Staatsanwalt unter Verdacht:Jagdszenen aus Oldenburg

Wie der eifrige Staatsanwalt Bernard Südbeck seine Kompetenzen überschritt, um den Fleischfabrikanten Tönnies vor Gericht zu bringen - und nun selbst in Schwierigkeiten steckt.

H. Leyendecker und J. Nitschmann

Der Oldenburger Staatsanwalt Bernard Südbeck hatte in der Ermittlerszene einen Namen. Er galt bundesweit als der Spezialist, wenn es um Schweinereien in der Fleischbranche geht. Ein Fachorgan nannte den 43-Jährigen einen "der erfahrensten deutschen Strafverfolger im Lebensmittelbereich". Die Autoren des ARD-Films "Die Fleischmafia" lobten: "Kein anderer Staatsanwalt kennt sich in der Fleischbranche so gut aus wie er."

Staatsanwalt unter Verdacht: Strafverfolger Bernard Südbeck steckt wegen einer anonymen Anzeige nun selbst in Schwierigkeiten.

Strafverfolger Bernard Südbeck steckt wegen einer anonymen Anzeige nun selbst in Schwierigkeiten.

(Foto: Foto: dpa (Archiv))

Doch der seriös wirkende Strafverfolger, der auch Chef der CDU in Cloppenburg und Ratsmitglied ist, steckt selbst in Schwierigkeiten. Heimlich hat der Fleischjäger an einer anonymen Strafanzeige gegen Clemens Tönnies, einen der ganz Großen der Schlachtszene, mitgewirkt, ohne diesen Umstand - wie vorgeschrieben - in einem Vermerk oder in der Handakte zu dokumentieren.

Südbeck hatte im Sommer 2006 stundenlang mit dem Anonymus, der Richard W. heißt und ihm gut bekannt war, weil er gegen ihn wegen Bestechung ermittelte, sowie dessen Anwalt zusammengesessen und über die passende anonyme Strafanzeige gegen Tönnies diskutiert. Zeitweise wurde auch ein Bielefelder Steuerfahnder zu Rate gezogen.

Anschließend redigierte Südbeck den Entwurf der Strafanzeige, die eines der größten deutschen Ermittlungsverfahren im Bereich der Fleischverarbeitung auslösen sollte. Mit dem Hinweis "Persönlich! Vertraulich!" schickte er das fertige Werk in die Kanzlei des Anwalts. "Die in unserer Besprechung vor einigen Wochen erörterten Punkte habe ich markiert oder ergänzt", schrieb Südbeck. Er empfahl, die anonyme Strafanzeige an die "Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Oldenburg" zu schicken, also quasi an den Kollegen im Zimmer nebenan.

Die Staatsanwaltschaft ist schon oft die "Kavallerie der Justiz" genannt worden. Aber ihre alltägliche und oft harte Arbeit ist selten durch ein solches Eiferertum wie im Fall Südbeck desavouiert worden. Sein Vorgehen ist mindestens so verwegen wie seine Handschrift mit den auffälligen Ober- und Unterlängen, die sich im Entwurf der Strafanzeige finden.

Südbecks Antwort: "Unzutreffend"

"Ob und in welcher Form Gespräche zwischen Staatsanwalt Südbeck und einem Rechtsanwalt stattgefunden haben", sei aus der "Handakte nicht ersichtlich", teilte die Oldenburger Staatsanwaltschaft auf Anfrage mit. Der Düsseldorfer Strafverteidiger Sven Thomas, Anwalt von Tönnies, spricht von einer "staatlich inszenierten Einleitung des Verfahrens".

War Südbeck besessen von der Idee, Deutschlands größten Fleischverarbeiter zur Strecke zu bringen? Wegen seiner "Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit" blockte Südbeck diese Woche Fragen der Süddeutschen Zeitung ab. Bereits im Februar hatte ihn die SZ gefragt, ob er die Entwürfe der Anzeige "handschriftlich ergänzt, abgeändert und korrigiert" habe. Er hatte den Vorwurf energisch bestritten: "Unzutreffend."

Diese Behauptung war schon damals nicht in Einklang zu bringen mit seinem Brief an den Anwalt und seiner Korrektur des Entwurfs der Strafanzeige. Inzwischen ist ein Schreiben aufgetaucht, das die Rolle des Oldenburger Ermittlers noch dubioser erscheinen lässt. Südbeck, der früher mal Dezernent in der Wirtschaftsabteilung der Bochumer Staatsanwaltschaft war, wolle versuchen, "über den ihm persönlich bekannten Generalstaatsanwalt in Hamm, die Angelegenheit zur Wirtschaftsstaatsanwaltschaft nach Bochum zu schieben.

"Schnappen Sie die gemeinen Verbrecher - Ihr stiller Informant"

Er hat noch einmal betont, dass die Ermittlungsbehörden unbedingt an Herrn Tönnies heranwollen", teilte der Anwalt seinem Mandanten Richard W. mit. "Hierzu erbittet er Ihre Unterstützung." Richard W.s Anwalt und Strafverfolger Südbeck kennen sich seit gut zehn Jahren. Der Rechtsanwalt hatte einmal einen Steuersünder verteidigt, gegen den Südbeck damals in Bochum ermittelte. Als der Jurist 2004 erstmals einen Handkommentar zum Kapitalmarktstrafrecht herausgab, war Südbeck einer seiner Autoren.

