Notfallversorgung:"Wenn ein Patient verletzt ist, geht er halt ins Krankenhaus"

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Notaufnahme am Uniklinikum Mainz: Ein Patient wird durch Sanitäter direkt in die Notaufnahme gebracht. (Foto: picture alliance/dpa)

Das Gesundheitsministerium hat einen Entwurf zur Reform der Notfallversorgung vorgelegt. Der Münchner Arzt Christoph Dodt begrüßt das.

Interview von Rainer Stadler

SZ: Das Gesundheitsministerium hat einen Entwurf zur Reform der Notfallversorgung vorgelegt. Wird nun alles besser in der Notaufnahme?

Christoph Dodt: Ich erlebe täglich, dass sich viel ändern muss, der Vorschlag war insofern überfällig. Sehr gut finde ich, dass man das Wirrwarr in der Notfallversorgung entflechten und einen klaren Anlaufpunkt für die Notfallpatienten schaffen will. Die Patienten müssen nicht mehr hin und her irren zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, sondern haben eine Anlaufstelle. Ebenso hilfreich ist die geplante bessere Patientensteuerung. Dass also Patienten, die den Notruf wählen, tatsächlich die richtige Versorgungseinheit finden. Gerade solche Patienten, die sich selbst nicht als akuten Notfall definieren, der sofort einen Arzt braucht.

Ist nicht das größte Problem von Notaufnahmen, dass dort viele Menschen mit Kleinigkeiten wie Halsweh herumsitzen?

Das wird oft behauptet: Die Leute seien zu doof, um die richtige Anlaufstelle zu finden. Entspricht nicht meiner Erfahrung. Wir haben in München eine große Erhebung gemacht und uns ein Jahr lang alle Patienten angeschaut, die in die Notaufnahme kamen. Es zeigte sich, dass die Patienten tagsüber vor allem mittags die Krankenhäuser aufsuchten - wenn die meisten Arztpraxen Pause machen. 70 Prozent der ambulanten Patienten hatten Verletzungen. Wenn ein Patient verletzt ist, geht er halt ins Krankenhaus. In den wenigsten Praxen werden Wunden versorgt und genäht. Auch wenn Patienten umgeknickt sind und denken, da könnte was gebrochen sein, gehen sie eher ins Krankenhaus. Der niedergelassene Chirurg mag schneller zu erreichen sein, aber kann er auch ein Röntgenbild machen? Es gibt also gute Gründe, zu uns zu kommen, auch wenn man nicht schwer krank ist. Wichtig ist, dass diese Patienten in einer neuen Struktur ohne lange Wartezeit und großen Aufwand versorgt werden und dafür qualifiziertes Personal zur Verfügung steht.

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Der Gesundheitsminister plant eine Entlastung der Notaufnahmen. Patienten sollen vorab erfahren, wo ihnen am besten geholfen werden kann. Dafür sollen zwei Telefonnummern zusammengelegt werden.

Das heißt, Sie erwarten sich für Ihre Notaufnahme gar nicht so viel Entlastung ?

Die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt, dass die bessere Patientensteuerung vor der Notaufnahme eine Entlastung von zehn bis 15 Prozent weniger Patienten bedeuten kann. Für ebenso wichtig halte ich die gemeinsame Struktur, die durch das Zusammenlegen der Krankenhäuser und der Bereitschaftspraxen der Kassenärztlichen Vereinigungen entsteht: das integrierte Notfallzentrum. Dort werden die Patienten umgehend von qualifiziertem Personal eingestuft: als Niedrigrisikopatient, also wahrscheinlich ambulant zu behandeln, auch von einem weniger spezialisierten Arzt. Oder als Hochrisikopatient, der wahrscheinlich stationär aufgenommen werden muss und einen Notfallmediziner braucht sowie die Fachabteilungen des Krankenhauses.

Christof Dodt leitet die Notaufnahme des Krankenhauses München-Bogenhausen, wo täglich gut 100 Patienten verarztet werden. Dodt ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Notfall- und Akutmedizin. (Foto: Robert Haas)

Sehen Sie auch Probleme?

Es ist sicher ein langer Weg. Zum Beispiel muss geklärt werden, wer die Ersteinschätzung der Patienten vornimmt. Der Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium bleibt da unscharf: Die Krankenhäuser und die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen das gemeinschaftlich machen. Das könnte also bedeuten, dass in dem hochprofessionalisierten Notfallzentrum ein 50-jähriger psychotherapeutisch geprägter Naturheilkundler eine verantwortliche Stellung zugewiesen bekommt. So läuft es ja im Moment beim Notfalldienst der Kassenärztlichen Vereinigung: Jeder niedergelassene Arzt kann verpflichtet werden, Bereitschaftsdienst zu leisten. Wenn so ein Arzt nun die Ersteinschätzung der Patienten im integrierten Notfallzentrum übernimmt, wird er vermutlich Fehler machen. Patienten, die ins Krankenhaus kommen, haben ein anderes Risiko, ernsthaft krank zu sein, als die Klientel, die dieser Arzt sonst aus seiner Praxis kennt. Wir brauchen deshalb für die niedergelassenen Ärzte im integrierten Notfallzentrum klare Qualitätsvorgaben.

Das fordert auch die Deutsche Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin. Die niedergelassenen Ärzte sind darüber weniger begeistert.

Die niedergelassenen Kollegen klagen, unsere Anforderungen seien viel zu hoch. Dabei wissen wir ganz genau, dass 70 Prozent unserer ambulanten Patienten eine Verletzung haben und chirurgisch zu behandeln sind. Für diese Aufgabe erwarte ich natürlich eine allgemeinärztliche Qualifikation, die es erlaubt, kleine Wunden zu nähen. Grundsätzlich gilt: Die professionelle Notfallmedizin ist die Kernkompetenz des Krankenhauses, und nicht der Praxen. Deshalb müssen auch in den integrierten Notfallzentren die Notfallmediziner, die das schon jetzt tagtäglich machen, den Hut aufhaben. Aber das wird nicht reichen: In Schweden, Dänemark oder England gibt es in den Krankenhäusern so genannte emergency physicians. Sie beschäftigen sich insbesondere mit der zentralen Frage: Wie versorgen wir Patienten mit einer akuten Gesundheitsstörung - ambulant oder stationär? Solche Leute gibt es bei uns noch nicht. Wir werden sie aber brauchen, um die integrierten Notfallzentren zu betreiben - hochqualifizierte Notfallmediziner, die hohe Arbeitslast im Schichtdienst aushalten.

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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