Doping-Ermittlungen:Razzia bei Rosenheim

Ski-Langlauf bei den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang

Wo alles seinen Anfang nahm: Bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld wurden fünf Athleten in flagranti erwischt. Seitdem wird ermittelt.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)
  • In der Blutdoping-Affäre rückt der Mediziner Ulrich Haegele aus Grainbach bei Rosenheim in den Fokus der Fahnder.
  • Haegele, der ab 2006 als Leitender Teamarzt Langlauf des Österreichischen Skiverbands tätig war, wurde von Zeugen schwer belastet.
  • Es ist nach dem Erfurter Arzt Mark Schmidt die zweite Spur, die nach Deutschland führt.

Von Thomas Kistner

Am Dienstagmorgen sitzt Ulrich Haegele auf dem Hometrainer, als sich unerwarteter Besuch vor der Tür versammelt. Und es ist keine Freundesschar, die dem Mediziner zu dessen 79. Geburtstag gratulieren will. Die Überraschungsgäste präsentieren einen Durchsuchungsbefehl und schwärmen im Haus aus: 13 Kriminal- und Zollbeamte führen im Auftrag der Innsbrucker Doping-Staatsanwaltschaft eine Razzia durch. Dabei, so empört sich Haegele zwei Tage später gegenüber der SZ, sei "sogar die Wäsche meiner Frau nach Dopingmitteln untersucht" worden. Eine Vernehmung des Sportarztes im Haus in Grainbach bei Rosenheim schließt sich an. Strikt weist Haegele die ihm angelasteten Verdachtsmomente von sich: "Ich habe niemandem Dopingmittel gegeben, noch weniger habe ich welche verkauft!"

Das sehen, nach Recherchen der SZ und der ARD-Dopingredaktion, die staatlichen Sportbetrugsfahnder in Österreich ganz anders. Haegele, der ab 2006 als Leitender Teamarzt Langlauf des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) fungierte, sei von geständigen Dopingsündern schwer belastet worden, sagt Staatsanwalt Thomas Willam in Innsbruck. "Unsere Ermittlungen ergaben, dass zwei bei uns geführte Personen, ein Spitzensportler und ein Trainer, den Arzt belasten, dass er ihnen fallweise Epo (das verbotene Blutdoping-Mittel Erythropoietin; d. Red.) überlassen habe, zum Zweck der Leistungssteigerung im Sport." Der Vorfall habe sich Ende 2013 zugetragen, sei womöglich aber nicht der einzige.

Diesmal im Visier der Fahnder: das verbotene Mittel Epo - und Kurierdienste

Bei der Durchsuchung am Dienstag, fünfeinhalb Jahre nach dem zugrunde liegenden Verdachtsfall, seien "keine dopingverdächtigen Substanzen sichergestellt" worden, sagt der Behördensprecher. Elektronische Datenträger seien zur Auswertung mitgenommen worden. Haegele bestätigt, dass sein Laptop und mehrere Mobiltelefone konfisziert worden seien.

Es ist bereits die zweite Hausdurchsuchung bei einem deutschen Sportmediziner. "Grundsätzlich überrascht mich nicht, dass es wieder einen deutschen Arzt erwischt hat", sagt Lars Mortsiefer, Geschäftsführer der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada). "Das zeigt, dass eine gewisse Systematik dahinterstecken könnte. Nicht nur die deutsch-österreichischen Staatsanwaltschaften kooperieren gut, es lohnt sich offenbar auch, den Austausch unter den deutsch-österreichischen Sportärzten intensiver zu untersuchen."

Tatsächlich ist auch die Hausdurchsuchung in Bayern Teil des Ermittlungskomplexes "Operation Aderlass", den die Tiroler Dopingfahnder gemeinsam mit ihren Kollegen von der Münchner Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft vorantreiben. Die Dopingaffäre wächst und wuchert. Losgetreten hatte sie der österreichische Skilangläufer Johannes Dürr - der auch im neuen Fall um Haegele eine Rolle spielt. Dürr war bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi mit jenem Blutverdicker Epo überführt worden. Nach einer zweijährigen Sperre und einem hässlichen Geplänkel mit dem ÖSV hatte Dürr Ende 2018 den Behörden die Beweg- und Hintergründe seines Vergehens offengelegt.

