Umweltschutz:Warum der Kapitalismus nicht schuld ist am Klimawandel

Klima-Demonstration Fridays for Future

"System Change - No Climate Change": Teilnehmer der Klima-Demonstration "Fridays for Future" in Hamburg.

(Foto: dpa)

Es ist populär geworden, die Klimakrise dem Wirtschaftssystem anzulasten. Dem gilt es entgegenzutreten - genau wie der Trivialisierung des Themas.

Kolumne von Nikolaus Piper

Bei Demonstrationen von "Fridays for Future" sieht man häufig Pappen, auf die jemand mit Filzstift geschrieben hat: "Change the System, not the Climate". In Aachen zogen fröhliche junge Leute durch die Straßen, die ein Banner mit der Aufschrift "Burn Capitalism, not Coal" vor sich hertrugen. Man fragt sich, wie die das genau meinen mit dem brennenden Kapitalismus und was dann an dessen Stelle treten soll, wenn er einmal verbrannt ist. Auf jeden Fall zeigen die einfachen Parolen der streikenden Schüler, wie sehr der antikapitalistische Zeitgeist die junge Generation erfasst hat.

Wenn sehr viele Menschen glauben, die Klimakrise sei ein Produkt des Kapitalismus, lohnt ein Rückblick auf die Debatte über die Grenzen des Wachstums, die 1972 mit dem berühmten "Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit" begann. Was heute schwer vorstellbar ist: Der Bericht wurde unter den Antikapitalisten der damaligen Zeit nicht besonders freundlich aufgenommen. In der "Einführung in die politische Ökonomie des Kapitalismus", herausgegeben von der Parteihochschule "Karl Marx" beim ZK der SED, hieß es zum Beispiel 1973, Wachstumskritik sei eine "reaktionäre, fortschrittsfeindliche Haltung" und "Ausdruck der tiefen Krise imperialistischer Politik und Ideologie": "Weil die wirtschaftspolitischen Ziele nie erreicht wurden, und die Entwicklung der Wirtschaft in den sozialistischen Ländern bedeutend schneller vor sich geht als im Kapitalismus, werden nun das geringe Tempo oder die Stagnation als eigentlich erwünschte Ziele ausgegeben." Systemkritik führt eben manchmal zu grotesken Ergebnissen. Heute würde nicht einmal die DKP so argumentieren.

Als die Wachstumsdebatte in den 1970ern begann, wusste die breite Öffentlichkeit noch nichts vom Klimawandel; der Club of Rome beschäftigte sich mit Ressourcenverzehr, Überbevölkerung und Umweltverschmutzung in einem sehr breiten Sinne. Trotzdem kann man heute, da CO₂ das alles überragende Thema geworden ist, viel aus der damaligen Zeit lernen. Vor allem hilft dies, der Trivialisierung des Themas entgegenzutreten.

So wäre bei dieser Gelegenheit an Nicholas Georgescu-Roegen (1906-1994) zu erinnern. Der rumänisch-amerikanische Ökonom und Mathematiker ist einer der großen Unbekannten der Zunft. Das mag daher rühren, dass Georgescu-Roegen die Grenzen des Wachstums besonders radikal gedacht hat, so dass man im politischen Meinungskampf wenig mit ihm anfangen konnte. Von ihm stammt der düstere Satz: "Wenn wir über Details hinwegsehen, können wir sagen, dass jedes heute geborene Baby ein menschliches Leben weniger in der Zukunft bedeutet. Aber auch jeder Cadillac, der irgendwann einmal produziert wird, bedeutet weniger Leben in der Zukunft." Georgescu-Roegen wollte auf diese drastische Weise vor dem Ressourcenverbrauch warnen.

Studiert hatte er Mathematik in Bukarest und Ökonomie in Harvard, wo er von Joseph Schumpeter beeinflusst wurde. Nach dem Sturz des mit Hitler verbündeten Diktators Ion Antonescu 1944 in Bukarest leitete er die rumänische Waffenstillstandskommission; 1949 floh er vor der kommunistischen Diktatur in die Vereinigten Staaten und lehrte danach an der Vanderbilt University in Nashville.

Georgescu-Roegen schrieb seine wichtigsten Werke zu Beginn der 1970er-Jahre. Sein Lebensthema war die Erforschung der ökonomischen Konsequenzen zweier zentraler physikalischer Gesetze, des ersten und des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. Nach dem ersten Hauptsatz kann Energie weder geschaffen, noch zerstört werden. Nach dem zweiten Satz verschwindet Energie zwar nicht, wenn man sie einsetzt, zum Beispiel um eine Wohnung zu heizen, sie wird aber zerstreut und nutzlos - zu Umweltverschmutzung. Oder, in der Sprache der Physik: Die "Entropie" (ein Maß für die Unordnung) nimmt zu.

Es ist an der Zeit, sich den Problemen schonungslos zu stellen

Das sind eherne Gesetze, aber eigentlich hätte die Menschheit, folgt man dem Ökonomen, mit ihnen keine Probleme, denn sie lebt in einem offenen System: Von der Sonne strömt ein ständiger Strom nutzbarer Energie auf die Erde, der nach menschlichen Dimensionen unerschöpflich ist. Das Problem ist, dass es die Menschen gelernt haben, die von der Sonnenenergie gesetzten Grenzen zu überschreiten, und zwar dadurch, dass sie die seit Jahrmillionen in der Erdkruste gespeicherte Sonnenenergie - Kohle, Erdöl, Erdgas - für sich nutzen. Sie sind zu zahlreich und - wenigstens ein großer Teil von ihnen - zu reich geworden, sodass sie von den Reserven zehren müssen. Dabei wird die Atmosphäre durch CO₂ belastet, die Ursache für den Klimawandel, wie man heute weiß.

Der Ökonom glaubte nicht, dass man das Problem so einfach über den Markt lösen kann, denn ein wesentlicher Teil der notwendigen Teilnehmer dieses Marktes, die künftigen Generationen, ist noch nicht geboren oder zumindest noch nicht geschäftstüchtig. Ohne Markt geht es aber auch nicht, wie die Umweltzerstörung in den sozialistischen Länder gezeigt hat. Georgescu-Roegen selbst wollte der Welt ein "bioökonomisches Minimalprogramm" verordnen, zu dem unter anderem gehörte, die Zahl der Menschen auf der Erde so zu begrenzen, dass sie von biologischem Landbau ernährt werden kann. Tatsächlich hat sich die Erdbevölkerung seit dem Erscheinen von Georgescu-Roegens Hauptwerk "The Entropy Law and the Economic Process" 1975 fast verdoppelt. Wer sollte so ein Programm auch durchsetzen? Ein Weltdiktator? Vielleicht sind es solche rigorosen Ratschläge, die den brillanten Ökonomen um einen Teil seiner Wirkung gebracht haben. Umso wichtiger ist es, sich den Problemen so schonungslos zu stellen, wie er das getan hat.

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