Schwimm-WM:Das Rennen ihres Lebens? "Ich hoffe nicht"

Schwimm-WM 2019

In geordneten Bahnen: Sarah Köhler ist im 1500-Meter-Freistil-Finale der Frauen unterwegs zur Silbermedaille.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)
  • Sarah Köhler holt bei der WM in Südkorea über 1500 Meter Freistil Silber.
  • Ihre 15:48,83 Minuten waren mehr als fünf Sekunden schneller als der bisherige deutsche 1500-Meter-Rekord. Den hatte sie erst am Montag im Vorlauf aufgestellt.
  • Ihre Silbermedaille könnte auch bei der Ursachenforschung zum schwachen Vorlauf von Florian Wellbrock über 800 Meter helfen: Beide sind mit ihrem Coach fast den gleichen trainingsmethodischen Weg gegangen sind.

Von Claudio Catuogno, Gwangju

Kürzlich wurden Sarah Köhler, 25, und Florian Wellbrock, 21, im Fernsehen getrennt voneinander befragt. Köhler und Wellbrock sind derzeit das sogenannte Traumpaar des deutschen Schwimmens, beide sind im Freiwasser und auf den langen Freistilstrecken daheim, und seit Köhler wegen Wellbrock von Heidelberg nach Magdeburg gewechselt ist, leben beide in derselben Stadt. Beide wundern sich manchmal, dass das ein Thema ist - sind nicht viele Menschen ein Paar? Aber so ist das eben, die beiden können sich das von Britta Steffen und Paul Biedermann erzählen lassen, dem früheren Traumpaar des deutschen Schwimmens: Medaillen sind interessant, noch mehr interessieren sich die Leute für die Liebe.

Hand aufs Herz, fragte man Köhler und Wellbrock - unabhängig voneinander - also beim Fernsehen: Wenn sie sich entscheiden müssten, wem würden sie eine WM-Medaille mehr gönnen? Dem jeweils anderen oder sich selbst?

Sarah Köhler sagte: Nun gut, sie wisse ja, wie hart der Florian arbeite, also wahrscheinlich eher ihm. Florian Wellbrock sagte: Doch, schon sich selbst.

Im Nachhinein haben sie darüber gelacht: "Ich bin bei solchen Antworten vielleicht ein bisschen diplomatischer", vermutete Köhler. Könnte daran liegen, dass sie Jura studiert. Und ja, bestätigte Wellbrock: Das war wohl "eher so ein Sarah-Florian-Ding: Sie gibt eher die diplomatische Antwort, und ich die ehrliche".

Doch am Ende schwimmt jeder für sich allein. Das haben die beiden am Dienstag bei der WM in Gwangju erfahren müssen. Da erlebte Sarah Köhler den bislang größten Triumph ihrer Karriere und Wellbrock die größte Enttäuschung. Und wie die beiden damit nun umgehen, das bleibt völlig mit Recht ihre Privatsache: "Zu Florian beantworte ich keine Fragen", sagte Köhler mit festem Blick und fester Stimme in den Katakomben der Schwimmhalle auf dem Gelände der Nambu Universität. Dann musste sie weiter. Zur Siegerehrung.

Zwei Athleten, zwei Freistilrennen: Auch unabhängig davon, dass Köhler und Wellbrock ein Paar sind, haben sie die beiden deutschen Geschichten des dritten Wettkampftages geschrieben.

Sarah Köhler gewann am Abend Silber über 1500 Meter Freistil, in 15:48,83 Minuten, hinter der Italienerin Simona Quadarella (15:40,89) und vor der Chinesin Wang Jianjiahe (15:51,00). Außerdem: in Abwesenheit der erkrankten Weltrekordhalterin und Seriensiegerin Katie Ledecky aus den USA, was Köhler aber sogar ein bisschen schade fand: "Dann wäre es Bronze geworden. Aber auf einem Podium mit Ledecky, das hätte auch was gehabt." Köhlers 15:48,83 Minuten waren mehr als fünf Sekunden schneller als der bisherige deutsche 1500-Meter-Rekord. Den hatte sie erst am Montag im Vorlauf aufgestellt.