Die folgenden Ermittlungen wirbelten die Sportwelt auf. Bei einer Großrazzia während der Nordischen Ski-WM im Februar in Seefeld/Tirol wurden fünf Athleten in flagranti erwischt, darunter die ÖSV-Langläufer Dominik Baldauf und Max Hauke; Letzterem steckte die Kanüle des Blutbeutels noch in der Armbeuge, als die Fahnder den diskret angemieteten Behandlungsraum stürmten. Als Kopf hinter dem infamen Körpertuning gilt ein deutscher Sportarzt: Mark Schmidt, Bluttankwart mit üppigem Kundenstamm. Der Mann, der seit 2008 wiederholt im Dunstkreis großer Betrugsaffären auftauchte, aber Doping stets bestritt, sitzt seit Ende Februar im Gefängnis Stadelheim. Seine Aussagen und rund 40 in seiner Erfurter Praxis eingelagerte Blutbeutel gaben sukzessive weitere Sünder preis, 21 Athleten sind es bisher, zum Wintersport gesellten sich bald auch Radprofis. Zunächst Austrias Velo-Helden Stefan Denifl und Georg Preidler; Denifl hatte 2017 die Österreich-Rundfahrt und eine Etappe bei der Vuelta gewonnen. Im Mai gestand dann der frühere deutsche Telekom-Fahrer Danilo Hondo, er habe sich Schmidts Blutbehandlungen 2011 unterzogen. Als 37-Jähriger habe er noch einmal um einen guten Vertrag kämpfen wollen.

Dürr half nun auch, die Affäre um Haegele anzustoßen, den nächsten deutschen Sportarzt. Im Frühjahr hatte er der SZ bestätigt, dass ihn Gerald Heigl, sein langjähriger ÖSV-Trainer, Ende 2013, also kurz vor den Winterspielen in Sotschi, mit Dopingmitteln versorgt habe; übergeben angeblich von Haegele. Diese Kurierdienste schilderte er auch bei der Polizei; es war eine nachgereichte Beichte, Dürr wollte endlich reinen Tisch machen. Denn im Zuge der von ihm ausgelösten Seefelder Ermittlungen hatte er selbst einräumen müssen, auch nach Ablauf seiner Sperre 2016 weiter gedopt zu haben.

Damals bestritt Heigls Anwalt Dürrs Vorwürfe: "Mein Mandant war nie in Dopingmachenschaften von Herrn Dürr verstrickt. Wenn er etwas gewusst hätte, hätte er das sofort unterbunden!" Heigl werde gegen die haltlosen Vorwürfe rechtliche Schritte einleiten.

Das Problem für die Mediziner waren angebliche "Graumänner" im Hintergrund

Doch den nächsten rechtlichen Schritt unternahmen dann die Strafermittler: Sie erwirkten für Heigl Untersuchungshaft. Es gab Anhaltspunkte für Verwicklungen in Dopingmachenschaften, und die Staatsanwaltschaft befürchtete Verdunkelungsgefahr, falls der weithin gut vernetzte Coach ohne substanzielle Aussagen wieder auf freien Fuß gelangte. Nach einigen Wochen sagte Heigl aus. Er soll nach Aktenlage bestätigt haben, was Dürr zuvor bereits den Behörden gebeichtet hatte: Sein Trainer habe von Haegele, Leitender Teamarzt Langlauf im ÖSV, Ende 2013 in Deutschland Epo erhalten, zur Weitergabe an Dürr sowie an einen weiteren Teamgefährten.

So steht es auch in dem Durchsuchungsbeschluss, aus dem Haegele zitiert. Und so beschreibt, ohne die Namen der Beteiligten zu nennen, Staatsanwalt Willam in Innsbruck das Delikt. Der zwischenzeitlich inhaftierte Trainer habe "detailgenau" ausgesagt, die Aussagen seien stimmig, und bei der Beweiswürdigung sei überdies zu beachten, dass die Aussagenden hier ja nicht nur den Arzt belasteten, sondern eben auch sich selbst. Hinzu kämen mehr Aspekte. Der Trainer habe von nicht geringen Epo-Mengen berichtet, die er von Haegele erhalten habe, nach SZ-Informationen ist die Rede von 4000 bis 6000 Internationalen Einheiten; das dürfte in Doperkreisen für bis zu zwölf Behandlungen reichen. Zudem sei der zu ermittelnde Vorgang von Ende 2013 womöglich kein Einzelfall. "Wir gehen davon aus, dass es mehrere Tathandlungen gibt, die der Beschuldigte zu verantworten hat", sagt Willam. "Für uns ist es eine verdichtete Beweislage, sonst hätten wir kein so massives Mittel wie die Durchsuchung gewählt."

Haegele wehrte schon die Dopingverdächtigungen gegen Jan Ullrich ab

Gerald Heigl und Ulrich Haegele, Gerry und Utz, wie sie in Läuferkreisen heißen, betreuten dieses ÖSV-Ressort lange nebeneinander. In Heigls Amtszeit fallen allerlei Affären. Der Coach stieß 2004 zum Langlaufteam, 2006 bei den Winterspielen in Turin erfolgte eine spektakuläre Dopingrazzia im ÖSV-Quartier. Später stieg Heigl zum Chefcoach des Bereichs auf, er war auch in Leitfunktion, als Dürr 2014 in Sotschi aufflog, und blieb im Amt, nachdem Dürrs Teamkollege Harald Wurm 2015 eine vierjährige Sperre erhielt. Im April 2017 verließ er den Verband, betreute aber weiter ÖSV-Athleten, darunter jenen Langläufer Hauke, der in Seefeld mit der Kanüle im Arm erwischt worden war. Nach SZ-Informationen war Heigl vor einigen Jahren auch Konditionstrainer eines Alpin-Athleten, der ebenfalls von den Ermittlern befragt wurde. Dazu passend soll er Dopingkurier gewesen sein - oder hat sich da nur einer selbst falsch belastet?

