Kunst:Die wichtigste Ausstellung zum Herbst '89

Kunst: Ostdeutsche Kunst fand nicht 1989 ihr Ende: Moritz Götzes "Paar am Strand" von 2010.

Ostdeutsche Kunst fand nicht 1989 ihr Ende: Moritz Götzes "Paar am Strand" von 2010.

(Foto: Moritz Götze/VG Bild Kunst Bonn, 2019)

Die Leipziger Schau "Point of No Return" zeigt ostdeutsche Kunst vor und nach dem 9. November 1989 - und reißt damit eine Mauer ein.

Von Peter Richter

Der Film zum Thema Sommer 1989 lief schon diesen Winter, als Andreas Goldsteins Adaption von Ingo Schultzes Roman "Adam und Evelyn" noch einmal die politische Windstille jenes August vor dreißig Jahren vor Augen geholt hat. Da ist es nur folgerichtig, wenn die entscheidende Ausstellung zu 30 Jahren Herbst 1989 auch bereits jetzt im Sommer zu sehen ist. Und zwar im Museum der bildenden Künste in Leipzig. Wo sonst?

"Point of No Return - Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst" dürfte eine der größten Ausstellung sein, die es seit der Vereinigung überhaupt zur Kunst aus jener Region gab, die man vorher DDR und danach die neuen Bundesländer genannt hat. Und dass der Titel den üblichen Begriff der Wende distanziert kursiv setzt, hat damit zu tun, dass der ursprünglich von der SED stammte und den Versuch beschreiben sollte, das Ruder noch einmal herumzureißen, bevor das plötzlich in Bewegung geratene Gewässer endgültig über den Abhang geht. Dass er neben dem deutlich angemesseneren Begriff des Umbruchs trotzdem da steht, wird nicht nur der Tatsache gerecht, dass diese Wendemanöver selbst oft Gegenstand der Kunst waren.

Es ist auch so, dass der Sturz in gänzlich neue Umstände immer auch eine Wende in den Künstlerbiografien bedeutet hat. Das Besondere dieser Ausstellung besteht nämlich darin, dass sie die Geschichte endlich einmal nicht am 9. November 1989 enden lässt. Denn in der Realität der Ostdeutschen, auch der ostdeutschen Künstler, fiel auch am Tag nach dem Mauerfall wieder das fahle Licht des Alltags in die Ateliers, und die Leute waren noch die gleichen, auch wenn die Verhältnisse sich rasant zu ändern begannen. Trotzdem oder gerade weil sich abzeichnete, dass das der berühmte Punkt war, hinter den es nicht mehr zurückgehen würde, wurden danach noch Aufrufe von Kulturschaffenden verfasst, das Eigene, die DDR, einen für reformierbar gehaltenen Sozialismus nicht preiszugeben. Dass viele nicht zuletzt im Interesse der eigenen Karriere guten Grund dazu hatten, wird ihnen zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch gar nicht unbedingt so bewusst gewesen sein. Vielleicht aber auch doch.

Für Westdeutsche muss das einer Exkursion in bizarr vermintes Gelände gleichkommen

Die eigentliche Leistung in Leipzig ist am Ende jedenfalls die, die Mauer zwischen einem ostdeutschen Vorher und einem gesamtdeutschen Nachher auch noch eingerissen zu haben. Dass daraus beim besten Willen keine Jubelveranstaltung werden konnte, war absehbar, wenn man einerseits das Hadern mit den Verhältnissen noch in Erinnerung hatte, das die meisten Künstler in der späten DDR umtrieb, und andererseits dann das Schicksal der meisten von ihnen unter den Bedingungen der Bundesrepublik. Anders als dem Theater, der Literatur und mit Verzögerung auch der Architektur wurde der bildenden Kunst aus dem Osten von Anfang an so gut wie gar nicht zugetraut, für den Westen eine Relevanz zu haben. Der Kunstmarkt schien weitgehend Georg Baselitz' Gepolter zu bestätigen, wonach es in der DDR keine Künstler gegeben habe, die den Namen verdienten, vielmehr alle, die etwas konnten (im Wesentlichen gemeint war: Georg Baselitz), beizeiten in den Westen gegangen seien. Auch die Sammelausstellungen in öffentlich geförderten Häusern zogen immer wieder die Kritik auf sich, dass sie die Kunst aus dem Osten entweder nicht wirklich als Kunst behandelten, sondern als historische Kuriosität, oder dass sie wieder nur denjenigen huldigten, die schon unter der SED kanonisiert worden waren.