War das nun das Rennen ihres Lebens, wurde Köhler in Gwangju gefragt. "Ich hoffe nicht", gab sie zur Antwort: "Ich hoffe schon, dass es nächstes Jahr noch ein bisschen schneller geht."

Dass es sich bei Florian Wellbrock um einen bemerkenswert ambitionierten und selbstbewussten jungen Mann handelt, das hatte man spätestens nach seinem EM-Titel 2018 in Glasgow mitbekommen, und in der vergangenen Woche erneut, als er im Hafenbecken von Yeosu Weltmeister über die 10-Kilometer-Freiwasser-Strecke wurde. Köhler hat allerdings keine geringeren Erwartungen an sich selbst, und sie scheut ebenfalls nicht davor zurück, diese zu formulieren. Bloß halt: diplomatischer.

"Heute lag er viel zu tief drin", analysiert Trainer Berkhahn: "Da kam kein Rutsch."

Wellbrock war am Dienstagmorgen im Vorlauf über 800 Meter dran gewesen. Er blieb dort in 7:53,75 Minuten zehn Sekunden über seiner Bestzeit aus dem April - und verpasste als 17. das Finale am Mittwoch, in dem er ursprünglich mit einer Medaille geliebäugelt hatte. Wortlos verschwand Wellbrock im Ausschwimmbecken, kein Wort zu den Medien. Stattdessen versuchte sich später sein Trainer Bernd Berkhahn an einer Erklärung.

Berkhahn ist keiner, der die Komplexität des Schwimmers auf knackige Parolen reduziert. Aber in dem Fall, sagt er, "war mir das auf der ersten Bahn klar. Normalerweise legt sich Florian aufs Wasser und dann gleitet er. Aber heute lag er viel zu tief drin. Da kam kein Rutsch". Aber wie kann das sein? Haben die 10 Kilometer zu viel Kraft gekostet? Oder ist Wellbrock doch nicht so ein harter Knochen wie er sich gerne darstellt? Prallen doch nicht all die Erwartungen an ihm ab, dass er jetzt bitte derjenige sein muss, der das darbende deutsche Schwimmen rettet? Eher letzteres, glaubt Berkhahn. Alle Leistungsparameter seien im Grunde gut, bloß "jetzt hat er grad das Gefühl, er kann nicht schwimmen". Weil Wellbrock das aber nachweislich kann, schwimmen, besteht zumindest die Hoffnung, das Problem bis zu seinem 1500-Meter-Start in den Griff zu kriegen.

Köhlers Silbermedaille - und da verschränken sich die beiden Einzelgeschichten jetzt wieder - hilft da durchaus. Nicht nur, weil Wellbrock sich am Abend auf der Tribüne mitfreuen konnte. Sondern auch bei der Ursachenforschung: weil beide mit Berkhahn fast den gleichen trainingsmethodischen Weg gegangen sind. Fünf Wochen lang waren sie in zwei verschiedenen Höhentrainingslagern, erst in der Sierra Nevada, dann auf geringerer Höhe in den Pyrenäen. "Das war methodisch außerordentlich erfolgreich", sagt Berkhahn. Sie haben danach bei allen, die dabei waren, eine Analyse gemacht, "um Hämoglobin und Blutvolumen zu messen, das waren enorme Entwicklungen. Daraus resultieren auch die Erfolge im Freiwasser". Köhler hatte in Yeosu ebenfalls eine Goldmedaille gewonnen: in der Mixed-Staffel.

Und nun war es also wiederum an Berkhahn, der in Gwangju auch der Teamchef der deutschen Schwimmer ist, Köhler auf ihr Rennen am Abend einzustimmen - ohne dass sie die gleiche unerklärliche Blockade befällt wie ihren Freund. Besonders schwierig war das offenbar nicht. "Jeder ist seines Glückes Schmied", das hat sich Sarah Köhler auf den Arm tätowieren lassen. Florian Wellbrock ist auch in der Hinsicht weniger diplomatisch. Bei ihm steht auf der Brust: "Genieß dein Leben ständig, du bist länger tot als lebendig."

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