In Heigls Ressort stieß Ende 2006 Ulrich Haegele. Ein deutscher Pathologe ohne jede Erfahrung als Sportarzt, der jedoch von höchster Stelle ins Team befördert worden sein soll: von Peter Schröcksnadel, dem mächtigen Verbandspräsidenten. "Peter Schröcksnadel", sagt Haegele, "holte mich zum ÖSV, um sicherzustellen, dass dort nicht mehr gedopt wird!" Rückblickend sei er da etwas naiv gewesen. Zumal er ja bald gehört habe, "dass Athleten neben den offiziellen Ärzten eigene Leute hätten, wir sagten dazu immer: Graumänner". Das sei das unbeherrschbare Problem gewesen: Graumänner im Hintergrund, die keiner wirklich gekannt habe. Aber damit müsse man leben, in Austria herrsche freie Arztwahl, habe ihm die sportliche Leitung erklärt, zu der er das Bindeglied war.

Auf welche Anti-Doping-Expertise hin der ÖSV-Boss ihn als Aufräumer nach dem Turin-Skandal angeheuert habe, kann der 79-Jährige nicht beantworten. Nada-Chef Mortsiefer findet so eine Berufung bemerkenswert. Er betont, dass die Nada angehende Sportärzte heute im Anti-Doping-Bereich schult, und hält es grundsätzlich "für das falsche Signal, wenn in der Betreuung junger Athleten auf die, freundlich formuliert, ganz alte Expertise gebaut wird".

Ein Sonderbudget des ÖSV trug über Jahre den Namen des deutschen Teamarztes

Echte Expertise besitzt Ulrich Haegele jedenfalls nicht, im internationalen Anti-Doping-Kampf fiel er nie als Vorreiter oder Mitkämpfer auf. Auch hatte er vor seiner Berufung zum ÖSV nie als Sportarzt gearbeitet. Sehr nahe war er dafür stets am Radsport, als Student in der Schweiz habe er sogar die Verbandslizenz besessen. Vor einigen Jahren wehrte Haegele gegenüber der SZ die Dopingverdächtigungen gegen Jan Ullrich ab. Mit dem gestrauchelten Nationalhelden, erzählt er, sei er zu dessen Zeit beim Team Telekom wiederholt am Bodensee umhergeradelt. Rein privat; kennengelernt habe man sich zufällig, als Ullrich ihn einmal sehr stilsicher auf der Straße habe fahren sehen.

Auf Schröcksnadels Wunsch sollte er nach der Turin-Affäre Langläufer und Biathleten "auf Vordermann" bringen, berichtet Haegele. "Als Erstes habe ich mit allen Athleten bei mir zu Hause Beichtstuhlgespräche geführt." Er habe warnend die Doping- mit der Rauschgiftszene verglichen: "Da gibt es keine Freunde, wer da reingeht, fällt auf die Nase!" Eine medizinische Stellungnahme zeigt aber auch, wie sich Haegele für den Langläufer Christian Hoffmann eingesetzt hatte; der Olympiasieger und Weltmeister wurde Ende 2011 gesperrt. Und beim ÖSV wurde ein jährliches "Sonderbudget Haegele" mit 36 000 Euro eingerichtet; bezahlt wurden darüber Ärzte, Apparate, Arzneien. "Warum das meinen Namen trug, weiß ich nicht", sagt Haegele. Er habe selbst nur ehrenamtlich im ÖSV gewirkt, er habe ein Handy erhalten und seine Tankkosten abgerechnet.

Alles in allem gibt sich der zweite deutsche Sportarzt im Blickpunkt der "Operation Aderlass" von den Turbulenzen wenig beeindruckt. "Mich wundert nur, dass die erst jetzt gekommen sind", sagt Ulrich Haegele und offenbart sogar ein Quantum Verständnis für den Trainer, der ihn so schwer beschuldigt habe. Warum der das tat? Haegele sagt, da könne er nur spekulieren. "Ich nehme aber an, dass er mich nahm, weil ich einen deutschen Pass habe - und er wusste ja vom Fall Schmidt. Wenn er dann einen weiteren Deutschen angibt, klingt es zumindest glaubwürdig."

Die Wahrheit müssen nun die Strafbehörden herausfinden. Der ÖSV, der so gern behauptet, dass all die Verfehlungen unter seinem Dach auf moralischen Verirrungen Einzelner fußen, hat seinen langjährigen Leitenden Teamarzt Langlauf längst von der Website genommen. Und als Ulrich Haegele Anfang Juni sein ÖSV-Mobiltelefon benutzen wollte, war es außer Funktion. Warum, das habe er beim Netzanbieter A1 erfahren: "Die haben gesagt, der ÖSV habe alle Handys abgeschaltet."

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