Richard W. spielte die Rolle des Anonymus perfekt. Zwei Strafanzeigen reichte er bei der Oldenburger Staatsanwaltschaft ein und forderte: "Schnappen Sie die gemeinen Verbrecher - Ihr stiller Informant." Auch gab er sich Mühe, die normalerweise für Tönnies-Fälle zuständige Bielefelder Staatsanwaltschaft auszuschalten, um den Fall nach Bochum zu lotsen: Der Firmenanwalt von Tönnies sei "der beste Freund des Oberstaatsanwalts für Wirtschaftskriminalität in Bielefeld". Tönnies habe rechtzeitig von bevorstehenden Durchsuchungen erfahren. Es werde "nie was gefunden und wenn, dann gegen Pillepalle eingestellt".

Ein Verfahren und seine Entstehungsgeschichte

Die Konspiration ging auf. Südbecks ahnungsloser Oldenburger Kollege Bernhard Lucks leitete am 30. Oktober 2006 Strafermittlungen gegen Tönnies und viele Mitarbeiter wegen Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr ein. Das Verfahren leitete er ("Eilt") an den Generalstaatsanwalt in Hamm weiter mit dem Hinweis, dass der Anonymus vor Bielefeld gewarnt habe.

Um 700.000 Euro betrogen

Der Hammer Generalstaatsanwalt Manfred Proyer ließ dann auch wegen dieses Hinweises Bielefeld außen vor und betraute die Bochumer Staatsanwaltschaft mit dem Fall. Südbeck, den er aus gemeinsamen Tagen in Bochum kannte, habe sich bei ihm "nicht gemeldet", sagt Proyer heute.

Dem Verfahren hängt seit Beginn seine Entstehungsgeschichte an und da geht es nicht nur um die zweifelhafte Rolle Südbecks. Anonymus Richard W., der früher für Tönnies arbeitete und fristlos entlassen worden war, weil er den Konzern um etwa 700.000 Euro betrogen hatte, was ihm ein Strafverfahren eintrug, kooperierte nicht nur mit Südbeck, sondern auch mit dem größten Konkurrenten von Tönnies: der holländischen Vion Food Group. Sie bringt es in Europa auf knapp zehn Milliarden Umsatz und machte Avancen, die Unternehmensgruppe Tönnies (3,9 Milliarden Umsatz) zu kaufen.

Vion-Manager traten früh in Kontakt mit W. und dessen Lebensgefährtin. Sie kannten auch zeitig die anonymen Strafanzeigen. Ob sie von Südbecks Part wussten, ist ungewiss. Über den Berliner Anwalt und SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Danckert schalteten sie den Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Cristoforo Rautenberg ein, der die Strafanzeigen seinem Kollegen Proyer bei einer Konferenz übergab. Sicher ist sicher. Als das Bochumer Verfahren gegen mehr als 60 Beschuldigte angelaufen war, erhielt W. im Mai 2007 von Vion einen Beratervertrag. Später wurden seiner Lebensgefährtin für eine Studie über Ernährungs- und Verzehrverhalten" 200.000 Euro in Aussicht gestellt.

Das Verfahren ist nun in der entscheidenden Phase

Seine Anonymität hatte W. inzwischen aufgegeben. Er stand den Bochumern als eine Art Kronzeuge zur Verfügung, bis die auch gegen ihn Ermittlungen wegen Beihilfe einleiteten. Am Anfang des Bochumer Verfahrens trat Südbeck als eine Art Sachverständiger auf, er bewertete die Strafbarkeit der in der anonymen Anzeige erhobenen Vorwürfe. Der Anzeigenerstatter W. ist im Frühjahr 2009 im Alter von 57 Jahren plötzlich gestorben.

Der verzwickte Fall bietet reichlich Stoff für juristische Seminare. Tönnies-Anwalt Thomas hat die NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) aufgefordert, das Verfahren wegen der Vorgeschichte an eine Staatsanwaltschaft außerhalb des Hammer Bezirks abzugeben. Das Verfahren ist nun in der entscheidenden Phase. Die meisten der vermuteten Tatbestände haben sich erledigt, aber einiges ist geblieben. Zwischen den Beteiligten wird inzwischen über die Details eines möglichen Strafbefehls gestritten. Die Verteidigung versucht, aus der Affäre Kapital für Tönnies zu schlagen, der auch als Aufsichtsratschef bei Schalke 04 im Rampenlicht steht.

Der übereifrige Staatsanwalt aus Oldenburg muss disziplinarrechtliche Maßnahmen fürchten. Inzwischen ist er nicht mehr als Ermittler tätig, sondern leitet das Referat für Personalangelegenheiten und Personalentwicklung im niedersächsischen Justizministerium zu Hannover. Sein Fall ist für die gesamte deutsche Staatsanwaltschaft eine sehr unangenehme Personalangelegenheit.

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