Finanzpolitik:Die Unternehmen machen schon die Schotten dicht

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EZB-Chef Mario Draghi hört Ende Oktober auf. (Foto: REUTERS)

Wie schlecht es der Wirtschaft geht, weiß nicht einmal Mario Draghi. Die Prognosen werden düsterer - man kann nur hoffen und beten, dass die Märkte weise reagieren.

Kommentar von Marc Beise

Notenbanker, heißt es, seien die mächtigsten Männer (und manchmal Frauen) der Wirtschaft. Sie bestimmen mit ihren Leitzinsentscheidungen und anderen Maßnahmen den Preis des Geldes und damit den Lauf der Wirtschaft. Notenbanker sind auch die bestinformierten Akteure der Wirtschaft, weil in ihren riesigen Stäben so viele Informationen über die Märkte zusammenlaufen wie bei niemandem sonst. Wie aber kann es dann sein, dass sich der nach seinem US-Kollegen zweitwichtigste Notenbanker der Welt, EZB-Präsident Mario Draghi, so verhalten über die Konjunkturaussichten äußert wie jetzt am Donnerstag in Frankfurt?

Die noch vor Wochen erhoffte Erholung der Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte sei nun weniger wahrscheinlich, sagte Draghi. Dabei spiele die Bedrohung durch den Protektionismus eine Rolle. Hinzu komme die Möglichkeit eines harten Brexit. Immerhin: Das Risiko einer Rezession sei eher gering; Letzteres sehen andere Experten übrigens anders. Draghi wurde nicht konkreter, weil er es nicht besser weiß. Weil er es nicht besser wissen kann. Weil auch der Mann mit den meisten Informationen nicht sicher sein kann, wie sich die Märkte, dieses Gebilde aus vielen Millionen Akteuren, Unternehmen, Angestellten, Verbrauchern, Anlegern, Rentnern, verhalten werden.

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Das Dumme an jeder Prognose ist bekanntlich, dass sie die Zukunft betrifft, aber eines ist dann doch gewiss: Ausgangspunkt ist immer die aktuelle Lage. Und die ist nicht dazu angetan, Mut zu machen. Die deutsche Industrie hat ihre Talfahrt im Juli überraschend beschleunigt und könnte die gesamte Wirtschaft in einen Abschwung treiben. Die Geschäfte liefen so schlecht wie seit 2012 nicht mehr, der Jobabbau war ebenfalls so stark wie zuletzt vor sieben Jahren, so die monatliche Umfrage des Instituts IHS Markit.

Noch schlimmer: In den Chefetagen der deutschen Wirtschaft macht sich eine immer schlechtere Stimmung breit. Das wichtigste deutsche Konjunkturbarometer, der Ifo-Geschäftsindex, fällt von Monat zu Monat und ist im Juli um weitere 1,8 Punkte auf 95,7 Zähler gesackt, den niedrigsten Stand seit April 2013. In den wichtigen Industrie-Sektoren ist laut Ifo eine Rezession - also ein länger anhaltendes, spürbares Schrumpfen der Wirtschaft - bereits zu spüren. Auch der Dienstleistungssektor lasse sich von der schlechteren Stimmung anstecken. So viel zur Lage, aber auch die Aussichten beurteilen die Führungskräfte skeptisch. So rechnen die Autobauer für dieses Jahr mit einem Minus von einem Prozent im Neugeschäft. Die Maschinenbauer erwarten einen Produktionsrückgang von zwei Prozent. Ein Anstieg der Kurzarbeit steht bevor. Ganz klar: Die Unternehmen machen die Schotten dicht und stellen sich auf den Abschwung ein.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die EZB nicht, wie vielfach erwartet, bereits jetzt weitere Maßnahmen beschlossen hat, sondern eine Pause auf ihrem Weg ins immer billigere Geld einlegt. Aber sie hat bereits das Signal gegeben, die Geldpolitik weiter zu lockern. Wer das ein dosiertes Vorgehen nennt, souverän und gelassen, hat viel Hoffnung, dass sich in der Realwirtschaft über den Sommer noch etwas dreht. Wahrscheinlicher ist, dass die EZB, wie es ein anderer Experte formuliert, jetzt die Zündschnur für ein geldpolitisches Feuerwerk im September gelegt hat.

Die EZB ist hochriskante Wetten eingegangen

Im weiterhin hoch verschuldeten Südeuropa mag man diese Strategie begrüßen. In Deutschland, wo Millionen Sparer den Banken ihr Geld für die Zukunft anvertraut haben, auf dass es sich mehren möge, sind es verheerende Aussichten. Jede Hoffnung, dass die Zinsen bald steigen, dass Geld wieder mehr wert sein wird und seine Steuerungsfunktion in der Volkswirtschaft wieder übernehmen kann, sind damit beerdigt. Weil aber niemand die Zukunft kennt, nicht einmal ein Notenbanker, muss es zur großen Krise nicht kommen - zumal niemand weiß, wie sehr das durch den US-Präsidenten Trump und nun durch den neuen britischen Premier Johnson heraufbeschworene politische Chaos wirklich auf die Weltwirtschaft durchschlagen wird. Aber es ist schon so: Die EZB ist in ihrem Bemühen, die so unterschiedlich starken Teile der Euro-Zone zusammenzuhalten, hochriskante Wetten eingegangen. Das Kalkül des Präsidenten Draghi, die Politik würde die Zeit für Reformen nutzen, welche die Wirtschaft stärken, war vergeblich. Nun kann man nur noch hoffen, dass der Markt der vielen Millionen am Ende weiser reagiert als die Menschen an der Spitze der Institutionen.

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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