Frankreich:Der Tote in der Loire und der Innenminister

Die Proteste in Frankreich gegen Christophe Castaner gehen weiter: Ein junger Mann ist ertrunken - angeblich durch Polizeigewalt.

Von Josef Kelnberger

Frankreich: Für Steve, der nach einem Polizeieinsatz gegen ein Musikfestival ums Leben gekommen war, gingen am Samstag die Menschen in Nantes auf die Straße.

Für Steve, der nach einem Polizeieinsatz gegen ein Musikfestival ums Leben gekommen war, gingen am Samstag die Menschen in Nantes auf die Straße.

(Foto: Jean-Francois Monier/AFP)

Es vergeht kaum ein Tag in Frankreich, an dem nicht jemand den Rücktritt von Innenminister Christophe Castaner fordert. Im Oktober vergangenen Jahres trat er sein Amt an, einen Monat später brach die Protestwelle der Gilets jaunes los. Seither wirft Frankreichs Rechte Castaner vor, er verschaffe dem Staat nicht genügend Autorität, und Frankreichs Linke macht ihn verantwortlich für exzessive Polizeigewalt. Seinen Tiefpunkt erlebte Castaner am Abend des 9. März, als seine Polizeibeamten Überstunden schoben bei den Auseinandersetzungen mit den Gelbwesten - und der Innenminister in einer Disco gesichtet wurde, Alkohol trinkend und mit einer Frau, die offenbar nicht seine Frau war. Christophe Castaner wird dazu heute mit dem Satz zitiert: Er hätte sich an jenem Tag "lieber ein Bein brechen sollen".

"Ihr beschmutzt die Uniform", riefen Demonstranten in Nantes den Polizisten entgegen

Ja, der Minister sei durchaus angeschlagen, zitiert nun das Journal du Dimanche einen seinen Berater, "und man hat das Gefühl, dass er keine Pause bekommt". Eine Pause erhielt er auch am Wochenende nicht. In Nantes kam es zu Krawallen bei einer Demonstration mit rund 2000 Teilnehmern, der Protest richtete sich mal wieder gegen Polizeigewalt. Anlass war der Tod des 24-jährigen Erziehers Steve Maia Caniço, der vergangene Woche tot in der Loire gefunden wurde. Der Verdacht steht im Raum: Der Mann sei in den Fluss gefallen und ertrunken, als die Polizei am 21. Juni in Nantes mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Teilnehmer eines Musikfestivals vorging.

Die Beamten seien aus der Menge heraus angegriffen worden, behauptet die Polizei; der Einsatz sei überzogen gewesen, sagen Teilnehmer der "Fête de la Musique". Mehr als ein Dutzend der jungen Leute gerieten nach Augenzeugenberichten in den Fluss, einige retteten sich selbst, andere wurden von Sanitätern aus dem Wasser gezogen. Das Schicksal von Steve Maia Caniço, der seit jener Nacht vermisst wurde, blieb ein Rätsel. Castaner versprach schnelle Aufklärung und maximale Transparenz. Die Kontrollbehörde der Polizei kam nun zu dem Ergebnis, Caniços Verschwinden habe mit dem Polizeieinsatz, der im Übrigen gerechtfertigt gewesen sei, nichts zu tun. Das hat die Gemüter nicht beruhigt, im Gegenteil.

Unter dem Motto "Justice pour Steve", Gerechtigkeit für Steve, gingen am Wochenende in mehreren französischen Städten Menschen auf die Straße. Getragen wurde der Protest von den Gilets jaunes. Für die wurde Innenminister Castaner zur Hassfigur schlechthin, als die Polizei auf dem Höhepunkt der Gelbwestenbewegung mit Gummigeschossen auf die Köpfe von Demonstrierenden zielte. "Ihr beschmutzt die Uniform", bekamen die Beamten in Nantes zu hören, "ihr solltet euch schämen". Als der Protest eskalierte, setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein. Es gab 40 vorläufige Festnahmen. Man habe mit Schlimmerem gerechnet, hieß es hinterher aus Polizeikreisen, zumal auch ein "Schwarzer Block" - mit deutscher Beteiligung - mitmarschiert sei.

Für den Innenminister ist die Affäre, jenseits der menschlichen Tragik, ein politisches Fiasko. Am Tag, als Steve Maia Caniço in der Loire gefunden wurde, blieb Castaner stumm. Und seine Warnungen vor der Gefahr des Ertrinkens in französischen Gewässern, ausgesprochen auf dem Höhepunkt der Hitzewelle, wirken zynisch, jetzt, da viele Franzosen glauben, seine Beamten hätten in Nantes einen Nichtschwimmer in den Tod getrieben.

Christophe Castaner, 53, ein Südfranzose, der in jungen Jahren seinen Lebensunterhalt als Pokerspieler verdiente und sich in durchaus zwielichtigen Kreisen bewegte, machte politische Karriere bei den Sozialisten, zählte dann aber zu den ersten Unterstützern des damaligen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron, diente ihm im Wahlkampf als Pressesprecher. Wenn die Kritiker auf ihn zielen, dann zielen sie auch auf Macron. Der Präsident habe Castaner mit einer warmherzigen SMS aufgemuntert, verlautet nun aus dem Innenministerium.

Die Aufmunterung kann er gebrauchen. Das Amt des Innenministers ist wegen der hohen Terrorgefahr und der Aggressivität, mit der soziale Konflikte ausgetragen werden, ein permanentes Krisenmanagement. Eine Pause wird Christophe Castaner so schnell nicht bekommen. Vom 24. bis zum 26. August findet in Biarritz an der französischen Atlantikküste ein Treffen der G 7 statt. Es werden die üblichen Proteste erwartet.

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