"Es gilt das gesprochene Wort" im Kino:Lieben lernen

"Es gilt das gesprochene Wort" im Kino

Scheineheschließung in der tristen Atmosphäre einer deutschen Amtsstube: Ogulcan Arman Uslu und Anne Ratte-Polle.

(Foto: X Verleih)

Eine tragikomische Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei: Regisseur İlker Çatak erzählt in "Es gilt das gesprochene Wort" von einer Scheinehe.

Von Annett Scheffel

Am Anfang stehen sie nebeneinander in einem dieser nüchternen deutschen Behördenzimmer. Sie im Businesskostüm, er hat sich vom Dolmetscher noch schnell ein Jackett geliehen, das ihm überhaupt nicht passt.

Eheschließung in einem Hamburger Standesamt. Eine unangenehm routinemäßige Prozedur mit dem Spannungsbogen eines Geschäftstermins. Und irgendwie ist es das ja auch: ein Vertragsabschluss, ohne Gefühle. Am Ende sagt die Standesbeamtin: "Es gilt das gesprochene Wort, und üblicherweise erfolgt jetzt eine entsprechende zwischenmenschliche Geste." Die fällt zunächst etwas dürftig aus für einen Liebesfilm.

Denn ein Liebesfilm - man muss das vielleicht vorwegschicken - ist İlker Çataks zweiter Spielfilm tatsächlich. Viel mehr als ein interkulturelles Drama über eine Scheinehe. Der Regisseur lässt ihn aber erst nach dem Jawort beginnen: In drei Kapiteln (betitelt wie in einem Sprachkurs: 1. Ich war, 2. Ich bin, 3. Ich werde sein) erzählt er die Geschichte von Marion und Baran. Wie sie sich begegnet sind. Und wie sie nun versuchen, in diesem neuen Leben ihren Weg zu suchen. Jeder für sich und beide zusammen.

Alles beginnt am Strand von Marmaris und mit zwei Menschen aus unterschiedlichen Welten. Da ist Baran, der junge Kurde, der nur wegwill aus der türkischen Strand-Kaschemme, in der er sich als Kellner und Gelegenheits-Gigolo über Wasser hält. Und da ist die toughe deutsche Pilotin Marion. Anfang vierzig, beruflich erfolgreich, unabhängig. Alle Emotionen scheinen an ihr abzuperlen, so unerschütterlich bewegt sie sich durch ihre Welt zwischen Cockpit, Jogging-Einheiten und der Beziehung mit Raphael, einem Berufsmusiker mit Familie.

Beide sind sie Routiniers auf ihrem Gebiet. Marion darin, sich mit Sarkasmus jede menschliche Annäherung vom Hals zu schaffen. Baran darin, Touristinnen zu umwerben. Auch er hat sich hochgearbeitet. Am Anfang lässt ihn der Barbesitzer beim Einstellungsgespräch vortanzen, ohne Musik, und obwohl es nur um einen Job als Tellerwäscher geht. Und Baran tanzt, Baran braucht das Geld.

Nach und nach tun sich feine Risse auf

In dieser Szene steckt schon die ganze Demütigung, die noch folgen soll: eine Existenz als Befriedigungsdienstleister für geile, volltrunkene Frauen aus dem Westen. Kurz hallt hier Ulrich Seidls Dokumentarfilm "Paradies: Liebe" als Stimmung durch den Film, auch weil İlker Çatak so knapp, präzise und ohne überflüssige Dialoge von diesen Begegnungen erzählt.

In Gang kommt die Geschichte nach einem Arztbesuch, Brustkrebs-Diagnose und Marions pragmatische Reaktion: "Okay, wann ist die OP?" Zur Ablenkung fliegt sie in die Türkei, wo sie Baran kennenlernt und nach anfänglicher, amüsierter Skepsis tatsächlich zustimmt, ihm durch Heirat in Deutschland einen Neustart zu ermöglichen. Sie besorgt ihm eine Wohnung und einen Job am Flughafen.

Und es beginnt eine Scheinehe, in der sich nach und nach feine Risse auftun, und in der bald alle Gewissheiten der Frischverheirateten bröckeln. Das ist die Stärke von Çataks Film, der das Drehbuch wie schon bei seinem ersten Film "Es war einmal Indianerland" zusammen mit Autor Nils Mohl geschrieben hat: Es kommt alles anders als in den klischeehaften Vorstellungen einer solchen Konstellation.

Komplexe Hauptfiguren, mitunter undurchschaubar

Marion - von Anne Ratte-Polle dargestellt mit einem stets fein austarierten Gleichgewicht aus rauer Schale und immer durchblitzender Verletzlichkeit - ist nicht die naive Frau, die sich von falschen Versprechungen einwickeln lässt; und Baran nicht der abgezockte Südländer. Oğulcan Arman Uslu spielt ihn vielmehr als einen Suchenden, der mit sehnsüchtigen Blicken in seine Zukunft schaut, der sanft ist und freundlich und sich wirklich ins Zeug legen will in seinem neuen Leben im fahlen, grauen Hamburg.

Ohnehin sind die Hauptfiguren erstaunlich komplex, mitunter undurchschaubar. Und Çatak versucht, so wenig wie möglich zu erklären: Warum Marion sich auf die Scheinehe einlässt zum Beispiel. Weil Baran ihr leidtut oder weil er Eindruck auf sie macht mit seiner Zielgerichtetheit? Weil sie nach ihrer Brustentfernung ihre Weiblichkeit in einer Ehe ohne Sex zu kompensieren hofft? Weil sie nichts zu verlieren hat? Man erfährt es nicht. Und muss das Spannungsfeld aushalten, das Çatak aus den widersprüchlichen Gefühlen aufbaut, und aus den kurzen, prägnanten Dialogen seine eigenen Schlüsse ziehen.

Bemerkenswert ist dabei aber vor allem, dass die gesellschaftlichen Reibungen, die sich nach Barans Ankunft in Hamburg zwangsläufig ergeben, in "Es gilt das gesprochene Wort" eher als narrative Untertöne vorkommen. Çatak geht es nicht darum, in seinem Film Thesen zur Einwanderungsgesellschaft und Integration unterzubringen. Wovon er erzählen will, ist die menschliche Distanz - und das Wagnis, sie aufzugeben. Ganz gegen individuelle und kollektive Vorurteile, gegen die antrainierte emotionale Schutzschicht, gegen jede Vernunft.

Am Ende ist İlker Çataks Film selbst ein Wagnis. Ein Film über zwei Liebende, der von tragischen und romantischen Momenten erzählt, aber ohne Sentimentalitäten auskommt - und ohne Ironie.

Es gilt das gesprochene Wort, Deutschland/Frankreich 2019 - Regie: İlker Çatak. Buch: İlker Çatak, Nils Mohl. Kamera: Florian Mag. Schnitt: Jan Ruschke, Sascha Gerlach. Mit: Anne Ratte-Polle, Oğulcan Arman Uslu, Godehard Giese. X Verleih, 122 Minuten.

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