vollen Gemeindesaal verdiente eine Zugabe, in der sich Novikov keineswegs zurückzunehmen gedachte: In Rachmaninows Moment musicaux op.16/4 konnte er nun definitiv die Zügel loslassen und ein wuchtig-fulminantes Finale hinlegen.

© SZ vom 22.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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