Münchner Filmkunstwochen:Sein oder Nichtsein

ORSON WELLES OTHELLO Othello ORSON WELLES stolzer Heerführer im Dienst der Republik Venedig wird

Eine Paraderolle: Orson Welles als stolzer Heerführer Othello in dem gleichnamigen Film, in dem er selbst auch noch Regie führte.

(Foto: imago images/United Archives)

Mit der Reihe "Shakespeare im Kino" erfüllt sich Thomas Kuchenreuther einen lang gehegten Traum

Von Fritz Göttler

Hamlet goes Tombstone ... Da hat ein reisender Akteur, den es in die berüchtigte Grenzstadt von Arizona verschlug, in einer Schenke einen Tisch erklommen und fängt an, einen Dolch in der Hand, den "To be or not to be"-Monolog zu deklamieren. Im Publikum sind viele Mexikaner und auch ein paar der fiesen Brüder Clanton. Die können mit der Kunstdarbietung nicht unbedingt was anfangen und fangen an zu pöbeln. Ein weiterer Zuhörer weist sie scharf zurecht, verlangt Ruhe, der schwindsüchtige Doc Holliday, verkörpert von Victor Mature, der ebenso grob wie sentimental sein kann. Als der Akteur - der sich vor dem Monolog mit einem kräftigen Schluck aus der Flasche gestärkt hatte - nicht mehr weiter weiß im Text, bittet er Holliday zu übernehmen. Der tut das - "to sleep, to die" -, wird aber durch einen heftigen Hustenanfall erschüttert.

Ein hamletianischer Doc Holliday, das ist einer der melancholischen, unergründlichen Momente in dem Western "My Darling Clementine", von John Ford. Und einer der schönsten Momente, in dem klar wird, wie tief Shakespeare in der angelsächsischen Kultur verwurzelt ist oder wie tief diese Kultur in Shakespeare verwurzelt ist. Thomas Kuchenreuther, der als Teil der diesjährigen Münchner Filmkunstwochen in seinem Kino ABC die Reihe "Shakespeare im Kino" zusammenstellte, hat als Jugendlicher die großen Shakespeare-Inszenierungen im Resi oder in den Kammerspielen gesehen, große Kunst, aber dann hat er, in einer Westernretrospektive in Oberhausen, "My Darling Clementine" gesehen, und von diesem Moment an hatte die Trennung zwischen den Genres, zwischen der sogenannten hohen und der populären Kunst keine Bedeutung mehr für ihn. Er hat in seinen Kinos alles gezeigt, Hitchcock und Piratenfilme, Jerry Lewis und Ingmar Bergman. Die Schwabinger Nachtprogramme waren, neben Filmmuseum und Theatiner, Zentren der Lehrjahre für junge Filmfans, Orte des Staunens und der Verzauberung. Nun, da er seine Münchner-Freiheit-Kinos aufgeben muss, erfüllt Kuchenreuther sich mit diesem Programm einen lang gehegten Traum. Seine Passion fürs Kino bleibt bestehen.

Natürlich wird in dem Programm die Passion einiger großen Filmemacher dokumentiert, die nicht satt werden konnten mit Shakespeare. An der Spitze Orson Welles, der im Geist des Barden wirkte und arbeitete. Zwei seiner Shakespeare-Filme sind im Programm zu sehen, "Chimes at Midnight/Falstaff", 1965, und "Othello", 1952. Welles hat, um sein Geld zu verdienen, sich oft in langweiligen Großproduktionen als Schauspieler verdingt, sich abends aber nach Drehschluss eine Kamera geschnappt und mit Freunden ein paar Shakespeare-Szenen gefilmt - für Filme, die geplant waren, aber nie fertig wurden. Der "Othello" ist solch ein Stückwerk, das im Laufe vieler Monate entstand, inspiriertes Stückwerk, wo jede Szene aufs neue den Shakespeare'schen Funken entfacht. Klassisch konzentriert wirkte dagegen der andere Shakespeare-Mann des Kinos, Laurence Olivier, der sich als Hamlet und als Richard III inszeniert. Von und mit Kenneth Branagh, der sich als Erbe Oliviers versucht, gibt es Henry V und "Viel Lärm um nichts". Die ganz andere Shakespeare-Urgewalt kommt aus Japan, aus Japan, Akira Kurosawa. In den Fünfzigerjahren jagte er seinen Star Toshiro Mifune quer durch den undurchdringlichen Spinnwebwald, in "Kumonosu-jō", der sich den hemmungslosen Machtfantasien von Macbeth widmet und diese in einem wüsten Pfeilregen enden lässt. Viele Jahre lang musste Kurosawa kämpfen, um seine gewaltige Produktion "Ran" zu stemmen, die Tragödie von König Lear, das Stakkato der Heerscharen im schwarzen Staub des Fujiyama. Die Zerstörungskräfte, die Selbstzerstörungskräfte des Menschen.

Die Inspiration für die Reihe kam von der Autorin und Filmemacherin Nora Ephron, die mal von "Shakespeare im Park" erzählte, Aufführungen im New Yorker Central Park. Sogar im eher fremden Science-Fiction-Genre kann man Prospero aus Shakespeares "Sturm" aufspüren, in dem Film "The Forbidden Planet", ("Alarm im Weltall") aus dem Jahr 1956. Walter Pidgeon ist dieser Prospero, der seine Tochter Anne Francis zu behüten versucht vor dunklen Mächten, der Roboter Robby, einer der ersten Kinoroboter, ist der Luftgeist Ariel. Shakespeare kann sogar Outer Space.

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