All diese Streitereien über künstlerische Autonomie, Qualitäten und Systembefangenheiten gehören zur verwickelten Vorgeschichte dessen, was da in Leipzig nun präsentiert wird. Für Westdeutsche und Nachgeborene muss das nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach einer Exkursion in ein bedrohliches, fremdes, bizarr vermintes Gelände gleichkommen. Für Leute, die noch in der DDR sozialisiert wurden, ist es hingegen ein einziges, beklemmendes Wiederbegegnen mit Namen und Bildern, die einmal etwas bedeutet haben, bevor man sie aus den Augen verloren hat, weil sie nun einmal kaum noch irgendwo zu sehen waren. Wer jetzt also die Treppe in Leipzig hochkommt, den kann durchaus das Gefühl beschleichen, er wäre wieder 1988 im Dresdner Albertinum, wo bei der letzten großen "Kunstausstellung der DDR" ständig Trauben von Menschen debattierend vor dem Gemälde "Großes Stadtbad" von Wolfgang Smy standen, weil diese aggressiv Planschenden da in der stehenden, schwefelgelben Brühe den Zustand ihres Landes schon ganz gut zu illustrieren schien. Wann hat man seitdem je wieder etwas von Wolfgang Smy gesehen? Im Katalog sind sie immerhin so pragmatisch, seine Website anzugeben, um das bei Interesse nun nachzuholen.

Es hilft, ebenfalls im Kopf zu haben, dass ebenjenem Albertinum in Dresden noch vor Kurzem vorgeworfen wurde, seine Bestände an Kunst aus der DDR im Depot zu verstecken. Die Reaktion bestand in einer Präsentation sämtlicher Ankäufe jener Jahre. So kam auch Walter Womackas "Paar am Strand" wieder ans Licht, das bis heute unter Ostdeutschen regelmäßig als bekanntestes und beliebtestes Bild jener Zeit genannt wird, schon weil es damals eine Briefmarke zierte. Der Haken: Bereits die Museumsdirektoren der Sechziger hatten der Popularität des Motivs misstraut und den Ankauf zunächst verweigert. Es ist dann Walter Ulbricht zum Geschenk gemacht worden und über diesen Umweg doch noch in der Sammlung gelandet. Jetzt steht man ihm in Leipzig wieder gegenüber, allerdings in einer fast schon klassisch dialektischen Aufhebung - nämlich in erdnussfliphaften Pinselschlägen nachgemalt von Moritz Götze aus Halle, dem Sohn des großen DDR-Pop-Dissidenten Wasja Götze, der selbst unter anderem mit einem Mauerbild in verlockendem Schweinchenrosa aus der Zeit vor dem Mauerfall zugegen ist.

Sie haben diese Annäherungen in Leipzig ohnehin ganz geschickt gestaffelt. Der neue Direktor des Hauses kommt aus Österreich und hat die nötige Distanz. Einer der beiden Kuratoren ist Paul Kaiser, Experte nicht nur für die Kunst, sondern vor allem für die Geschichte der Boheme in der DDR. Der andere ist Christoph Tannert, der im Prinzip selbst ein Akteur auf dem Gebiet war, das er heute hier zeigt. Tannert war damals als freier Kurator schon ein ruheloser Impresario und Propagandist des Undergrounds, des Widerborstigen, Wüsten, Wilden, auch Aktionistischen. Und so kommen in dieser Ausstellung noch einmal alle zusammen, die sich damals schon nicht ausstehen konnten: staatspreisgeschmückte Malerfürsten wie Willi Sitte und Werner Tübke und eine Bild-Alchemistin wie Cornelia Schleime, der 1984 nichts blieb, als das Land zu verlassen, dazu Bad-Painting-Rabauken, Telefonzellenbilder des Theatermannes Einar Schleef, sinnbildschweren Leipziger Surrealismus, düstertonigen Ostberliner Sensualismus und große Gesten aus Chemnitz und aus Dresden.

