Psychische Probleme:Das Tabu bricht

Psychische Probleme: Im vergangenen Jahr fehlten Arbeitnehmer wegen psychischer Probleme im Schnitt zweieinhalb Tage.

Im vergangenen Jahr fehlten Arbeitnehmer wegen psychischer Probleme im Schnitt zweieinhalb Tage.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Deutsche Arbeitnehmer bleiben häufiger mit Depressionen zuhause. Wer psychisch erkrankt ist, muss sich nicht mehr hinter der vermeintlich wohlklingenderen Managerkrankheit Burn-out verstecken.

Um die Jahrtausendwende ließen sich viele Menschen krankschreiben, weil etwas mit ihrem Kreislauf nicht stimmte oder weil sie sich eine Magen-Darm-Grippe eingefangen hatten. Wegen eines Burn-out oder gar einer Depression blieben die wenigsten zu Hause. Weil es allen seelisch blendend ging? Wohl kaum. Der "Psychoreport 2019", den die Krankenkasse DAK-Gesundheit am Donnerstag veröffentlicht hat, legt nahe, dass psychische Krankheiten in Deutschland immer weniger zum Tabu werden.

Für den Report hat die Krankenkasse die Fehltage ihrer Versicherten in den vergangenen 20 Jahren ausgewertet. Blickt man allein auf die Zahlen, scheinen deutlich mehr Menschen unter einer psychischen Krankheit zu leiden als vor zwei Jahrzehnten. Im vergangenen Jahr fehlten Arbeitnehmer wegen psychischer Probleme im Durchschnitt 2,5 Tage im Job. Im Jahr 1997 waren es nur rund 0,7 Tage gewesen. Im Jahr 2017 erreichten die Krankschreibungen wegen psychischer Leiden sogar einen zwischenzeitlichen Höchststand.

Die Zahlen bedeuten aber nicht zwingend, dass es den Menschen heute psychisch schlechter geht als Ende der Neunzigerjahre. "Vor allem beim Arzt-Patienten-Gespräch sind psychische Probleme heutzutage kein Tabu mehr", sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm. Deshalb werde auch bei Krankschreibungen offener damit umgegangen. Über den Gesamtzeitraum der DAK-Untersuchung hinweg fehlten Arbeitnehmer am häufigsten wegen der Diagnose Depression. Dahinter folgen sogenannte Anpassungsstörungen. Darunter versteht man eine krankhafte Reaktion auf ein belastendes Ereignis: Das kann der Tod eines Angehörigen sein, aber auch eine schwierige Situation im Job. Danach kommen neurotische Störungen und Angststörungen.

Obwohl zuletzt wieder etwas mehr Menschen wegen des Burn-out-Syndroms krankgeschrieben wurden, diagnostizieren Ärzte die Krankheit längst nicht mehr so häufig wie vor einigen Jahren. Bei der DAK erklärt man sich das auch damit, dass es heute kein Tabu mehr ist, eine Depression auch als solche zu bezeichnen. Wer psychisch erkrankt ist, muss sich nicht mehr hinter der vermeintlich wohlklingenderen Managerkrankheit Burn-out verstecken.

Manche bezweifeln jedoch, dass es nur auf die Enttabuisierung zurückzuführen ist, wenn heute mehr Menschen wegen Depressionen und anderen psychischen Leiden zu Hause bleiben. Viele Beschäftigte könnten "ein trauriges Lied davon singen", dass der Berufsalltag stressiger geworden sei, sagt Jutta Krellmann, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Sie fordert eine Anti-Stress-Verordnung und entsprechende Arbeitsschutzkontrollen in den Unternehmen. Eine solche Verordnung fordert auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte: "Der Gesetzgeber muss endlich handeln und darf nicht weiter tatenlos zuzusehen, wie Millionen Beschäftigte durch schlechte Arbeitsbedingungen einem Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind." Eine Umfrage im Auftrag der Versicherung Swiss Life hatte kürzlich ergeben, dass sich fast zwei Drittel der arbeitenden Bevölkerung im Job gestresst fühlen. Das spricht dafür, dass die Ergebnisse des DAK-Reports nicht ausschließlich eine gute Nachricht sind.

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