Medizin:Wie Komapatienten in Gauting wieder atmen lernen

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Die Entwöhnung von der Beatmungsmaschine ist ein Spezialgebiet der Asklepios-Lungenfachklinik. Weil immer mehr Patienten dieses sogenannte Weaning brauchen, wird die Abteilung für vier Millionen Euro ausgebaut.

Von Michael Berzl, Gauting

In Gauting lernt Georg Kothai, wieder selbst Luft zu holen. Das ist mühsam und dauert Wochen. Er lag lange im Koma, in der Zeit haben Lunge und Zwerchfell verlernt, eigenständig zu funktionieren. Der 65-Jährige aus Augsburg braucht nun die Unterstützung von Fachärzten und einer speziell geschulten Therapeutin, damit seine Atemorgane bald wieder weitgehend die Aufgabe erledigen können, die vorübergehend Maschinen übernommen haben. "Ich war in der Hölle und bin wieder auferstanden von den Toten", erzählt er.

Nach einer Lungenentzündung mit lebensgefährlichen Folgen war er im Mai in die Asklepios-Fachklinik in Gauting gekommen und wird seither dort behandelt. "In dieser Klinik haben sie mir mein Leben gerettet", sagt er. Nun ist er in der Beatmungsentwöhnung, dem sogenannten Weaning, bei Lorenz Nowak, dem Leitenden Arzt in der Intensiv- und Beatmungsmedizin. Hier ist Kothai genau richtig, denn die Gautinger Fachklinik ist eines von bundesweit etwa 50 zertifizierten Weaning-Zentren.

Oberärztin Katharina Heinig-Menhard legt dem Patienten Georg Kothai eine Atemmaske an. (Foto: Nila Thiel)

Für die Zertifizierung durch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie muss eine Klinik einige Voraussetzungen erfüllen, was Ausstattung und Personal betrifft. Nowak neigt nicht zu Superlativen, doch Bedingungen wie in Gauting seien nicht alltäglich. Die finden sich nicht nur in Hochtechnologie wie einem stets einsatzbereiten Bronchoskopieturm oder einem Ultraschallgerät, besonders keimfrei gehaltenen Zimmern und speziell geschultem Pflegepersonal, sondern zum Beispiel auch in einem Blechschrank mit zehn Schubladen. Darin liegen Atemmasken unterschiedlicher Größen und Formen, sodass je nach den Bedürfnissen von Patienten eine große Auswahl vorhanden ist. "Viele Krankenhäuser verwenden nur genau einen Maskentyp", weiß Nowak. Daneben hängen zwei Wandregale mit einem Dutzend verschiedener mobiler Beatmungsgeräte, dazu eine Apparatur, die sogar Hustenstöße simulieren kann.

Kein Wunder, dass Georg Kothai sich hier besonders gut aufgehoben fühlt. Der Augsburger, der früher geraucht und als Industrielackierer gearbeitet hat, leidet schon seit 2006 an COPD, einer dauerhaft atemwegsverengenden Lungenerkrankung, und muss durch ein Schläuchlein in der Nase zusätzlichen Sauerstoff einatmen. Als er im April nachts plötzlich unter Atemnot litt, wurde er ins Krankenhaus in Friedberg gebracht und dann nach Gauting verlegt. An die schlimmsten Zeiten kann sich der Patient nur noch bruchstückhaft erinnern. Zum Beispiel, als seine Frau am Krankenbett saß, schwarz gekleidet, mit Tränen in den Augen, und seine Hand gehalten hat. Kothai hat lange nur mit maschineller Hilfe Luft bekommen; entsprechend lange dauert die Entwöhnung. Grundsätzlich gibt es zwei Arten: Die Ärzte können die Maschine vom Schlauch in der Luftröhre trennen; das Zwerchfell des Patienten muss dann wieder selbst arbeiten. Anfangs geht das manchmal nur eine Minute, dann fünf, dann Stunden, bis schließlich nur noch nachts eine Unterstützung nötig ist. Oder die Maschine wird so eingestellt, dass sie nur noch mithilft beim Schnaufen, ähnlich der Unterstützung bei einem E-Bike.

Der Leitende Arzt Lorenz Nowak ist in der Gautinger Lungenfachklinik der Spezialist für die Beatmungsentwöhnung, das sogenannte Weaning. (Foto: Nila Thiel)

Die Zahl der Menschen, die in Deutschland künstlich beatmet werden, steigt nach Angaben der Asklepios-Gruppe kontinuierlich. Nach Hochrechnungen seien es bis zu 30 000 daheim, dazu mehrere zehntausend stationär. Entsprechend hoch sind die Kosten. Bei bis zu 20 000 Euro pro Versichertem und Monat sind es bis zu vier Milliarden pro Jahr. Die Krankenkassen haben also ein großes Interesse daran, ihre Patienten weg zu bekommen von den Maschinen. Das Weaning wird ihnen immer wichtiger. "Dies steigert vor allem die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, führt aber natürlich auch zu spürbar weniger Kosten in der häuslichen Pflege", erklärt der Leitende Arzt Nowak.

Auch die Weaning-Abteilung in Gauting, die von der damaligen Oberärztin Ortrud Karg aufgebaut worden war, werde noch heuer von 10 auf 18 Plätze erweitert, kündigt Nowak an. Die Kosten liegen nach seinen Angaben in einer Größenordnung von vier Millionen Euro. Fördermittel des Freistaats seien bewilligt, der Asklepios-Konzern habe seine Zusage erteilt. Spezielle Weaning-Zentren betreibt der Krankenhauskonzern auch in Bad Wildungen und in Hamburg-Harburg. Nach Gauting kommen nach Angaben der Oberärztin Katharina Heinig-Menhard Patienten aus ganz Oberbayern zur Beatmungsentwöhnung. Etwa 50 pro Jahr haben dann eine langwierige Weaning-Prozedur vor sich, weitere hundert brauchen ebenfalls höheren Aufwand zur Entwöhnung

Einer von ihnen ist Georg Kothai. Im Mai hatte er noch gebetet, dass er die Hochzeit eines seiner vier Söhne noch erlebt. Mittlerweile schafft es der Patient, 50 Meter auf dem Gang zu gehen ohne künstliche Beatmung, und er trainiert fleißig weiter. "Ich habe so viel Motivation von den Ärzten bekommen. Mir geht es immer besser", schwärmt er. Ein paar Wochen muss er wohl noch in der Gautinger Fachklinik bleiben, ehe er wieder nach Hause darf. Eine Beatmungsmaschine braucht er dann nicht mehr; nur auf das Schläuchlein in der Nase wird er angewiesen bleiben.

© SZ vom 03.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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