Wenn es einen roten Faden gibt, dann das Bewusstsein für die Ambivalenzen

Da sind noch einmal die feministischen Mythologien von Petra Kasten und die Performance-Martyrien der "Autoperferorationsartisten" Else Gabriel, Micha Brendel, Rainer Görß und Via Lewandowski, der für Leipzig auch eine Neufassung seines zersägten "Berliner Zimmers" aus der Nachwendezeit gebaut hat, Untertitel: "Geteiltes Leid ist halbes Elend". Etwas von Neo Rauch gibt es auch, allerdings etwas Spätexpressives, nahezu Ungegenständliches aus den letzten Momenten vor seiner Verwandlung in den verrätselten Neo Rauch, den die Kunstmessen und Museen des Westens dann kennen- und liebenlernen durften, wo die expliziteren illustrativen Qualitäten der ursprünglichen Leipziger Schule weniger gefragt waren. Aber von denen, also von Sitte, Heisig, Mattheuer, kamen natürlich auch eindeutige Kommentare zu den Ereignissen von 1989: Deutsche Michel, die im Freiheitsrausch ihr Gardinenfensterchen aufreißen zum Beispiel. Oder Menschen, die in "Panik" aus der Enge fliehen, dann verängstigt und schutzlos ins Freie stolpern ...

Wenn es einen roten Faden gibt, dann vielleicht das Bewusstsein für die Ambivalenzen der Lage

Wenig weiter sieht man dann wieder, wie sich das Maler-Ehepaar Eve und Frank Rub vor ihrer Ausreise in den Westen mit den psychologischen Folgen der Schikanen durch die Stasi auseinandersetzte. Und kurz darauf ist bemerkenswert, wie viele von den später Geborenen, erst nach der Vereinigung zu Künstlern Gewordenen immer noch Bezug nehmen auf das Material von hier. Die Zipfelmützen etwa, die der aus dem Erzgebirge stammende Martin Mannig malt, lassen zu gleichen Teilen an Jakobiner, Gartenzwerge und das Sandmännchen aus dem Abendgruß des DDR-Fernsehens denken.

Wenn es einen roten Faden gibt, dann vielleicht das Bewusstsein für die Ambivalenzen der Lage. Die waren damals das Thema der Bilder, und sie sind es heute noch in den Diskussionen darüber, inwiefern die Künstler der DDR Beobachter oder Akteure der Geschichte waren. Aktuell ist auf den Seiten der Frankfurter Allgemeinen ein kleiner Historikerstreit darüber entbrannt, ob die Oppositionsgruppen, zu denen oft auch Künstler gehörten, 1989 wirklich die Avantgarde des Umbruchs waren oder nicht vielmehr den Massen elitär entgegenstanden, deren Marsch schon von Anfang an für viele in die BRD, mindestens aber die Währungsunion führen sollte.

Für all diese Debatten ist Leipzig jetzt auch wegen dieser Ausstellung ein idealer Boden. Außerdem findet sie gewissermaßen sogar noch eine Erweiterung in der "Galerie für Zeitgenössische Kunst". Dort wird diesen Sommer nämlich einerseits das Archiv der Künstlerin Gabriele Stötzer gezeigt, einer Hauptprotagonistin der dissidentischen Szene in Erfurt, samt Spitzelberichten über sie in sorgfältiger Frauenhandschrift. Und schließlich ist dort zu sehen, dass durchaus auch in Westdeutschland Geborene mit Gewinn aus dem Fundus schöpfen können, den der Herbst '89 nun einmal darstellt: Clemens von Wedemeyer zeigt dort Videoarbeiten die sich unter anderem mit der Dynamik von Demonstrationen und Elias Canettis Studien zu Massenaufläufen befassen. "Plötzlich war alles schwarz vor Menschen", dieser Satz aus Canettis "Masse und Macht" war am Ende schließlich noch die präziseste Beschreibung dessen, was in jenem Oktober vor 30 Jahren montagabends in Leipzig los war. In einer Computersimulation lässt von Wedermeyer nun noch einmal Avatare auf den Leipziger Ring strömen, bis aus vereinzelten Passanten eine machtvolle, systembedrohliche Menge wird. Man muss den speziellen Kontext noch gar nicht mal wieder rausrechnen, um selbst in diesen, heute als heldenhaft geltenden Aufläufen immer zugleich etwas Emanzipatives und das genaue Gegenteil davon zu sehen.

Point of No Return. Museum der bildenden Künste, Leipzig. Bis 3. November. Katalog 45 Euro.

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